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In dieser Computersimulation lässt sich die Komplexität einer DNA schon erahnen: Mit CRISPR jedenfalls lässt sie sich in Form bringen.

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He Jiankui steht im Kreuzfeuer der Kritik.

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Nana und Lulu heißen die beiden Zwillingsmädchen aus China, die wenige Wochen alt sind und bereits Geschichte geschrieben haben. Am Montag, den 26. November 2018 verkündet ein bis dahin kaum bekannter Forscher namens He Jiankui ihre Geburt und behauptet, dass er ihr Erbgut mit der Gen-Schere CRISPR/Cas verändert hat.

He wählt bei seiner Bekanntgabe nicht die klassischen Informationskanäle der Wissenschaft, etwa die Veröffentlichung in einem Fachjournal, sondern er lanciert seine Nachricht auf Youtube. Die Wirkung seiner Botschaft ist durchschlagend – auch weil sie zeitlich perfekt inszeniert ist: einen Tag vor dem internationalen Kongress zum Genome-Editing in Hongkong. He hat die Aufmerksamkeit der Forschergemeinschaft, der Bioethiker, der Journalisten. Gleichzeitig schlägt ihm eine Welle der Empörung entgegen. Wer ist dieser Mann?

Video: He Jiankui ließ die Welt via Youtube von seiner Genmanipulation wissen.
The He Lab

Versuche an Mäusen und Affen

He Jiankui ist 34 Jahre alt. Seine Eltern waren Bauern, und er wuchs in Südchina auf. Nach seinem Schulabschluss studierte er in den USA, wo er 2010 seinen Doktor in Biophysik machte und danach ein Jahr an der Stanford University verbrachte. Sein damaliger Betreuer beschreibt ihn als "sehr klug" und "an der vordersten Front, um neue Techniken in der Biologie zu etablieren". 2012 kehrte er im Rahmen des chinesischen "1000-Talente-Programms" zurück nach China an die Southern University of Science and Technology in Shenzhen.

Am zweiten Kongresstag präsentiert He seine Daten. Und erzählt: Vor den Versuchen an menschlichen Embryonen testete er das Verfahren ausgiebig an Mäusen und Affen. Nach eigenen Angaben behandelte er sieben Ehepaare mit Kinderwunsch. Die Frauen waren HIV-negativ, die Männer HIV-positiv.

Obwohl es bereits Möglichkeiten gibt, eine HIV-Infektion bei einer künstlichen Befruchtung zu vermeiden, entschloss sich He zu einem anderen Schritt: Um das HIV-Infektionsrisiko der Kinder zu beseitigen, inaktivierte er das Gen für den Zellrezeptor CCR5 mithilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas9. CCR5 gilt als Einfallstor für das HI-Virus.

Untersuchung geplant

Eine der Mütter brachte nun die Zwillinge zur Welt, auf die er "sehr stolz" sei. In der Fragerunde am Ende des Vortrages offenbarte He außerdem, dass es eine weitere, frühe CRISPR-Schwangerschaft gebe.

Chinas Nationale Gesundheitskommission hat eine "minutiöse Untersuchung" des Falls angeordnet. Seine Arbeit darf He vorerst nicht fortsetzen. Weltweit haben sich Fachgesellschaften – auch chinesische – von He distanziert. Welche Folgen He zu fürchten hat, ist aber unklar.

Fakt ist: Hes Arbeit wurde bisher nicht von externen Wissenschaftern begutachtet. Er willigte aber ein, seine Rohdaten zur Verfügung zu stellen. Viele Experten sind nach seinem Vortrag von der Glaubwürdigkeit seiner Daten überzeugt. Aber: "Das hätte niemals versucht werden dürfen", sagt Jacob Corn, Professor für Genombiologie an der ETH Zürich, "es ist viel zu früh, wir wissen noch nicht genug."

Täuschung und Verzögerung

Die Fachwelt ist fassungslos: He ignorierte alle ethischen Standards, alle Bedenken der internationalen Forschergemeinschaft, handelte im Verborgenen, täuschte Behörden und Mitarbeiter: In der Einverständniserklärung der Eltern ist von einem "Aids-Impfprogramm" die Rede, seine Studie hat er erst am 8. November online bei der entsprechenden Behörde registrieren lassen – lange nachdem sie begonnen hatte.

Nicht einmal die eigene Universität in Shenzhen, von der er seit Februar beurlaubt ist, wusste davon. Sie verurteilte sein Vorgehen als "ernsthafte Verletzung akademischer Ethik und Normen".

"Er hatte offenbar keine Genehmigung seitens der Behörden, es könnte sogar sein, dass er Unterschriften gefälscht hat. Seine Arbeitsweise widerspricht seinen eigenen Worten, seinen eigenen Prinzipien, die er kürzlich im "CRISPR Journal" veröffentlicht hat", sagt Corn, "ich vermute, dass er berühmt werden wollte."

Auch Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Gentherapie der Universität Freiburg, findet klare Worte: "Seine Videobotschaft lässt vermuten, dass Ehrgeiz, Selbstherrlichkeit und kommerzielle Interessen eine Rolle gespielt haben könnten." Tatsächlich wird He von der Nachrichtenagentur AP mit folgenden Worten zitiert: "Irgendwann, irgendwo wird das jemand machen. Wenn ich es nicht bin, wird es ein anderer sein."

Kein medizinischer Nutzen

Für He dürfte die Gesundheit seiner Patienten offensichtlich nicht an erster Stelle stehen: Denn die Inaktivierung von CCR5 glückte offenbar nur bei einem Embryo, dennoch setzte He auch das zweite Embryo der Mutter ein. "Seine Daten zeigen mir, dass dieses Baby nicht einmal einen theoretischen Nutzen von diesem Eingriff hat. Das ist monströs", erklärt Corn.

Der medizinische Nutzen dürfte für beide Mädchen fraglich sein: "He scheint nicht beachtet zu haben, dass eine CCR5-Inaktivierung das Immunsystem gegen die meisten HIV-Stämme resistent macht, aber nicht gegen alle. Einige HI-Viren nutzen eine andere Pforte, um in die Zellen einzudringen. Zudem ist bekannt, dass CCR5 eine wichtige Rolle in der Abwehr anderer Virusinfektionen einnimmt. Die Mädchen wären gegen bestimmte HI-Viren resistent, trügen aber ein höheres Risiko, an einer Infektion mit dem Grippevirus zu versterben", sagt Cathomen.

Dazu kommen Risiken durch den Einsatz der Gen-Schere, die auch danebenschneiden kann, was Biologen als Off-Target-Effekt bezeichnen. CRISPR könnte versehentlich die Funktion lebensnotwendiger Gene verändern. Doch wer das Erbgut von Spermien, Eizellen und Embryonen verändert, verändert es für immer. Sollten Nana und Lulu jemals Kinder bekommen, würden sie die CCR5-Genveränderung an ihre Kinder weitergeben.

Unbeabsichtigte Konsequenzen

Die Empörung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass man mit genveränderten Babys gerechnet hat: Die US-Akademie der Wissenschaften und das Nuffield Council on Bioethics kamen 2017 und 2018 zum Schluss, dass Keimbahneingriffe unter bestimmten Umständen zugelassen werden könnten: Unter höchster Transparenz und strenger Überwachung und nur, wenn präklinische Forschung die potenziellen Risiken und Vorteile abgeklärt hätten und es überzeugende medizinische Gründe und keine Alternativen gebe. Die Studie von He erfüllt keine der Bedingungen.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat vor den unbeabsichtigten Konsequenzen solcher Eingriffe gewarnt. Die WHO wird ein Expertengremium einsetzen, um alle Aspekte der umstrittenen Technik zu untersuchen.

"Genome-Editing wirft ethische, soziale und Sicherheitsfragen auf", sagte Tedros. Es müsse geklärt werden, ob solche Methoden überhaupt in Erwägung gezogen werden sollen. "Wir müssen sehr vorsichtig sein. Wir können Genommanipulierung nicht anfangen, ohne ein Verständnis unbeabsichtigter Konsequenzen." (Juliette Irmer, 5.12.2018)