Chrome dominiert die Browserwelt.

Foto: Proschofsky / STANDARD

Es begann mit einem Comic: Anfang September 2008 sickerte ein 38 Seiten starkes Dokument durch, in dem Google erstmals Details zu einer neuen Entwicklung aus dem eigenen Hause lieferte: dem Browser Chrome. Das dabei formulierte Ziel: die Marktmacht des damals von mehr als 80 Prozent aller Web-User genutzten Internet Explorer zu brechen. Zehn Jahre später kann diese Mission als erfüllt angesehen werden. Dies aber in einem Ausmaß, das vielen, die sich einst durch den neuen Konkurrenten mehr Vielfalt für das Web erhofft hatten, mittlerweile Sorgen bereitet. Chrome entwickelt sich nämlich aktuell zum Alleinherrscher im World Wide Web.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

Das Ausmaß der Chrome-Dominanz verdeutlicht ein Blick auf die aktuellen Zahlen diverser Marktforscher. So wird der Google-Browser etwa bei Netmarketshare mittlerweile mit einem Marktanteil von 65,57 Prozent in Bezug auf die Desktop-Präsenz geführt, bei Statcounter sind es gar 72,38 Prozent. Vor allem aber: Die Kurve zeigt ungebrochen nach oben, im kommenden Jahr könnte Chrome also schon für drei Viertel aller Webaktivitäten zuständig sein. Noch dramatischer wird diese Dominanz beim Blick auf die Details – schafft es doch kein einziger anderer Browser mehr in den zweistelligen Bereich.

An zweite Stelle rangiert – noch immer – der Internet Explorer und damit ein Browser, der seit Jahren nicht mehr weiterentwickelt wird. Das heißt auch, dass dieser Marktanteil allein aus internen Webanwendungen von Unternehmen sowie von Nutzern, die partout keinen anderen Browser installieren wollen, gespeist wird. Erst dann folgt Mozillas Firefox, das sich ebenfalls einem langsamen Nutzerschwund ausgesetzt sieht – im vergangenen Jahr ging der Marktanteil von elf auf neun Prozent zurück.

Diese globalen Zahlen zeigen natürlich je nach Seite und Land gewisse Fluktuationen. So kommt etwa der Firefox in Österreich noch immer auf rund 20 Prozent – der Trend ist aber der gleiche. Selbst im mobilen Bereich, den lange Apples Safari beherrscht hat, steht mittlerweile Chrome ganz klar an der Spitze. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Browsersituation unter Android konsolidiert hat. Vom chinesischen Markt einmal abgesehen spielt jenseits von Chrome eigentlich nur mehr der Samsung Internet Browser noch eine gewisse Rolle.

Microsoft gibt auf

Diese Realität führt dazu, dass mittlerweile so mancher Konkurrent resigniert hat. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass Microsoft seinen Browser Edge zumindest in der bisherigen Form einstellen will. So soll künftig statt Microsofts eigenem EdgeHTML Chromium als Basis für Edge genutzt werden – und damit ausgerechnet jenes Open-Source-Projekt, das auch Googles Chrome zugrunde liegt.

Wirtschaftlich gesehen ist dieser Schritt durchaus nachvollziehbar: Edge hat es – trotz der Vorinstallation auf allen aktuellen Windows-Systemen – nie geschafft, über eine ziemlich überschaubare Nische hinauszukommen. Zuletzt hat er sogar wieder Marktanteile abgeben müssen. Damit ist der strategische Nutzen von Edge nicht mehr gegeben, gleichzeitig kostet die Entwicklung einer komplett eigenen Rendering-Engine einiges an Geld – bringt aber nichts ein. Aus dieser Perspektive ergibt es also durchaus Sinn, sich einfach der Google-Welt anzuschließen.

Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass die Entwicklung des Webs in Richtung einer technologischen Google-Dominanz weiter verschärft wird. Als einzige vollständige Alternative verbleibt eigentlich nur mehr Mozillas Firefox mit seiner eigenen Rendering-Engine Gecko. Zwar gibt es da auch noch Safari mit seinem Webkit, aber einerseits ist dieses ohnehin eng verwandt mit der Google-Lösung, vor allem aber ist Safari auf wenige Plattformen beschränkt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Wer durch das Internet surft, tut dies heutzutage in den meisten Fällen mit Google Chrome.
Foto: Ed Sloane / AP

Schwere Zeiten für Firefox

Und auch für Firefox sieht die Prognose nicht allzu gut aus. Die wachsende Dominanz von Chromium/Chrome führt dazu, dass Webentwickler ihre Seiten immer öfter auf diese eine Plattform ausrichten und andere Rendering-Engines vernachlässigen. Das heißt wiederum, dass sich Kompatibilitäts- und Performanceprobleme bei dem Mozilla-Browser noch weiter verschärfen könnten.

Privatsphäre?

Dazu kommt, dass die aktuelle Marketingstrategie des Non-Profit-Unternehmens nicht zu greifen scheint. Die Kritik an Datensammelei und Privacy-Defiziten bei Google mag in den letzten Jahren immer lauter geworden sein, am Nutzerverhalten hat dies aber augenscheinlich nichts geändert. Anders ist nicht zu erklären, dass Firefox selbst in solch einem Umfeld mit sinkenden Marktanteilen zu kämpfen hat. Insofern ist auch zweifelhaft, dass die aktuellen Warnungen vor einem technologischen Google-Monopol etwas an diesem Trend ändern werden. Das weiß man natürlich auch bei Mozilla: Dessen Chef Chris Beard rief denn in einem Blogposting angesichts der Microsoft-Ankündigung mit leicht verzweifeltem Unterton dazu auf, Firefox zu nutzen, um Google nicht das Web zu überlassen.

Alles eine Frage des Blickpunkts

Doch es gibt noch einen anderen Blickpunkt auf diese Entwicklungen – und zwar jenen von Webentwicklern. Und hier sind viele nicht ganz unglücklich damit, dass sich Chromium zu einer Art De-facto-Standard entwickelt. Immerhin erspart es einiges an Entwicklungsarbeit, wenn man die eigene Seite nicht für zahlreiche unterschiedliche Rendering-Engines und all deren Eigenheiten optimieren muss. Zudem darf auch nicht vergessen werden, dass Chromium Open Source ist. Dies birgt die Chance, dass sich etwa Microsoft künftig direkt mit eigenen Verbesserungen einbringt und so die Google-Vorherrschaft bei dem Projekt zumindest ein Stück weit reduziert.

Was all dies für die Weiterentwicklung des Webs als Ganzes bedeutet, wird sich wohl erst in einigen Jahren beurteilen lassen. Solange Chromium von Google so offen und aktiv weiterentwickelt wird, wie es derzeit der Fall ist, dürften sich die negativen Konsequenzen für die breite Masse der Internet-User in engen Grenzen halten. Immerhin gibt es auch auf Chromium basierende andere Browser, mit denen man der Datensammelei von Google entkommt.

Falsche Vergleiche

Von einer Situation wie zu Zeiten des Internet Explorer 6 ist man aber auch aus anderen Gründen noch weit entfernt. Wird doch bei solchen Vergleichen gerne übersehen, dass das zentrale Problem einst nicht einfach nur der dominante Marktanteil war, sondern die Tatsache, dass Microsoft zunächst viele proprietäre Eigenwege beschritten und dann die Entwicklung des Browsers fast zur Gänze eingestellt hatte. Und doch birgt solch eine Marktdominanz natürlich immer die Gefahr eines Missbrauchs. Insofern ist es durchaus verständlich, wenn die aktuellen Entwicklungen so manchen Verfechtern eines offenen und vielfältigen Webs Bauchschmerzen bereiten. (Andreas Proschofsky, 9.12.2018)