Eine Studie der Universität Zürich hat gezeigt, dass die präventive Einnahme von Cholesterinsenkern zu oft empfohlen und die Gefahr von Nebenwirkungen unterschätzt wird.

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Zürich – Auch Menschen ohne Herz-Kreislauferkrankungen werden Cholesterinsenker, sogenannte Statine, verschrieben – etwa wenn sie gewisse Risikofaktoren aufweisen. Dieser Einsatz von Statinen zur Primärprävention wird unter Medizinern seit Jahren kontrovers diskutiert. "Letztendlich wird dadurch nur bei wenigen Personen ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag vermieden. Aber alle Personen können potentiell Nebenwirkungen durch Cholesterinsenker erleiden", sagt Epidemiologe und Public Healt-Experte Milo Puhan von der Universität Zürich.

Um eine Empfehlung für die Einnahme von Statinen abzugeben, errechnen Ärzte anhand verschiedener Risikofaktoren wie beispielsweise Cholesterinspiegel, BMI und Rauchen, wie hoch das Risiko einer Person ist, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Hirnschlag zu erleiden. Viele medizinische Richtlinien raten, ab einem Risiko von zehn Prozent mit der Einnahme von Statinen zu beginnen. Es gibt aber auch Richtlinien, die dies schon ab einem Risiko von rund acht Prozent empfehlen. Andere Richtlinien propagieren wiederum einen Schwellenwert von 20 Prozent.

Demnach müssten über ein Drittel aller 40- bis 75-Jährigen präventiv Cholesterinsenker einnehmen – weltweit wären dies Hunderte Millionen von Menschen. Laut Puhan wurde jedoch bisher der Effekt von Nebenwirkungen – darunter Muskelschmerzen, Grauer Star, Leberschäden oder Diabetes – bei der Erstellung von Richtlinien kaum berücksichtigt: "Die Schwellenwerte wurden von den Experten ohne systematische Untersuchungen so festgelegt."

Nutzen und Schaden abwägen

Eine gute Balance zwischen Nutzen und schädlichen Nebenwirkungen zu finden, ist daher die große Herausforderung bei der Entwicklung von besseren Empfehlungen zur vorbeugenden Einnahme von Cholesterinsenkern. Nun haben Forscher rund um Milo Puhan von der Universität Zürich erstmals eine umfassende statistische Modellierung dazu durchgeführt. Konkret sichteten die Wissenschafter systematisch alle Daten aus der gesamten Fachliteratur zusammen, die den Nutzen und die Nebenwirkungen einer präventiven Statin-Einnahme untersuchten. Zudem befragten sie gesunde Menschen, welche Bedeutung Herzinfarkte, Hirnschläge und bestimmte Nebenwirkungen für sie haben, um auch die Perspektive der Patienten in das Modell einfließen zu lassen.

Anschließend berechneten die Forscher neue Schwellenwerte für Männer und Frauen in verschiedenen Altersgruppen zwischen 40 und 75 Jahren. Zudem verglichen sie den Nutzen und die Nebenwirkungen von vier häufig eingesetzten Statin-Präparaten. Das Ergebnis der Studie: Viel zu viele Menschen erhalten eine Empfehlung. "Es hat sich gezeigt, dass Statine heute wohl deutlich zu häufig empfohlen werden", schlussfolgert Puhan.

Neue Schwellenwerte

Er schätzt, dass sich durch die neu errechneten Schwellenwerte die Zahl der Menschen, die eine Empfehlung für Statine erhalten, halbieren könnte. Vor allem für Senioren wurde der Nutzen von Statinen bislang stark überschätzt: Für die Altersgruppe der 70- bis 75-Jährigen errechnete das Modell einen Schwellenwert von etwa 21 Prozent. Das heißt, erst ab einem Risiko von 21 Prozent, in den nächsten 10 Jahren einen Herzinfarkt oder Hirnschlag zu erleiden, überwiegt der Nutzen von Statinen die Schäden durch mögliche Nebenwirkungen.

Für 40-45-jährige Männer und Frauen lag der Schwellenwert mit 14 bzw. 17 Prozent etwas niedriger. Zudem stellten die Wissenschafter fest, dass zwei der vier untersuchten Statin-Präparate, nämlich Atorvastatin und Rosuvastatin, eine deutlich bessere Balance von Nutzen und Schaden aufwiesen, als die beiden anderen Simvastatin und Pravastatin. Das Fazit der Studienautoren: Betroffene Personen sollten ihr persönliches Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen sowie mögliche Nebenwirkungen gemeinsam mit ihren Hausärztinnen und Hausärzten sorgfältig abzuwägen, bevor sie sich für oder gegen eine vorbeugende Einnahme von Statinen entscheiden. (red, 6.12.2018)