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Aktivisten vor dem Gerichtsgebäude in Charlottesville zeigten sich mit dem Schuldspruch wegen Mordes zufrieden.

Foto: AP / Steve Helber

Jeanne Peterson kann zwar wieder laufen, doch es fällt ihr unendlich schwer. Mit der einen Hand stützt sie sich auf die Schulter eines Beamten, mit der anderen umklammert sie einen Krückstock, als sie in dem kleinen, schmucklosen Gerichtssaal zum Zeugenstand humpelt. "Bis jetzt hatte ich fünf Operationen. Die sechste steht nächstes Jahr an", beantwortet die Frau mit dem rosa gefärbten Haar die Frage nach ihrem Gesundheitszustand. Drei Metallplättchen und ungefähr achtzehn Schrauben, fügt sie hinzu, trage sie noch in ihrem Körper. Das Laufen habe sie erst vor Kurzem wieder erlernt. Noch traue sie sich nur kurze Strecken zu, nur ein paar Meter, und auch das nur mit fremder Hilfe. Und nicht, wenn es geregnet hat und man draußen leicht ausrutschen könnte.

Jeanne Peterson, 38 Jahre alt, wurde schwer verletzt, eine von 35 Verwundeten, als James Alex Fields am 12. August 2017 im Zentrum von Charlottesville mit seinem Auto in eine Menschenmenge raste. In der Nacht auf Samstag wurde Fields nicht nur der "bösartigen Verletzung" mehrerer Menschen für schuldig befunden, sondern auch des Mordes: Heather Heyer, eine Rechtsanwaltsgehilfin Anfang dreißig, hatte den Terroranschlag mit ihrem Leben bezahlt. Bei dem Aufprall riss ihre Aorta, sie hatte keine Chance. Blutspuren, die man auf der Windschutzscheibe des grauen Dodge Challenger fand, an dessen Lenkrad Fields saß, stimmten mit ihrer DNA überein – Beweisstück Nr. 19 dieses Verfahrens.

Rechte Schläger

Heyers Tod war das bittere Schlusskapitel eines Tages, an dem das beschauliche Charlottesville zum Synonym für rechtsradikale Gewalt wurde. An dem die liberal gesinnte Universitätsstadt in Virginia eine Machtdemonstration weißer Rassisten erlebte, wie man sie im heutigen Amerika für unvorstellbar gehalten hatte. An dem linke Gegner, kurz darauf vom Präsidenten Donald Trump auf eine moralische Stufe mit den Neonazis gestellt, dem rechten Mob die Stirn boten.

Fields, damals zwanzig, war aus Maumee, einer Kleinstadt im Norden Ohios, 870 Kilometer entfernt, nach Charlottesville gefahren, um mit einer Gruppe namens Vanguard America zu marschieren. 16 Monate später steht er in einem historischen Gebäude mit Klinkerfassade und weißem Türmchen auf dem Dach vor einem Richter. Richard E. Moore will herausfinden, was ihn zu seiner Tat trieb.

Jubelnd seien sie damals durch die Stadt gezogen, erinnert sich Jeanne Peterson an das Finale jenes Augusttages. "Whose Streets? Our Streets!", hätten sie skandiert. "Wessen Straßen? Unsere Straßen!" Es sollte zum Ausdruck bringen, dass für Neonazis kein Platz sei in Charlottesville. Am Vormittag hatte die Nationalgarde Virginias eine Kundgebung der Alt-Right-Bewegung am Reiterdenkmal des Südstaatengenerals Robert E. Lee beendet, bevor die ersten Redner reden konnten. Zuvor waren rechte Schläger mit Baseballknüppeln und Eisenstangen auf ihre Gegner losgegangen, die Polizei hatte die Kontrolle verloren.

"Viele gebrochene Knochen"

Am frühen Nachmittag schien sich die Lage zu beruhigen. Es habe sich angefühlt wie ein großer Sieg, beschreibt es Peterson, "die Stimmung war ausgelassen, uns war nach Feiern zumute". Bis Fields seinen Dodge Challenger in den Menschenpulk steuerte, dort, wo sich die gassenschmale Fourth Street und die breitere Water Street kreuzen, einen Häuserblock entfernt von der gediegenen Fußgängerzone, die sich quer durch die Innenstadt Charlottesvilles zieht. Jeanne Peterson geriet mit beiden Beinen unter die Räder des Dodge. "Viele gebrochene Knochen", kommentiert sie lakonisch, als eine Röntgenaufnahme über eine Leinwand im Gerichtssaal flimmert – Beweismittel Nr. 133.

Fields sitzt kerzengerade auf der Anklagebank, nichts in seinem Gesicht verrät, was in ihm vorgeht. Manchmal macht er sich Notizen, dann lässt er an einen College-Studenten denken, der diszipliniert einer Vorlesung folgt. Ein braver Junge, Krawatte, ein Jackett überm Hemd, die Brille ein wenig altmodisch. Die Jury der Geschworenen hatte zu klären, ob es vorsätzlicher Mord war oder fahrlässige Tötung. Dem Angeklagten droht nun lebenslange Haft, mit der Urteilsverkündung wird am Montag gerechnet.

Zwei Versionen

Fields‘ Verteidiger hatten versucht, die Mordabsicht zu widerlegen. An jenem 12. August, argumentierten sie, habe ihn das Chaos ringsum derart eingeschüchtert, dass er sich bedroht fühlte. Das Video eines Polizisten zeigt ihn unmittelbar nach seiner Festnahme, nachdem er den Rückwärtsgang eingelegt hatte und vom Tatort geflohen war. "Es tut mir leid, ich wollte keinem wehtun, aber ich dachte, die Leute würden mich attackieren", ist seine Stimme zu hören. Als Fields auf der Wache erfuhr, dass es Schwerverletzte gab und womöglich eine Tote, brach er in Tränen aus.

Ein überforderter Junge, der im Gewühl die Nerven verlor – so stellte es die Verteidigung dar. Der Pressefotograf Ryan Kelly hat es anders gesehen. Ehe der Fahrer die Demonstranten ins Visier nahm, sei er auf der abschüssigen Fourth Street noch einmal zurückgestoßen, schildert Kelly. Ein paar Meter bergauf, als wollte er Anlauf nehmen. Dann habe er den Motor aufheulen lassen, der Wagen sei immer schneller geworden, bevor er Menschen durch die Luft wirbelte. Alles, sagt Kelly, habe auf einen Angriff schließen lassen.

Hitler-Bild für die Mutter

Bevor er nach Charlottesville aufbrach, schrieb Fields noch eine SMS an seine Mutter, um sie über seine Reise zu informieren. "Nimm dich in Acht", mahnte sie. Darauf er, grammatisch nicht ganz korrekt: "Wir sind nicht derjenige, der sich in Acht zu nehmen hat". Dazu schickte er ihr ein Bild Adolf Hitlers. Monate später – er rief aus dem Gefängnis an – ließ sie Sympathien für Susan Bro, die trauernde Mutter Heather Heyers, erkennen. "Sie ist Kommunistin", fiel er ihr ins Wort. "Eine Linke, die etwas gegen Weiße hat." Die Antifa-Leute, wie er die Demonstranten nennt, hätten Flaggen des "Islamischen Staats" über ihren Köpfen geschwenkt. (Frank Herrmann aus Charlottesville, 9.12.2018)