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Influenzaviren wandern von einem zum anderen. Dabei verändern sie sich. Das ist Evolution und die große Hürde bei der Suche nach einem Universalimpfstoff.

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Impfungen sind ein medizinischer Segen, sie retten Leben. Viele Krankheitserreger können so in Schach gehalten werden. Beispielsweise reichen für einen lebenslangen Schutz gegen Masern oder Röteln zwei Pikser. Zumindest 95 Prozent der Menschen können damit gegen die hochansteckenden Viren immunisiert werden. Um Infektionen wie FSME oder Keuchhusten in den Griff zu bekommen, braucht es alle fünf oder zehn Jahre Auffrischungsimpfungen.

Der Kampf gegen Grippeviren gestaltet sich hingegen deutlich schwieriger: "Das Ganze ist komplizierter, als wir uns das wünschen", sagt Peter Palese, Leiter der Abteilung für Mikrobiologie der Icahn School of Medicine at Mount Sinai im US-Bundesstaat New York. Die Grippeimpfung ist die einzige Vakzine, die jedes Jahr erneut verabreicht werden muss. Ihre Schutzwirkung liegt im Schnitt bei etwa 60 Prozent. Während einer starken Influenzasaison erkranken ohne Impfung zehn von 100 Menschen. Von 100 Geimpften leiden aber auch vier an hohem Fieber, Schüttelfrost, Glieder- und Kopfschmerzen, wie Studien zeigten.

Virale Verwandlungskünstler

Der Grund für die geringere Schutzrate: "Influenzaerreger kann man sich wie mikroskopisch kleine Fußbälle vorstellen, an deren Oberfläche Eiweißstoppeln herausragen, die sich permanent verändern", erklärt Palese.

Besonders zwei Proteine sind extrem mutationsfreudig und stellen die Impfstoffhersteller jedes Jahr vor neue Herausforderungen: Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Über das H-Eiweiß gelangt das Virus in die Atemwegszelle des Wirts. Das Hämagglutinin dockt an die Zelle an und öffnet sie für das Virus. Nun kann der Erreger sein Erbmaterial in den Zellkern schleusen und von der Wirtszelle neue Viren produzieren lassen. Von selbst können sie sich nicht vermehren, da sie keinen eigenen Stoffwechsel besitzen. Um die Zelle anschließend wieder zu verlassen, setzen die Viren das N-Eiweiß ein, das die Zellhülle zerstört. Die Zelle bricht auf, und die Viren breiten sich weiter im Körper aus.

Langes Zeitfenster

Die Impfstoffe setzen bislang an der wandlungsfähigen Oberflächenstruktur an. Kommt nun das Immunsystem mit diesen Antigenen in Kontakt, werden nach dem Schloss-Schlüssel-Prinzip Antikörper gebildet. Mutierten die Proteine an der Oberfläche der Viren, kommt es zu einem sogenannten Antigen-Shift. Es entstehen neue Varianten von Viren, die zwar mit dem ursprünglichen Virus verwandt sind, aber veränderte Eigenschaften haben. Die Folge: "Das Immunsystem kann den Eindringling trotz Impfung kaum erkennen, man erkrankt an Grippe, der Verlauf ist meist aber deutlich milder", erklärt Monika Redlberger-Fritz, Virologin der Med-Uni Wien.

Bislang haben Forscher 16 verschiedene H-Proteine und neun N-Proteine entdeckt. Nach deren Kombination werden auch die Influenza-A-Viren benannt. Das größte Problem derzeit: Die Impfstoffe müssen ständig an die neuen Varianten angepasst werden. Für die Produktion des Serums beobachtet die WHO die hauptsächlich zirkulierenden Viren und gibt im Februar eine Empfehlung für den Herbst ab, gegen welche Influenza-Varianten ein Serum produziert werden sollte. Im April beginnt die Impfstoffproduktion. Die Viren haben so rund ein halbes Jahr Zeit, um zu mutieren. Sie können sich also von jenen unterscheiden, die für die Herstellung des Serums verwendet wurden.

Eine Frage von Jahren

"Die Grippeimpfung ist aber deutlich besser als ihr Ruf und der beste Schutz, den wir derzeit haben", betont Peter Palese. Seit rund 50 Jahren erforscht er die Influenzaerreger. Sein Ziel ist ein Universalimpfstoff, der nur alle zehn bis 20 Jahre unter die Haut injiziert werden muss und gegen alle Virentypen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgetreten sind, schützt.

Wie das gelingen kann? "Wir konzentrieren uns bei der Entwicklung einer hochwirksamen Vakzine nicht auf die sich schnell wandelnden Teile der Virusoberfläche, sondern auf jene Bereiche, die stabil bleiben", erklärt der Mikrobiologe. Dazu bedienten sich der Forscher und sein Team eines Tricks: Sie entwickelten einen Virusstamm im Labor, der die Immunabwehr umlenkt. Das heißt, die Immunantwort konzentriert sich nicht auf die Proteine, die mutieren können, sondern auf die stabilen Teile des Virus. Auf diese Weise sollte der Körper immer erkennen, dass es sich um einen Influenza-Erreger handelt.

Erste erfolgreiche Studien

Mäuse Frettchen und Meerschweinchen schützte die Universalimpfung gegen alle Varianten von A-Viren. Auch an Menschen wurde die Vakzine bereits getestet. Derzeit laufen zwei Phase-II-Studien mit insgesamt rund 600 Probanden, bis Ende März 2019 sollen die ersten Ergebnisse vorliegen.

Was Palese bereits jetzt sagen kann: "Das Serum ist sicher und verursacht nicht mehr Nebenwirkungen als die herkömmliche Influenza-Impfung." Dazu zählt etwa, dass sich die Einstichstelle vorübergehend rötet und leicht anschwillt. Auch Schmerzen im Arm sind möglich. Diese Nebenwirkungen kommen bei etwa ein bis zehn von 100 geimpften Personen vor, sind aber auch typische Symptome, die andere Impfungen ebenfalls verursachen. Seltener fühlen sich Geimpfte fiebrig. Das ist ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem auf das Serum reagiert und die Abwehr hochfährt. "Dass man von einer Grippeimpfung eine echte Influenza bekommen kann, ist aber ein Mythos" betont Virologin Redlberger-Fritz.

Grippe ist nicht harmlos

Sollten die Phase-II-Studien erfolgreich sein, muss der Wirkstoff noch an einer großen Anzahl von Menschen geprüft werden. "Wir benötigen etwa 50.000 Probanden", konkretisiert Mikrobiologe Palese. Kostenpunkt: 200 Millionen Dollar. Ein Betrag, den sich universitäre Forschungsinstitute nicht leisten können, dazu sei Geld aus der Pharmabranche nötig. Glaxo Smith Klein habe bereits Interesse bekundet. Bis die Impfung tatsächlich auf den Markt kommt, dauert es aber noch. "Maximal zehn Jahre, eher weniger. Bis dahin rate ich zur Impfung mit den gängigen Impfstoffen", so der Experte.

Dass die Grippe alles andere als harmlos ist, zeigen Berechnungen der WHO: Zwischen 250.000 und 500.000 Menschen sterben jährlich weltweit an den Folgen der Grippe. "Komplikationen im Zusammenhang mit der Influenza reichen von Bewusstlosigkeit über Herzinfarkt und Schlaganfall bis Muskelzerfall", warnt Christoph Wenisch, Leiter der Infektions- und Tropenmedizin im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital. So haben Menschen, die an Herzproblemen leiden, im Fall einer Grippeerkrankung ein sechsfach höheres Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Gründe genug, sich den Pikser verpassen zu lassen. (Günther Brandstetter, 11.12.2018)