So manchem Marktbesucher in der Türkei treiben die Zwiebelpreise, die sich seit einem Jahr fast um das Dreifache erhöhten, die Tränen in die Augen.

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Die Zwiebel wird in der Türkei zum Politikum – genauer gesagt ihr Preis. Schon länger haben viele Türken das Gefühl, die Inflation sei viel höher als die von der Regierung angegeben 21 Prozent. Bei der Zwiebel aber ist es mehr als offensichtlich. Laut der türkischen Statistikbehörde ist der Preis für ein Kilo Zwiebeln von 1,3 Lira im November vergangenen Jahres auf 3,6 Lira gestiegen, das sind etwa 0,6 Euro. Vor allem im Vergleich zum Vormonat verteuerten sich Zwiebeln – um die Hälfte.

Gegen Zwiebelopportunisten

Anstatt Fehler in der Geldpolitik einzugestehen, setzt die Regierung in Ankara darauf, Unternehmen den schwarzen Peter zuzuspielen. So stürmte am 26. November eine Spezialeinheit der Polizei ein Lagerhaus in Istanbul und beschlagnahmte 1.300 Tonnen – nicht Drogen, sondern Zwiebeln. Dem Unternehmen Polatli wird Preistreiberei unterstellt. "Diese Leute werden dafür einen Preis zahlen!", sagte Präsident Tayyip Erdoğan. Landwirtschaftsminister Bekir Pakdemirli kündigte an, man werde "Zwiebelopportunisten jagen".

Ein Haupttreiber der Inflation war der Absturz der Währung im Sommer. Weil die Türkei die Freilassung eines inhaftierten amerikanischen Pastors verweigerte, hatte US-Präsident Donald Trump Sanktionen verhängt. Die Lira – ohnehin durch das hohe Leistungsbilanzdefizit und steigende Zinsen in den USA unter Druck – war daraufhin um fast 40 Prozent abgestürzt. Da in den darauffolgenden Wochen viele Importeure ihre gestiegenen Kosten an die Konsumenten weitergaben, kam es zu starken Preissteigerungen.

Auch die Zwiebelproduzenten verweisen auf gestiegene Benzin- und Düngerpreise, die sie irgendwie an die Kunden weitergeben müssen. Vor allem aber habe ein feuchter Sommer die Ernte verschlechtert. Auch Kaffee- und Teehausbetreiber klagen über gestiegene Importkosten. Da sie ihre Preise erhöhen mussten, bleiben die Kunden aus. In der Folge wiederum brechen die Umsätze ein.

Rezession am Horizont

Das Schlimmste ist laut Regierung überstanden. Die türkische Währung hat sich seit der Panik im August erholt. Mittlerweile kostet ein Euro wieder um die sechs Lira, auf dem Höhepunkt der Krise sind es bis zu acht Lira gewesen. Analysten gehen davon aus, dass für die Erholung nicht nur verbesserte Beziehungen zu den USA verantwortlich sind, sondern auch eine starke Leitzinserhöhung, die ein wenig Vertrauen wiederherstellen konnte. Auch die Inflation verlangsamte sich zuletzt etwas von 25 Prozent im Oktober auf 21 Prozent im November.

Das Bruttoinlandsprodukt legte im Sommer nur um 1,6 Prozent zum Vorjahr zu – der schwächste Zuwachs seit dem Putschversuch gegen Erdoğan vor zwei Jahren. Die Industriestaatenorganisation OECD rechnet mit einer Rezession im kommenden Jahr.

Auch die sonst weitgehend lahme Opposition springt auf die Zwiebelkrise auf. Meral Akşener von der nationalistischen İyi-Partei machte sich über den Präsidenten lustig, indem sie meinte, Erdoğan wettere neuerdings nicht nur gegen die Zins-, sondern auch gegen die "Zwiebellobby".

Ernst meinte es dagegen Kemal Kılıçdaroğlu, Führer der größten Oppositionspartei CHP: Seiner Meinung nach hat Erdoğan die Türkei "zum Spielball ausländischer Agrarlobbys gemacht". (Philipp Mattheis aus Istanbul, 13.12.2018)