Wien – Zuerst Pizza, dann Politik. Gegen den Kellner, der im Lokal Casa Mia in Wien-Liesing zurückhaltend die Bestellungen der Gäste aufnehmen will, hat auch Christoph Wiederkehr keine Chance. Das leibliche Wohl geht vor. Erst danach wird beim Bürgertreff der Neos im 23. Bezirk wieder dem Stargast gelauscht.

Wiederkehr ist seit 8. Dezember neuer Wien-Chef der Neos und damit der Nachfolger von Beate Meinl-Reisinger, die zur pinken Bundesfrontfrau aufgestiegen ist. Die Neos könnten bei der nächsten Wahl zum Zünglein an der Waage werden, wenn sich eine Zweierkoalition – Rot-Grün oder Rot-Schwarz – nicht ausgeht. Aber auch in der Opposition fühlen sich die Neos wohl. 2015 erreichte die Partei in Wien 6,2 Prozent. Ein konkretes Ziel für die Wahl 2020 nennt Wiederkehr nicht. Außer: "Stärker werden."

Christoph Wiederkehr löste Beate Meinl-Reisinger als Chef der Neos in Wien ab. Meinl-Reisinger stieg zur pinken Frontfrau im Bund auf.
Foto: APA / Helmut Fohringer

In der Pizzeria spricht Wiederkehr über Bildung: Seine Kritik am "desaströsen, katastrophalen Pflichtschulsystem unter Rot-Grün" wird goutiert. Die Zuhörer wollen aber lieber über ein weiteres Gymnasium für Liesing sprechen. Das ist Bundeskompetenz. Wiederkehr, der Neue an der Wiener Parteispitze, will den Wunsch dennoch bei der Stadtregierung deponieren, sagt er.

Steile Politkarriere

Der 28-jährige gebürtige Salzburger hat zwar eine steile Politkarriere hingelegt, ist aber alles andere als ein Quereinsteiger. Im Mai 2013 wurde Wiederkehr der Spitzenkandidat des späteren Studentenverbands der Neos. Seine Rhetorik hatte er zuvor in Debattierklubs geschult, er wurde in dieser Disziplin gar österreichischer Meister. Nach der Wien-Wahl 2015 folgte der Wechsel in den Gemeinderat.

Drei Kontrahenten bei Wien-Wahl stehen fest

Seine Gegner in der Wien-Wahl 2020 stehen zum Teil fest: Gernot Blümel bekräftigte am Donnerstag, für die ÖVP ins Rennen zu gehen, Michael Ludwig (SPÖ) und Birgit Hebein (Grüne) sind fix. Für die FPÖ hat Vizekanzler Heinz-Christian Strache abgelehnt. Wer auch immer es wird, mit den Blauen will Wiederkehr nicht zusammenarbeiten. "Das geht aus moralischen Gründen nicht."

Ungarischer Vater, französische Mutter

Diese Ablehnung liegt auch in der Familiengeschichte begründet. Der Vater flüchtete 1956 als 13-Jähriger von Ungarn nach Österreich, Wiederkehrs Großeltern blieben zurück. "Mein Vater war, was man heute einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nennt. Natürlich war die Flüchtlingswelle 2015 für mich etwas sehr Persönliches." Migration will Wiederkehr, dessen Mutter Französin ist, "mit offenem Herz und offenen Augen" behandeln: mit offenen Augen dort, wo die Gefahr einer Parallelgesellschaft bestehe.

Foto: APA / Georg Hochmuth

In der Familienhistorie liegt auch sein Fokus auf ein offenes Europa begründet. Vor den Gästen in der Pizzeria hält er auch einen flammenden Appell gegen "Kleinstaaterei" und Nationalismus.

Berufspolitiker ist Wiederkehr, der Politikwissenschaft studiert hat und dem zum Abschluss in Jus nur noch wenige Prüfungen fehlen, erst seit einem Jahr. Davor arbeitete er drei Jahre beim Bürgerservice des Verfassungsgerichtshofs. "Es war mir wichtig, neben der Politik zu arbeiten, solange es geht."

Das unterscheidet ihn von Sebastian Kurz. Vergleiche mit dem Kanzler lehnt Wiederkehr aber ab. "Außer dem Alter haben Kurz und ich gar nichts gemeinsam."

Auf den ersten Blick stimmt das nicht, denn Wiederkehr wirkt – von der Kleidung über die Gestik bis zur Wortwahl – wie ein Konservativer. Das Selbstbild ist ein anderes: "Ich war in einer sehr konservativen Schule und wusste daher sehr früh, dass ich das nicht bin."

Geld in Brennpunktschulen

Den Hauptfokus will Wiederkehr auf Bildung legen. Hätte er die Chance, ein Projekt umzusetzen, würde er "200 Millionen Euro in Brennpunktschulen umschichten." Diese seien Neos-Wählern ein Anliegen – auch wenn an diesem Abend in Liesing die Gäste Geld für Gymnasien und nicht für Neue Mittelschulen fordern. Seine Pflicht als Politiker sei es, auf Problemschulen zu schauen.

Auch mit Populismus hat Wiederkehr keine Berührungsängste. Bei der U-Kommission zum Krankenhaus Nord macht der neue Neos-Chef die Wiener SPÖ für Fehlentwicklungen verantwortlich.
Foto: Neos Wien / Lukas Hagelmüller

Kaum bekannt

Die Neos will Wiederkehr "als Kontrollkraft" etablieren. Dafür muss aber auch der 28-Jährige noch gehörig an Kraft – und vor allem Bekanntheit – gewinnen. Bisher trat er vor allem als Kritiker der Stadtregierung in Erscheinung: Er geißelt "Freunderlwirtschaft" im roten Wien und den "Stillstand" unter Rot-Grün II. Wiederkehrs Wahlprogramm muss freilich mehr Inhalte bieten: Kritik an der Stadtregierung üben auch die anderen Oppositionsparteien. (Lara Hagen, David Krutzler, 13.12.2018)