Sebastian Kurz ist bei sich angekommen. Er ist Kanzler, seit einem Jahr schon – und mit sich und dem Erreichten sehr zufrieden. Jeder Widerstand, den er auf dem Weg dorthin überwinden musste, verschafft ihm Genugtuung. Dass er so heftig kritisiert wurde, dass ihm anfangs wenig gelang – auf das blickt er heute mit Stolz zurück. Gerne erzählt Kurz auch die Geschichte, wie er sich als Schüler bei der Jungen ÖVP in Meidling, ausgerechnet im roten Arbeiterbezirk Meidling, meldete, um sich dort einzubringen – ein politischer Kauz. Was er damit sagen will: Er steht zu seinen Überzeugungen. Heute mehr denn je. Und seine Kritiker seien gewarnt: Es erfüllt ihn mit Genugtuung, Widerstand zu überwinden. Bis 2022 will er sein Programm durchziehen.

Als Kanzler ist Sebastian Kurz weitgehend schmerzbefreit. Das gilt für den Umgang mit den Medien wie auch mit seinem Koalitionspartner, der FPÖ. Kurz hat sich angewöhnt, Kritik an sich abprallen zu lassen. Die Berichterstattung und Kommentierung nimmt er zur Kenntnis, sich aber nicht zu Herzen. Sonst könnte er nicht schlafen. Dass er ständig in Schubladen gesteckt wird, wundert ihn, stört ihn aber nicht mehr.

Sebastian Kurz sichert das Überleben von Heinz-Christian Strache in der Koalition. Freiheitliche Fehler sind in der Planung einkalkuliert.
Foto: Matthias Cremer

Die negative Kommentierung und die heftige Kritik, die er einstecken muss, stehen sehr grundsätzlich in Zusammenhang mit der Wahl seines Koalitionspartners. Kurz hat die politischen Schmuddelkinder in die Regierung geholt und hoffähig gemacht. Das werden ihm seine Gegner nie verzeihen. Kurz selbst nimmt das mit einem Achselzucken zur Kenntnis. Er fährt gut damit.

Vom rechten Rand zur Mitte

Die Wahl hat er 2017 mit 31,5 Prozent deutlich gewonnen, seitdem liegt er in den Umfragen konstant darüber. Dass die FPÖ gelegentlich ausreitet und für politische Aufregung sorgt, schadet der ÖVP nicht, im Gegenteil: Da wandern noch Stimmen vom rechten Rand nach Mitte rechts zur neuen ÖVP, die in vielen Fragen ohnedies auch Positionen der FPÖ vertritt – vielleicht ein bisschen moderater und freundlicher, in Sachen Migration und Asyl aber mindestens so konsequent.

Kurz weiß, dass er sich auf Heinz-Christian Strache und seine Mannschaft verlassen kann.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Kurz weiß, dass er sich auf Heinz-Christian Strache und seine Mannschaft verlassen kann. Die FPÖ arbeitet verlässlich, ist loyal zum Kanzler, erfüllt brav wie vereinbart das Regierungsprogramm – auch dort, wo es der FPÖ wehtut. Ausrutscher gibt es auf Regierungsebene keine, nur auf der Stufe darunter. Zu Leuten wie Gottfried Waldhäusl oder Udo Landbauer kann Kurz festhalten, dass sie nicht Teil der Bundesregierung und damit auch nicht sein Problem seien. Kurz mischt sich beim Koalitionspartner grundsätzlich nicht ein. Nur wenn es ganz wild wird. Dann weiß aber auch Strache, dass er handeln muss. Das war bei der Affäre um antisemitische Liederbücher in der Burschenschaft von Udo Landbauer oder bei dem klar rassistischen "Ali"-Video der FPÖ zur E-Card der Fall. Landbauer legte nach der Landtagswahl in Niederösterreich alle Ämter zurück und die FPÖ zog das "Ali"-Video schleunigst aus dem Verkehr. In der Affäre um das mittlerweile geschlossene Flüchtlingslager in Drasenhofen, in dem Minderjährige hinter einem Stacheldraht untergebracht waren, bleibt die FPÖ bei ihrer Botschaft und weiß, trotz heftiger Kritik in den Medien, die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.

Kurz vertraut darauf, dass sich die FPÖ zu benehmen weiß.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Kurz weiß, dass in der FPÖ viel negatives Potenzial steckt, für ihn überwiegen die Vorteile der Zusammenarbeit aber deutlich. Die FPÖ-Spitze hält sich an Vereinbartes, schluckte auch die Ceta-Ratifizierung und nahm Maßnahmen, die klar der Wirtschaft und der Industrie dienen, wie etwa Standortgesetz und Arbeitszeitflexibilisierung, ohne Murren hin.

Dass es in EU-Fragen grundsätzliche Meinungsverschiedenheit gibt, soll im Wahlkampf zum Vorteil beider Parteien umgemünzt werden: Die ÖVP hätte ohnedies ein großes Mobilisierungsproblem. Wenn sie sich in dieser Frage bewusst gegen die FPÖ positioniert, hat sie im EU-Wahlkampf wenigstens ein Thema, das die eigenen Leute interessiert, gerade auch jene, die der FPÖ skeptisch gegenüberstehen. Und die FPÖ nutzt die Narrenfreiheit in dieser Frage ebenfalls, um oppositionelle Töne anschlagen und ihrer Wählerschaft das präsentieren zu können, was sie erwartet. Den EU-Austritt wird Strache schon nicht fordern, das wäre wohl eine rote Linie, deren Überschreitung zu einem ernsthaften Konflikt in der Koalition führen würde.

Kurz vertraut darauf, dass sich die FPÖ zu benehmen weiß – bei aller Tendenz zu Entgleisungen, die sich aus der freiheitlichen Geisteshaltung und ihrem Naturell ergeben können. (Michael Völker, 15.12.2018)