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May und Juncker "aben nicht getanzt".

Foto: AP / Alastair Grant

Die Diskussion der 27 Staats- und Regierungschefs mit der britischen Premierministerin Theresa May sei streckenweise "nebulös und unpräzise" gewesen. Es sei jetzt an der Zeit, "dass unsere britischen Freunde sagen, was sie wollen, anstatt uns zu fragen, was wir wollen". Mit in dieser Härte für ihn ungewöhnlichen Worten hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Nacht auf Freitag die Stimmungslage beim EU-Gipfel in Brüssel im Ringen um Bedingungen und wechselseitige Versicherungen zum EU-Austritt Großbritanniens beschrieben.

Später stellte Juncker seine Aussage klar: "Ich wusste gar nicht, dass es dieses Wort im englischen gibt. Aber ich habe mich nicht auf sie (May, Anm.) bezogen, sondern auf den Gesamtzustand der Debatte. Da meinte ich nebulös, verschwommen, neblig. Also das habe ich zu ihr gesagt. Und im Lauf des Vormittags hat sie mich geküsst". Jedenfalls "haben wir nicht getanzt", so Juncker launig.

Die Stimmung zwischen Theresa May und Jean-Claude Juncker war schon einmal besser.
Guardian News

Die EU-27 hatten May – wie berichtet – das Angebot unterbreitet, ihr bei einer gemeinsamen politischen Erklärung zum künftigen Verhältnis ab dem Austrittstermin 29. März 2019 entgegenzukommen. So soll mit einem Bündel zusätzlicher Zusicherungen unter anderem klargestellt werden, dass die EU keinerlei Interesse habe, einen Keil zwischen Nordirland und den Rest des Königreiches zu treiben. Vielmehr seien sofortige Verhandlungen über eine Freihandelszone beabsichtigt. Es soll zum Ausdruck kommen, dass die Bedingung einer offenen Grenze und Zollfreiheit für Nordirland nur übergangsmäßig gelten sollte – und nicht dauerhaft, wie die Brexit-Hardliner fürchten.

Drängen auf Abschluss

Das hatte nach dem EU-Ratsvorsitzenden, Bundeskanzler Sebastian Kurz, auch der ständige Ratspräsident Donald Tusk zuvor zugesichert. Juncker machte deutlich, dass die Gespräche mit May nicht so rund liefen. Es werde "keine neuen Verhandlungen" zum Brexit-Vertrag geben. Das sei abgeschlossen, erklärte Juncker. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich ähnlich.

Die britische Premierministerin bekannte in ihrer Abschlusspressekonferenz auch, dass sie sich vom Kommissionspräsidenten "brüskiert" fühle. Sie kündigte an, dass es nun darum gehe, die ausständigen Arbeiten abzuschließen. Spätestens am 21. Jänner müsse es im Unterhaus eine Abstimmung über ihren Brexit-Deal geben.

Der luxemburgische Premier Xavier Bettel beklagte, dass man nicht viel weitergekommen sei. Sein belgischer Kollege Charles Michel sieht "gigantische Zweifel" daran, ob May den Deal durch das Parlament bekomme. Juncker erinnerte daran, dass es die Briten seien, die die EU verlassen; sie müssten entscheiden.

Das Notfallszenario

Die Kommission werde jedenfalls nächste Woche eine Information an die Öffentlichkeit geben, was im Falle eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens eintreten werde. Damit soll der Druck auf London weiter erhöht werden.

In Brüssel befürchtet man, dass allen Beteiligten die Zeit davonlaufe, wenn nicht sofort nach Weihnachten definitiv Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Auch die britische Regierung bereitet sich nun konkret auf diese Variante vor, wie May sagte. In diesem Fall würden die Beziehungen zwischen EU und UK auf die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zurückfallen, es müssten sofort harte Grenzen zwischen dem Königreich und dem Rest der EU eingezogen werden.

In Großbritannien fielen die Reaktionen auf die Gespräche Mays in Brüssel negativ aus. Der Brexit-Sprecher der oppositionellen Labour-Partei warf der Premierministerin "Versagen" vor. Es müsse noch vor Weihnachten eine Abstimmung im Unterhaus geben, forderte er. Die konservative "Times" schrieb, May sei gedemütigt worden. Der linksliberale "Guardian" befand, die Reaktion der EU-27 auf ihre Bitte, den Brexit-Deal zu retten, sei "ein vernichtender Rückschlag" gewesen.

Iren zufrieden

Der irische Premierminister Leo Varadkar betonte, dass er zufrieden mit den Ergebnissen des Gipfels sei. Er freue sich, dass die EU-27 nicht bereit für eine Neuverhandlung des Austrittabkommens sei. "Wir wollen unser Bestes geben, dass ein Backstop nicht nötig wird." Auch eine Verlängerung der Übergangsphase solle vermieden werden, sagte Varadkar. Alle Staats- und Regierungschefs würden verstehen, dass die Backstop-Lösung nötig sei, um den Frieden in Nordirland zu erhalten.

Aus österreichischer Sicht war der EU-Gipfel der letzte große Termin der EU-Ratspräsidentschaft. Tusk und Juncker spendeten Lob. May sagte, Kanzler Kurz sei "mit seinem positiven Zugang" sehr hilfreich gewesen, einige Dossiers seien abgeschlossen worden, "eine sehr gute Präsidentschaft", lobte die Premierministerin.

Juncker sieht "Heuchelei" bei Grenzschutz

Dabei war es nicht gelungen, beim Thema Migration große Sprünge zu machen. Die meisten umstrittenen Fragen blieben ungelöst, so wird es die Aufstockung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf 10.000 Mann nicht schon 2020 geben, wie im Juli angekündigt, sondern erst 2027. Nur die Kompetenzen von Frontex werden leicht ausgeweitet. Ähnlich geht es bei den Reformen der Währungsunion: Darum muss sich ab 1. Jänner der rumänische Ratsvorsitz kümmern.

Juncker beklagte die "Heuchelei" der EU-Staaten beim Außengrenzschutz. Er "verliere die Geduld", sagte der Kommissionschef am Freitag. Fast jeder habe die EU-Kommission aufgefordert, die Kontrolle der Küsten aufzubauen und zu verstärken. Daraufhin habe die EU-Kommission in Absprache mit Bundeskanzler Kurz ihren Vorschlag zur Aufstockung gemacht. "Alle Mitgliedstaaten sagen in allen Sonntagsreden und in allen Parlamenten, man muss den Schutz der Außengrenzen stärken." Er sei dann aber "bass erstaunt" gewesen, dass vor allem die hauptbetroffenen Länder sich geweigert hätten, die Außengrenzen auch zu stärken.

Der Kommissionspräsident verwies darauf, dass 10.000 Grenzschützer nur 8,7 Prozent aller Grenzschützer Europas seien. Es wäre "normal und plausibel und nachvollziehbar", wenn die Mitgliedsstaaten "diese Truppen verlegen, wenn ich mich militärisch ausdrücken darf. Sonst kann man aufhören, über Außengrenzschutz zu reden". (Thomas Mayer, red, 14.12.2018)