Tut er's, oder tut er's nicht? Seit Tagen wird Jeremy Corbyn bedrängt. Anhänger wie auch politische Gegner fordern den Chef der oppositionellen Labour-Partei auf, ein Misstrauensvotum gegen die britische Premierministerin Theresa May zu beantragen. Doch Corbyn scheut sich. May ist nach dem Versuch einiger Parteirebellen der konservativen Tories, sie abzusetzen, politisch angeschlagen.

Anders als bei der parteiinternen Abstimmung, die May am Mittwoch überstanden hat, könnten im Fall eines parlamentarischen Misstrauensvotums alle 650 britischen Abgeordneten über die Zukunft Mays als Regierungschefin entscheiden.

Grafik: Sebastian Kienzl, Stefan Binder

Doch selbst wenn Corbyn ein von ihm beantragtes Misstrauensvotum gegen May gewinnt, heißt das noch nicht automatisch, dass es zu Neuwahlen kommt. Innerhalb von 14 Tagen kann ein Parlamentarier versuchen, eine Mehrheit an Abgeordneten hinter sich zu versammeln und so Premierminister zu werden.

Corbyn strebt jedoch Neuwahlen an, weil ihm Umfragen gute Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit vorhersagen.

Sieg ungewiss

Dabei ist dem Labour-Chef nicht einmal ein Sieg bei einem Misstrauensvotum sicher. Denn die nordirischen Unionisten der DUP mit ihren zehn Abgeordneten haben versprochen, die konservative Regierung bei einem Misstrauensantrag zu unterstützen.

Entsprechend vorsichtig gibt sich auch die Parteiführung von Labour: "Wir sind bereit, ein Misstrauensvotum zu beantragen, wenn wir wissen, dass wir es gewinnen können", sagte der Labour-Vorsitzende Ian Lavery in einer Videobotschaft auf Facebook. Sollte May das Misstrauensvotum überstehen, würde es sie nur stärken.

Dennoch hängt Mays parlamentarische Mehrheit an einem seidenen Faden. Denn die DUP hat ihre Unterstützung nicht an die Person May gebunden. Die DUP verlangt von May, dass der "Backstop" aus dem Brexit-Austrittsvertrag entfernt wird. Der "Backstop" soll verhindern, dass es zu einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland kommt. Sollte diese Klausel bleiben, droht die DUP May, ihr die Unterstützung zu entziehen.

Kämpft ums politische Überleben und ihren Brexit-Deal: Premierministerin Theresa May.
Foto: aFP/Scarff

Corbyn muss in sehr gefährlichen Gewässern manövrieren und versuchen, das Misstrauensvotum nicht zu früh anzusetzen. Das bringt andere Oppositionsparteien wie die schottische SNP oder die Liberaldemokraten in Rage. Allerdings verfolgen auch diese Parteien ihre eigene Agenda: Beide wollen keine Neuwahlen, sondern ein zweites Referendum erzwingen, brauchen dafür aber die Unterstützung von Labour. Der Weg dorthin führt über ein gescheitertes Misstrauensvotum.

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Will Neuwahlen: Labour-Chef Jeremy Corbyn.
Foto: AP/Dunham

Denn unter dem Druck der eigenen Parteibasis hat die Labour-Parteispitze zugesagt, ein zweites Referendum zu unterstützen – allerdings nur, wenn es ihr nicht gelingt, Neuwahlen zu erzwingen. Und Chancen auf Neuwahlen hat Labour nur, wenn es das Misstrauensvotum gegen May gewinnt.

Was Jeremy Corbyn also will: ein Misstrauensvotum ansetzen, dieses gewinnen, eine Regierungsneubildung durch die Konservativen verhindern und so Neuwahlen erzwingen, die Neuwahlen gewinnen, eine Regierung bilden und Premierminister werden. Danach das EU-Austrittsdatum verschieben und einen neuen Austrittsdeal mit Brüssel verhandeln.

Im komplexen Spiel der parlamentarischen Arithmetik pokert Corbyn hoch. (Stefan Binder, 16.12.2018)