Aus der irakischen Stadt Mossul kommen, eineinhalb Jahre nachdem die Terrororganisation "Islamischer Staat" vertrieben wurde, ganz unterschiedliche Nachrichten: Das Leben ist, vor allem im 2017 völlig zerstörten Westteil, extrem schwierig. Der Wiederaufbau geht langsam vor sich, das politische Wirrwarr in Bagdad stärkt nicht gerade das Vertrauen in die politische und wirtschaftliche Zukunft. Aber wenn man andere Nachrichten, vor allem in den sozialen Medien, verfolgt, vervollständigt sich das Bild: Eine wache, auf Kunst und Kultur hungrige Zivilgesellschaft ist dabei, die gemarterte Stadt neu zu erschaffen. Besonders Literatur und Musik spielen dabei eine Rolle.

Nun soll die Stadt auch eines ihrer Wahrzeichen wiederbekommen, das dem Wüten des IS noch in dessen letzten Tagen zum Opfer gefallen ist: die Al-Nuri-Moschee mit ihrem berühmten Minarett, das den Spitznamen "das Bucklige" trägt, wegen seines deutlichen Knicks, von dem schon der arabische Reisende Ibn Battuta im 14. Jahrhundert berichtete. Die Moschee mit ihrem Minarett wurde 1172 von Nureddin al-Zengi in Auftrag gegeben. Er war ein Sohn des Gründers der Zengidendynastie, ein mächtiger Gegenspieler der Kreuzritter, der den Großraum Syriens, Ägypten und Teile dessen, was heute der Irak ist, vereinen wollte.

Die 2017 zerstörte Al-Nuri-Moschee soll wiederaufgebaut werden.
Foto: APA/AFP/ZAID AL-OBEIDI

Der Auftritt des "Kalifen"

Große Aufmerksamkeit erhielt die Al-Nuri-Moschee aber erst in den letzten Jahren. In ihr inszenierte der "Islamische Staat" im Juni 2014 den ersten und letzten großen Auftritt seines selbsternannten "Kalifen" Ibrahim, Abu Bakr al-Baghdadi, von dem man heute noch immer nicht sicher weiß, ob er das Ende seines "Staates" überlebt hat. Als sich die Niederlage in Mossul im Juni 2017 abzeichnete, sprengte der IS Moschee und Minarett. Wobei sich bis heute in Islamistenkreisen die Behauptung hält, die Amerikaner hätten das Gebäude in Grund und Boden bombardiert.

Diesen Teil der Vergangenheit würden die Moslawis (oder Mossuler) gerne vergessen. Aber wie immer sie sich in die Zukunft fügen, Moschee und Minarett sollen wiedererstehen. Am Wochenende wurde in einem feierlichen Akt der Grundstein gelegt. Hauptsponsor des Projekts sind die Vereinigten Arabischen Emirate. 50,4 Millionen US-Dollar wurden zur Verfügung gestellt, fünf Jahre soll die Bauzeit betragen. Bis dahin müssen sich die Iraker mit Erinnerungen und Bildern begnügen, zum Beispiel auf der 10.000-Dinar-Banknote, und mit vielen anderen mehr oder weniger gelungenen Nachbildungen vor allem des Minaretts, denn natürlich hat "al-Hadba", das Bucklige, auch vielen Geschäften, Firmen, Restaurants et cetera Namen und Logo gegeben.

Auf der 10.000-Dinar-Banknote ist das Minarett der Al-Nuri-Moschee abgebildet.
Foto: APA/AFP/ALI CHOUKEIR

Verneigung vor dem Propheten

Um das Minarett ranken sich Legenden: Jene, dass es den Knick bekam, als es sich vor dem Propheten Mohammed verbeugte, liegt quasi auf der Hand. Typischerweise für Mossul gibt es dazu aber auch eine christliche Variante, in der sich der Turm vor der Muttergottes verneigt. Aus der Neuzeit stammt die Geschichte des christlichen Handwerkers Taburchi, der kein Geld für seine Arbeiten am Minarett nahm, sondern darauf vertraute, dass er "vom Besitzer des Hauses bezahlt" werde. Eine multireligiöse Harmonie, die sich Mossul auch für die Zukunft wünscht.

In einem Artikel für "The American Interest" mokierte sich die aus Mossul stammende Politikanalystin Rasha al-Aqeedi nach der Zerstörung der Al-Nuri-Moschee 2017 jedoch darüber, was nun alles an Bedeutung in das Minarett hineininterpretiert werde – vor allem außerhalb Mossuls, nicht von den Menschen in Mossul selbst. Für diese sei das Minarett eher wie ein alter Verwandter oder Nachbar gewesen, den man nie so recht beachtet habe: Und nun sei er weg, und man bedaure, sich nicht mehr für ihn interessiert zu haben. Anders als die anderen Monumente – die assyrischen Ruinen, die Moschee von Nabi Younis (Prophet Jonas), die Paschtabia-Festung – gehörten die Moschee und ihr Minarett nicht einmal zu den Ausflugszielen der Schulkinder, erzählt Aqeedi. Es war einfach da, und erst als es 2017 nicht mehr da war, fiel es auf.

Das berühmte Minarett der Al-Nuri-Moschee trug den Spitznamen "das Bucklige".
Foto: APA/AFP/FADEL SENNA

Auch die Figur des Nureddin al-Zengi (mit unterschiedlichen Schreibungen: Zangi, Zinki, Sinki ...) hat durch die Ereignisse der letzten Jahre eine neue Bedeutung erlangt. In mehreren Büchern über die Geschichte der Al-Kaida im Irak, aus der ja später der IS entstehen sollte, wird der Zengide als große Inspirationsfigur für Islamisten und Jihadisten identifiziert. Angeblich hat sich Abu Musab al-Zarqawi, der 2006 getötete Gründer von Al-Kaida im Irak, bei seinem Projekt explizit auf Nureddin al-Zengi berufen.

Ein Exkurs zu Nureddin al-Zengi in Syrien

Nureddin al-Zengi hat auch einer islamistischen Rebellengruppe im Syrien-Krieg den Namen gegeben, die, wenig überraschend, besonders Turkmenen angezogen hat. Die Gruppe stammt aus Aleppo: Mossul und Aleppo, vor der Gründung Syriens und des Irak zwei osmanische Schwesterstädte, wurden beide im späten 12. Jahrhundert von den Zengiden regiert. Der Kreis schließt sich.

Es ist keine schöne Geschichte. Die Harakat (Bewegung) Nureddin al-Zengi ist ein Zerrspiegel des Syrien-Kriegs: Sie begann ihre Aktivitäten im Dunstkreis der Muslimbrüder und damit der Türkei – dafür spricht ja auch der Name – und Katars. Danach begab sie sich sozusagen unter saudi-arabische Fittiche und wurde auf diesem Weg zum Nutznießer von CIA-Förderung, sprich Geld und Waffen. Die Behauptung, es handle sich um "moderate Rebellen", wurde später durch ein Video widerlegt, das die Enthauptung eines zwölfjährigen "Kriegsgefangenen" durch Mitglieder der Organisation zeigte. 2016 findet man sie wieder an der Seite der Türkei bei Kämpfen gegen den IS, danach schließt sie sich der Nachfolgeorganisation von Al-Kaida in Syrien an (früher al-Nusra, heute Hayat Tahrir al-Sham, HTS). Diese HTS versucht derzeit die Türkei bei Idlib unter ihre Kontrolle zu bringen, um eine russisch-syrische Offensive auf die Rebellenhochburg abzuwenden. Der neuen Al-Nuri-Moschee in Mossul wünscht man eine friedlichere Zukunft und Umgebung. (Gudrun Harrer, 18.12.2018)