Wien – Die Bundesländer geben sich nach dem jüngsten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zu österreichisch-türkischen Staatsbürgerschaften abwartend. Die Auswirkungen des Richterspruchs werden aktuell geprüft, hieß es am Dienstag.

Aufgrund der angeblichen türkischen "Wählerevidenzlisten" gebe es in Tirol ein Musterverfahren, welches aktuell beim Landesverwaltungsgericht anhängig sei, vermeldet Tirol. Da die höchstrichterliche Rechtsprechung alle Bundesländer betreffe, werde es in naher Zukunft eine österreichweite Abstimmung der weiteren Vorgehensweise geben, so das Land. In rund 50 weiteren Fällen, die nicht mit der besagten Liste in Verbindung stehen und in denen weitere Beweismittel für den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorliegen, wurden seitens der Behörde in Tirol Feststellungsverfahren eingeleitet. Sollte in diesen Fällen nachgewiesen werden können, dass die türkische Staatsangehörigkeit wiedererworben wurde, sei damit kraft Gesetz der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden, hieß es weiter.

Nicht authentisch

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) zeigte sich besorgt und verärgert, nachdem der VfGH festgestellt hat, dass die von der FPÖ vorgelegten Unterlagen über angebliche österreichisch-türkische Doppelstaatsbürger beziehungsweise die darin enthaltenen Informationen auf einer Vermutung beruhen würden und nicht authentisch seien. "Klar ist, dass man mit der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht spielt, sie weder für private noch für parteipolitische Zwecke missbrauchen darf", erklärte Kaiser.

Bei Zuwiderhandeln oder Missbrauch der Staatsbürgerschaft müsse es Konsequenzen geben, dafür seien aber hieb- und stichfeste Beweise vorzulegen und keine wenig glaubhaften Dokumente oder Gerüchte. "Dass die FPÖ dafür offenbar unseren Rechtsstaat missbraucht, Ressentiments gegen eine Personengruppe schürt und dadurch einmal mehr den sozialen Frieden in Österreich leichtfertig aufs Spiel setzt, ist ein Skandal und weit entfernt von jeglichem Verantwortungsbewusstsein, das eine Regierungspartei vorweisen müsste", sagte Kaiser. Dass die FPÖ für die Überprüfung der 100.000 Daten den österreichischen Steuerzahlern letztlich auch noch jede Menge Kosten aufgehalst habe, sei da nur am Rande erwähnt.

Auf Kärnten entfielen laut Kaiser von den 100.000 Datensätzen laut Landeswahlbehörde 70 Fälle. Von neun Betroffenen wurden Unterlagen beigebracht, die eine Doppelstaatsbürgerschaft ausschließen. Alle anderen 61 wurden zurückgestellt um eine Entscheidung des Verfassungsgerichts abzuwarten. Die weitere Vorgehensweise wird im Rahmen einer Länderbesprechung im Jänner festgelegt.

Der zuständige oberösterreichische Landesrat Elmar Podgorschek (FPÖ) sieht das VfGH-Erkenntnis hingegen gelassen: "Ich nehme zur Kenntnis, dass die Liste allein nicht ausreichend ist, um die Staatsbürgeschaft abzuerkennen", sagte er. Sie werde daher künftig "kein Beweis mehr sein, sondern ein Anhaltspunkt, dass es Verdachtsmomente gibt". Er sei froh, dass die Sache nun ausjudiziert sei. In Oberösterreich seien bisher 40 Verfahren eingeleitet und zwölf rechtskräftig entschieden worden. Dabei habe man sich aber ohnehin nicht auf die Liste alleine verlassen, sondern meist habe es andere Hinweise auf eine mögliche Doppelstaatsbürgerschaft gegeben, erklärte Podgorschek. Als Beispiele nannte er, dass etwa bei Verkehrskontrollen ein türkischer Führerschein oder bei einem Grenzübertritt ein türkischer Pass vorgewiesen worden seien.

Viele Rechtsfragen

Michael Bergmüller, der Leiter des Referats Wahlen und Sicherheit des Landes Salzburg, erklärte am Dienstag, es gebe viele Rechtsfragen, die von den Behörden auf Fach- und Beamtenebene der jeweiligen Landesregierungen zu beurteilen und zu entscheiden seien. Das VfGH-Erkenntnis habe durchaus eine Relevanz und österreichweit Bedeutung, sagte Bergmüller. "Es gehört rechtlich analysiert, wie vorzugehen ist."

Sinnvoll sei es, wenn die Behörden der Länder gleich vorgehen würden. Salzburg werde die Gespräche auf Beamtenebene mit den anderen Bundesländern abwarten. Rund 300 Verfahren seien in Salzburg derzeit anhängig. Circa 50 Feststellungsbescheide wurden ausgestellt, diese können aber noch beeinsprucht werden, weil die Beschwerdefrist noch nicht abgelaufen ist. Rund 30 Bescheide sind bereits rechtskräftig.

Im Burgenland sind aktuell noch rund 60 Verfahren offen. Die Behörde werde die aktuelle Entscheidung des VfGH jetzt eingehend analysiere. Wie sich die Entscheidung auf einzelne Verfahren auswirken werde, könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht angegeben werden, hieß es aus der Abteilung 2 – Landesplanung, Sicherheit, Gemeinden und Wirtschaft.

Einzelfälle prüfen

Auch von der Abteilung Staatsbürgerschaft und Wahlen beim Land Niederösterreich hieß es auf Anfrage, das VfGH-Erkenntnis sei einer näheren Beurteilung zu unterziehen, inwieweit es tatsächlich Auswirkungen auf die vorliegenden Fälle habe. "Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass derzeit auch Fälle beim Landesverwaltungsgericht anhängig sind." Derzeit gibt es laut Abteilungsleiter Peter Anerinhof rund 150 offene Verfahren in Niederösterreich. Die Parteien sollen entsprechende Informationsschreiben erhalten. In circa 25 Fällen wurde die Staatsbürgerschaft rechtskräftig aberkannt. Hier sei im Einzelfall zu prüfen, inwieweit das Erkenntnis des VfGH im jeweiligen Verfahren Auswirkungen hat. "In diversen Fällen haben sich neben der Liste sonstige zu berücksichtigende Beweismittel ergeben", hieß es.

In Vorarlberg wurden laut Recherchen von ORF Radio Vorarlberg mittlerweile 20 Staatsbürgerschaften aberkannt, in neun Fällen sind die Entscheidungen bereits rechtskräftig. 16 Verfahren seien noch offen. Im Amt der Vorarlberger Landesregierung wird davon ausgegangen, dass ein Großteil der noch offenen Verfahren eingestellt wird. Ebenso verhalte es sich mit den laufenden elf Berufungsverfahren, hieß es. In Bezug auf die rechtskräftigen Fälle müsse beurteilt werden, auf welcher Grundlage die Entscheidungen getroffen worden seien. Es sei nicht immer die FPÖ-Namensliste ausschlaggebend gewesen, manches Mal seien auch Staatsbürgerschaftsurkunden aus der Türkei vorgelegen. Aus dem Büro von Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) wurde betont, dass man sich den Inhalt der VfGH-Entscheidung genau ansehen und die Auswirkungen auf die Verfahren prüfen werde. Der Spruch des Höchstgerichts werde selbstverständlich umgesetzt.

Die steirische Landesabteilung 3 prüft nun noch einmal alle bisher ausgestellten Bescheide – auch die rechtskräftigen. Laut Waltraud Bauer-Dorner, Leiterin der Fachabteilung Verfassungsdienst, sind derzeit 30 Verfahren offen, ebenso viele Aberkennungsbescheide wurden bisher erstellt, davon sind drei rechtskräftig. Bei den noch offenen Verfahren basieren viele auf den mutmaßlichen Wählerevidenzlisten. "Zumindest einige der Verfahren werden sicher eingestellt", kündigte sie an. Man will aber auch noch auf neun beim Landesverwaltungsgericht anhängige Fälle warten. "Wir wollen danach natürlich alle Verfahren gleich behandeln", versicherte Bauer-Dorner. Sie fügte auch hinzu, dass einige Personen sogar nach den Aberkennungsbescheiden noch Beweise vorgelegt hatten, die sie entlasteten. (APA, 18.12.2018)