Seit zehn Jahren arbeitet Klaus Schwertner für die Hilfsorganisation der katholischen Kirche.

Foto: Heribert Corn

Das Jahr 2018 ist gerade drei Tage alt, als Klaus Schwertner langsam die Wut packt. Er fährt in seinem Auto auf der Heiligenstädter Lände, es dämmert bereits. Der Caritas-Wien-Chef ist auf dem Weg nach Hause zu seiner Familie. Was geht in Menschen bloß vor, dass sie ein Baby mit Hass überschütten, fragt er sich.

Er muss an die Geburt seiner eigenen Tochter denken. Das Glück der ersten Stunden mit einem Neugeborenen, diese Verletzlichkeit, die man empfindet. Kurz vorher hat er von den Reaktionen auf das Foto des Wiener Neujahrsbabys Asel erfahren.

Dessen Mutter trägt auf dem Foto ein Kopftuch – und Asel wird zum jüngsten Menschen, der einen Shitstorm erlebt; dem unbändiger Fremdenhass entgegenschlägt. Schwertner fährt rechts ran, nimmt sein Handy und setzt eine Nachricht ab, über die später sogar die "New York Times" berichten wird. Er startet den sogenannten Flowerrain.

"Ich dachte mir damals, ich muss etwas tun", sagt Schwertner, blaues Hemd, graues Sakko, perfekt getrimmter, grau melierter Bart. Sein Facebook-Posting, in dem er dazu auffordert, Asel willkommen zu heißen, wird schließlich von 32.819 Menschen beantwortet.

Die Initiative mündete in ein Willkommensbuch für Babys, das er im Juni vorstellt. "Liebe ist größer als Hass", wiederholt der vierfache Familienvater in diesem Zusammenhang gerne das Werbemantra der Caritas – der Flowerrain für Asel hat ihn in seiner Mission bestätigt.

Feindbild der Rechten

Seit zehn Jahren arbeitet Schwertner inzwischen für die Hilfsorganisation der katholischen Kirche. Der 42-Jährige ist der Posterboy der Caritas. Er twittert, er wirbt, er postet, er teilt Fotos und Geschichten von Asylwerbern, Obdachlosen und Kranken und kämpft damit gegen soziale Kälte und Ausgrenzung.

Während in den Social Media oft Niedertracht waltet, verkehrt er das System in sein positives Gegenteil: Im Internetjargon gilt als Troll, wer andere mit Onlinebeiträgen gezielt provoziert und (in der Regel negative) Emotionen weckt. Schwertner trollt das Netz mit Menschlichkeit.

Gerade hat Facebook eines seiner Postings gelöscht, in dem er einen Zettel aus dem Jahr 1938 zeigt, mit dem eine Ausgangssperre für Juden verordnet wurde – ÖVP und FPÖ prüfen derzeit eine Nachtruheordnung in Flüchtlingsheimen. Schwertners Begleittext zum Bild: "Wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist."

Der studierte Gesundheitsmanager ist inzwischen zum Feindbild der Rechten aufgestiegen. Für sie ist er der ultimative "Gutmensch" – ein linker, verklärender Ausländerfreund. "Ich bin lieber ein guter Mensch als ein schlechter", kontert Schwertner Kritik dieser Art trocken. Entschuldigt hat er sich nur 2015, nachdem er in Unterhose, schwarz bemalt und mit einer für einen Erwachsenen viel zu kleinen Schwimmweste auf dem Lifeball als "Flüchtling" erschienen war. Er habe damit irritieren wollen, aber niemanden verletzen.

Anfeindungen erlebt Schwertner fast täglich. Viele negative Kommentare würden über Fakeprofile gepostet, habe er beobachtet. "Hass verbreitet sich im Netz wie ein Krebsgeschwür."

Katholisches Gewissen der Nation

Der gebürtige Niederösterreicher ist ein Vermarktungsprofi. Schwertner kann ein Lächeln aufsetzen, mit dem er auch Autos verkaufen oder die Atomlobby erfolgreich vertreten könnte – würde er freilich nie. Nach seinem Studium an der Fachhochschule Krems wurde er zuerst Sprecher der Niederösterreichischen Landeskliniken. 2008 wechselte er als Kommunikationschef zur Caritas, seit 2013 ist er Geschäftsführer der Organisation der Erzdiözese Wien. "Eigentlich wollte ich Kinderarzt werden", erzählt er.

Einige seiner Mitarbeiter mutmaßen scherzhaft, dass Schwertners Tag wohl mehr als 24 Stunden haben müsse: Neben seinen organisatorischen Aufgaben sei er quasi durchgehend in den sozialen Netzwerken aktiv. "Klaus ist die Caritas", sagt eine Kollegin. "Er hat immer bewusst Haltung bezogen und dafür sein Gesicht hingehalten."

Mit Schwertner hat die Caritas auch wieder politisch an Bedeutung gewonnen. Die ÖVP habe ihren christlich-sozialen Anspruch unter Kanzler Sebastian Kurz aufgegeben, bleibt eben die Caritas als katholisches Gewissen der Nation – so sehen das auch einige in der Caritas selbst.

Schwertner formuliert es anders: "Unser Auftrag ist unter jeder Bundesregierung der gleiche." Früher sei die Caritas "ins ÖVP-Eck" gestellt worden, insbesondere seit der Flüchtlingskrise 2015 versuchten "gewisse Kräfte", ihn und seine Organisation in die "linkslinke, grün-rote Ecke" zu drängen. "Dabei haben die anderen ihre Haltung geändert, nicht wir." Seine Aufgabe sei es, dass die Schlangen vor den Essensausgaben kürzer werden – nicht mehr, nicht weniger.

Mit Kritik an der türkis-blauen Bundesregierung hält er trotzdem nicht hinter dem Berg: "Es bläst ein kalter Wind in diesem Land", sagt er. "Seriöse Berichterstattung wird zu Fake-News erklärt, Menschen in Not werden unter Generalverdacht gestellt, Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer diffamiert."

Neid und Missgunst in unserer Gesellschaft seien auch "die Auswüchse von Aussagen hochrangiger Politiker", ist der gläubige Christ überzeugt. Er erinnert an eine Aussage von Kurz, der Rettungsaktionen im Mittelmeer als "NGO-Wahnsinn" bezeichnet hat. Die "größten Grauslichkeiten" kämen aber meist von der FPÖ.

Erst vor kurzem hat er sich wieder mit den Freiheitlichen angelegt. Das mit Stacheldraht umzäunte Flüchtlingsquartier in Drasenhofen, das der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl verantwortet, bezeichnete Schwertner als "Schandfleck für Österreich" – und ließ die jungen Asylwerber in Unterkünfte der Caritas übersiedeln.

Dort führte er die halbe Nacht lang Gespräche mit den teils straffälligen Burschen und hat – obwohl er vor drei Jahren damit aufgehört hatte – sogar eine Zigarette mit ihnen geraucht, wie er seine Community via Facebook wissen lässt.

Kunstfigur und Influencer

Ob der "Cariklaus", wie sich Schwertner auf Twitter nennt, als Influencer fürs Gute nicht auch irgendwie eine Kunstfigur ist? "Ein bisschen vielleicht", sagt er und stockt kurz. Natürlich habe er erkannt, dass er über soziale Medien Emotionen wecken und damit "rasch und unkompliziert" tausende Leute erreichen könne. Um dann flott anzufügen: "Auch wenn es platt klingt, ich überlege jeden Tag, wie ich mehr Liebe in die Welt tragen kann."

Schwertners Stimme ist klar und kräftig. Wenn er spricht, ballt er immer wieder die Fäuste und schüttelt sie – so, als würde sein Körper dem Gegenüber "toi, toi, toi" zurufen. "Ein Like verändert die Welt noch nicht", sagt er. "Aber eine Solidaritätsbekundung kann der erste Schritt sein." (Katharina Mittelstaedt, 22.12.2018)