Markus Langes-Swarovski spielt in der komplexen Unternehmensstruktur eine zentrale Rolle. Er managt einen wichtigen Teil des Konzerns von Watten aus und fungiert als Sprecher des Vorstands. Langes-Swarovski hat die Aufarbeitung der eigenen Firmengeschichte vorangetrieben, er selbst war auch für völlige Transparenz. Als DER STANDARD ankündigt, eine Geschichte über den Fall zu machen und um ein Gespräch ansucht, willigt Langes-Swarovski in ein Treffen in Wattens rasch ein.

STANDARD: Was hat Sie dazu bewogen, die Aufarbeitung der Familien- und Unternehmensgeschichte in Auftrag zu geben?

Langes-Swarovski: Es gab immer eine Geschichte von Swarovski, aber nie eine, die aus unserer Sicht unabhängig und mit vollem Zugang zu unseren Archiven geschrieben worden wäre. Den Historiker Dieter Stiefel zu engagieren war ein Schritt, um seriös und ganz proaktiv mit unserer Geschichte umzugehen, was für ein Familienunternehmen nicht immer einfach ist, weil da noch andere Dimensionen mit hineinspielen.

STANDARD: Was war für Sie die wichtigste Erkenntnis über die NS-Zeit?

Langes-Swarovski: Dass wir ein ganz anderes Bild sehen können als jenes, das durch die bisherigen Studien bekannt war, die Swarovski behandelt haben. Dass es plötzlich erklärbar war, warum die gesamte Gründergeneration unseres Unternehmens so niedrige NSDAP-Parteinummern bekommen hat. Mir war auch der Kontext nicht so bewusst, dass wir mit Kosmann und dann seinem Neffen Jean Crailsheimer einen jüdischen Miteigentümer während der gesamten NS-Zeit hatten, und zwar trotz all der Regeln, die da aufgesetzt wurden.

STANDARD: Aber da gab es auch Schattenseiten: Zwei der drei Söhne des Unternehmensgründers, Friedrich und Wilhelm, waren extrem früh, 1933, der NSDAP beigetreten. Das spricht dafür, dass das überzeugte Nazis waren.

Langes-Swarovski: Das war das Vorurteil, das im Raum stand. Nach der Einschätzung des Historikers Stiefel haben die beiden aber nicht wirklich dafür gebrannt. Dass es Berührungspunkte gab, war klar, denn es war die Zeit, in der wir uns befinden. 1929 geht die Weltwirtschaft richtig in den Keller, und das war natürlich ein Nährboden für alles Mögliche. Es hat eine Anpassung an die Nationalsozialisten gegeben. Aber das war keine geradlinige Bewegung. Vielmehr hat man für das unternehmerische Handeln eine gewisse Opportunität an den Tag gelegt. Es wurden aber auch Akte des Widerstands gesetzt. Etwa als Alfred Swarovski gegen Ende des Kriegs versucht hat, die Sprengung der Brücke über den Inn in Wattens zu verhindern. Die damals handelnden Personen haben versucht, mit der Situation zurechtzukommen.

Das Werk des Unternehmens in Wattens.

STANDARD: Historisch belegt ist aber auch, dass die erwähnten Wilhelm und Friedrich kurz vor dem Anschluss an einem Fackelmarsch der Nationalsozialisten in Wattens teilgenommen hatten, der mit Sieg-Heil-Rufen geendet hat. Das kann nicht nur mit unternehmerischen Zwängen begründen? War das in ihrer Familie Thema?

Langes-Swarovski: Das ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen. Nach dem Krieg stand vor allem der rasche Wiederaufbau der Produktion im Vordergrund. Offensichtlich war das aber auch nicht so ein Thema, weil immer das Unternehmen und nicht die Frage, wie sehr sich einzelne Personen vom Zeitgeist haben einfangen lassen, im Mittelpunkt gestanden ist. Das ist auch etwas, das meiner Meinung nach der Historiker Dieter Stiefel in seiner Untersuchung bestätigt: Er hat weniger politischen Fanatismus gefunden als viel mehr unternehmerische Orientierung.

STANDARD: Warum wurden dann die Arbeiten des Historikers nicht veröffentlicht?

Langes-Swarovski: Wir haben uns im Kreise der Gesellschafter dazu bekannt, dass wir unsere Geschichte aufarbeiten lassen. Es war zunächst nicht ganz klar, welche Form das annimmt. Geworden ist es eine Biografie über Daniel Swarovski. Als das Buch fertig war, haben wir es im kleinen Kreis gelesen. Einigen unserer Gesellschafter waren einige der Anekdoten zu persönlich. Deshalb haben wir vorerst nur den Teil über die NS-Zeit in einem wissenschaftlichen Kontext veröffentlicht.

STANDARD: Es ging also auch um Befindlichkeiten der Eigentümer?

Langes-Swarovski: Swarovski ist ein Unternehmen, das generell versucht, die persönlichen Geschichten der Eigentümer weitestgehend aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, weil es dem Business nichts bringt.

STANDARD: Aber auch ein zweiter Anlauf war nicht erfolgreich, das Buch zur NS-Zeit ist ebenfalls fertig und nicht publiziert worden.

Langes-Swarovski: Das längste und zentrale Kapitel aus diesem Buch ist nun in dem wissenschaftlichen Journal abgedruckt worden. Damit liegt das offen. Die Diskussion, die wir in der Familie geführt haben, war, warum man alles jetzt noch einmal thematisieren muss. Denn eigentlich gab es ja schon eine bisherige Wahrheit, die man bei Wikipedia oder beim Historiker Horst Schreiber nachlesen kann und mit der wir als Unternehmen zu leben gelernt hatten.

Markus Langes-Swarovski: einer der einflussreichsten Manager in der Unternehmerdynastie.
Foto: APA

STANDARD: Sie haben betont, dass sich die Gründergeneration angepasst hat, dass sie sich aus Ihrer Sicht anpassen musste. Aktuell haben in Europa autoritäre Tendenzen Auftrieb. Wie soll sich ein Unternehmer verhalten: sich einmischen, heraushalten, anpassen?

Langes-Swarovski: Wenn wir unseren Unternehmensgegenstand anschauen, gibt es Themen, die ganz natürlich auch bei uns eine gewisse politische Haltung transportieren. Allein wenn man sich überlegt, dass wir unsere Produkte aus natürlichen Rohstoffen fertigen, ist es uns wichtig, Produktion nachhaltig zu gestalten. Aber unser Anliegen ist weniger, irgendwelche politische Diskussionen zu führen. Wir haben eine sehr heterogene und globale Zielgruppe. Das Unternehmen wird auch von sehr vielen Gesellschaftern, um die 80, getragen. Wir müssen auch aufpassen, dass da nicht eine Meinung für alle steht. Deswegen ist es wichtig abzuwägen, wo wir uns einbringen.

STANDARD: Ein Beispiel: Die Globalisierungsfeindlichkeit nimmt zu, hat unter anderem zum Brexit geführt. Wie sehen Sie das? Macht Ihnen das Sorgen?

Langes-Swarovski: Alle Entwicklungen, bei denen ein Unternehmer nicht abschätzen kann, was sie für das eigene Geschäft bedeuten, bereiten ihm tendenziell Sorgen. Manche Dinge kann man versuchen zu beeinflussen, indem man eine starke Stimme entwickelt. Manche Dinge muss man hinnehmen. Der Brexit zum Beispiel: Da kann Swarovski als Unternehmens sagen, dass wir das schwierig finden, aber die Fakten, die damit einhergehen, können wir nicht ändern. Also müssen wir damit leben.

Eindrücke aus den Kristallwelten, einer von André Heller im Auftrag Swarovski konzipierte Erlebniswelt in Wattens, die jedes Jahr Millionen von Besuchern anzieht.
Foto: APA

STANDARD: Wie denken Sie über US-Präsident Trump und Ungarns Premier Orbán?

Langes-Swarovski: Als Unternehmen muss man solche Dinge gut beobachten und überlegen: Wann passt man sich an, und wann geht man in den Widerstand?

STANDARD: Gibt es Tendenzen, bei denen Sie sagen, die Ihnen Sorgen bereiten?

Langes-Swarovski: Ja. Wenn man sich ansieht, wie sich Europa im Vergleich zu Asien und den USA entwickelt, ist eine Grundsorge da. Da ist weniger Dynamik als insbesondere in Asien. Es ist immer eine Henne-und-Ei-Frage: Was ist zuerst da? Wenn man in die Geschichte schaut, sieht man, dass radikale Systeme immer dann guten Nährboden gefunden haben, wenn es grundsätzlich wirtschaftlich schwierig war und Menschen perspektivlos geworden sind. Deswegen sind Wohlfahrt und Fortschritt ein so wichtiges Element für eine Demokratie. Sicher ist, dass Angst schadet: Ein Gefühl der Angst ist etwas, das gerade Ihr Berufsstand oft verbreitet. Angst ist kein guter Ratgeber.

STANDARD: Gibt es für Sie eine große Lehre aus der Geschichte Ihres Unternehmens?

Langes-Swarovski: Weniger aus der Geschichte des Unternehmens. Eine Lehre ist sicher, dass wenn wir heute manchmal darüber jammern, wie schwierig nicht dieses oder jene ist, es sich manchmal lohnt, zurückzuschauen und sich darüber klar zu werden, wie gut es uns heutzutage im Vergleich geht. Da bekommt man eine gewisse Demut. (András Szigetvari, 22.12.2018)