"Wir hassen uns. Super. Das war der Plan. Wer hasst, kann nicht mehr denken." Dies schrieb die Schriftstellerin und Dramatikerin Sibylle Berg schon hellsichtig vor drei Jahren in ihrer "Spiegel"-Kolumne – und zwar, wohlgemerkt, vor der Silvesternacht von Köln, die ja angeblich der Anfang vom Ende der "Willkommenskultur" war und verantwortlich für die tiefe Spaltung Europas.

Drei Jahre ist das her, und die Debatte ist weiter entgleist. Es geht nicht mehr nur um Flüchtlinge. Längst entzündet sich der tägliche Streit in Politik, Medien und sozialen Netzwerken an "Ausländern", "politischem Islam", "Kopftuch". Meinungen sind polarisiert, jeder, der eine hat, tut sie möglichst marktschreierisch kund, sonst fällt er nicht auf. Es geht links gegen rechts, Gutmensch gegen Nazi, Kampf-Emanze gegen Vergewaltiger, abgehobene Elite gegen dumpfe Mitläufer. Darunter tut man's kaum mehr.

Illustration: Der Standard

Die logische Folge dieser Empörungsunkultur ist die Wahl von Populisten und in jeder Hinsicht extremen Politikern in Regierungsämter – was die Spaltung der Gesellschaft noch mehr befeuert (siehe USA) und erratische Volksentscheidungen forciert, mit denen am Ende niemand glücklich ist (siehe Brexit). Das Jahr 2018 könnte man als vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung sehen. In Washington fuhrwerkt ein völlig von der Realität losgelöster Präsident Donald Trump nach Lust und Laune des Trash-TV-Publikums in der Weltpolitik herum. In Deutschland ist die rechtsextreme AfD fest verankert – und ihre einzigen Themen, offener Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, stoßen immer weniger Wähler ab.

Von Italien aus rüttelt Matteo Salvini als "Heilsbringer im verschwitzten Hemd" (Copyright: "Süddeutsche Zeitung") an den Grundfesten des vereinigten Europa, in Großbritannien zerren die Populisten und Nationalegomanen in der eigenen Partei an Premierministerin Theresa May – und gefährden so einen Deal, der das Land vor noch größerem Schaden bewahren soll.

Rauer Ton

Noch ist in Österreich nicht alles ganz so polarisiert, noch gibt es Gemeinsamkeiten. Die Sozialpartnerschaft hält bis dato, das ist eine gute Nachricht, denn sie garantiert einen Ausgleich der Interessen. Ein gutes Fünftel aller Beschlüsse im Parlament fällt einstimmig. Und wenn ein Landesrat Jugendliche hinter Stacheldraht einsperrt, gibt es eine Jugendschutzbehörde, die diese Fehlentscheidung korrigiert.

Aber auch hier ist der Ton rau geworden, es wird mehr gebrüllt, weniger gesprochen – und viel zu wenig geschwiegen. Wertschätzender Debattenstil und höfliche Auseinandersetzung sind nicht mehr selbstverständlicher gesellschaftlicher Standard.

Doch es gibt Hoffnung: Immer mehr Menschen erkennen im diskriminierenden Diskurs, auch auf Social Media, ein gravierendes Problem. Sie benennen es und werden initiativ dagegen. Sie setzen sich zur Wehr gegen Diffamierung und Lügen, notfalls auch vor Gericht. Die Zivilgesellschaft ist wacher denn je, das zeigen Initiativen wie das Anti-Rauchen-Volksbegehren oder die Donnerstagsdemonstrationen. Oder auch der gewaltige Zuspruch, den die "Österreich spricht"-Initiative des STANDARD in diesem Jahr erfuhr. Tausende in ganz Österreich trafen einander – und sie wollten nicht nur reden, sondern auch zuhören. Denn wer zuhört, ist schon wieder einen Schritt weiter weg vom Hass – und einen näher beim Denken. (Petra Stuiber, 24.12.2018)