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Der Wuff küsst den Schnee seines ersten Einzelsieges.

Foto: AP/Stache

Weil sich die Erde auch zu Jahreswechsel noch zu drehen pflegt, lieferte auch der 1. Jänner 2009 genügend Schlagzeilen – traurige, weniger traurige, aber auch sehr erfreuliche. Erst entzückte das Neujahrskonzert unter dem Dirigat von Daniel Barenboim nicht nur den Standard-Kritiker. Im Anschluss lieferte Wolfgang Loitzl mit seinem Triumph im Neujahrsspringen zu Garmisch-Partenkirchen nicht nur dem Standard-Berichterstatter eine grandiose Geschichte.

Schließlich war der Steirer in seinen 222 Weltcup-Einzelkonkurrenzen davor vergebens dem Sieg hinterhergesprungen. Nicht, dass der Erfolg des damals 28-jährigen Bad Mitterndorfers aus heiterem Himmel gekommen wäre. Schon starke Weltcupergebnisse davor und Platz zwei zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf waren Fingerzeige gewesen, dass der damals schon viemalige Mannschaftsweltmeister endlich auch nur für sich selbst gewinnen könnte. Die Tournee aber, so sahen das alle Experten, konnte nur zur Beute von Simon Ammann oder von Gregor Schlierenzauer werden. Aber weder der schon routinierte und damals zweifache Olympionike aus der Schweiz, noch der geradezu unverschämt hochtalentierte Tiroler kamen am einmal entfesselten Loitzl vorbei. Der gewann anschließend auch in Innsbruck und Bischofshofen.

Der Deckel

Den Deckel auf den ersten österreichischen Gesamtsieg seit neun Jahren und, wie sich herausstellen sollte, den Beginn einer Serie von sieben ÖSV-Tourneesiegen en suite, hatte Loitzl schon im ersten Durchgang auf der Paul Ausserleitner-Schanze gelegt – mit einem Flug auf 142,5 Meter, nach dem die fünf Punkterichter nicht anders konnten, als jeweils die Höchstnote 20 zu zücken. Es war ein Moment, in dem selbst ein so reflektierter Mensch wie Anton Innauer ein wenig pathetisch werden musste. "Für meine Leistung mit fünf Mal 20,0 hat mir damals Bubi Bradl zum perfektesten Springer gratuliert, jetzt werde ich Loitzl dazu gratulieren und diese Flamme weiterreichen", sagte der ÖSV-Sportdirektor, der 1976 als erster Skispringer von den Punkterichtern für einen Flug optimal bewertet worden war.

Die Kippe

Der Olympiasieger adelte damit einen, dessen Karriere schon an der Kippe gestanden hatte. Denn der Wuff, wie Loitzl gerne genannt wurde und wird, war ins Hintertreffen geraten in einer Mannschaft, die vom Doppelgestirn Thomas Morgenstern/Schlierenzauer arg dominiert wurde. Coach Alexander Pointner, auf dem Weg zum Erfolgreichsten seiner Zunft, verlor darob ein wenig aus den Augen, dass der deutlich ältere Loitzl einerseits mit dem jugendlichen Übermut im Team wenig anfangen konnte und andererseits springerisch einfach auf keinen grünen Zweig kam. Ein Schritt zurück, in den B-Kader zu seinem ursprünglich ersten Trainer Nik Huber, und ein Skiwechsel wirkten beflügelnd.

"Ich habe mir damals gedacht, ich werde nie wieder schlecht skispringen. So war es dann aber leider nicht", sagt Loitzl heute, da er dem Sport recht konsequent den Rücken gekehrt hat. Zusammen mit seiner Frau Marika bewirtschaftet er einen Teil der von den Eltern übernommenen Landwirtschaft. Die größten Teile sind allerdings verpachtet, Loitzl hat genug Zeit, sich um seine Familie, also auch seine Söhne Benjamin (13), einen hochbegabten Tennisspieler, und Niklas (11) zu kümmern. Trainer wollte er ihnen zuliebe nicht werden. "Ich bin sehr dankbar für mein Leben", sagt Loitzl.

Der Rückblick

Blickt er zurück auf seine größten Zeiten, auf die knapp zwei Monate zwischen seinem ersten Sieg am 1. Jänner 2009 in Garmisch und seinem fünften und letzten, am 21. Februar im Normalschanzenspringen der Weltmeisterschaften von Liberec, kann Österreichs Sportler des Jahres 2009 nur sagen, "dass es damals hat einfach sein sollen. Ich war im sogenannten Flow. Ich habe später immer wieder versucht, diesen Zustand wieder zu erreichen, doch so wie in diesen zehn Tagen der Tournee und wie bei der WM war es nie wieder."

In den folgenden 130 Einzelspringen sollte es nur noch zu sieben Podestplätzen reichen. Ab trat der Motorradliebhaber im Jänner 2015 dennoch als einer der erfolgreichsten Nordischen, die Österreich bisher hervorgebracht hat – mit neun Mal Gold bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen, davon acht in Mannschaftsbewerben. Gelegentlich sah man ihn dann noch durch dänische Bettenlager hüpfen.

An eine Schanze wollte Loitzl erst wieder im Vorjahr kommen, dann wurde das Fliegen am Kulm, gleich bei ihm ums Eck, allerdings witterungsbedingt abgesagt. Auf der Couch kann Loitzl den Skisprung durchaus noch genießen. Den großen Zeiten trauert er auch generell nicht nach: "So eine Mannschaft, wie wir sie damals hatten, wird es wohl so schnell nicht mehr geben. Aber vielleicht springen unsere aktuellen Athleten auch in zwei Jahren von Sieg zu Sieg – dann spricht keiner mehr über die schwere Zeit, die wir nun haben." (Sigi Lützow, 1.1.2018)