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Anonym, flexibel, grenzüberschreitend: Crowdworking verspricht Unabhängigkeit. Der Alltag sieht vielfach anders aus.

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Sie füttern Programme mit Daten, testen Apps und Onlineshops, sie kategorisieren Bilder, entwerfen Logos und korrigieren Texte. Der Job kommt per Mail über webbasierte Plattformen. Um ihn zu erledigen, genügt ein Mausklick. Abseits der traditionellen Arbeitswelt wächst ein Heer an digitalen Tagelöhnern heran. Ihre Auftraggeber zerstückeln komplexe Projekte in kleinste Teilaufgaben – Crowdworker fischen sie aus einem Pool. Staatliche Grenzen lösen sich dabei ebenso auf wie nationale Gesetze und soziale Absicherung. Wohin die Reise des neuen Erwerbsmodells führt, wissen auch internationale Arbeitsmarktexperten noch nicht zu deuten.

Agnes Streissler-Führer machte sich selbst auf Onlineplattformen auf Auftragsakquise. In drei Tagen ergatterte sie Jobhäppchen für in Summe knapp mehr als drei Stunden Arbeitszeit, die sich ihr mitunter um zwei Uhr in der Früh darboten, erzählt die Vizebundesgeschäftsführerin der Gewerkschaft GPA-djp. Exakt 6,4 Euro brachte ihr die Schwarmarbeit ein. Beim Crowdsourcing-Marktplatz von Amazon scheiterte ihr Selbstversuch: Nach Preisgabe zahlreicher persönlicher Informationen lehnte sie der Onlineriese als Klickarbeiterin ohne nähere Angabe von Gründen ab.

Starke Dynamik

Crowdworking sei in Österreich noch kein Massenphänomen, sagt Streissler-Führer. Weltweit lagerten jedoch immer mehr Unternehmen Arbeit aufgeteilt auf Minijobs an eine anonyme Masse aus. "Das wird sicher nicht gleich heuer explodieren, kann jedoch sehr rasch eine starke Dynamik bekommen."

Die GPA-djp bietet atypisch Beschäftigten seit Jahren eine Mitgliedschaft an. Diese wird nun mit Jänner dieses Jahres auf die sogenannten Schwarmarbeiter ausgeweitet, erläutert Streissler-Führer im Gespräch mit dem STANDARD. Für einen Monatsbeitrag von zehn Euro erhalten diese künftig Beratung in arbeitsrechtlichen Fragen und Rechtsschutz. Ziel sei es, in einen Graubereich mehr Transparenz zu bringen und dabei verstehen zu lernen, wie der Markt tickt.

Faire Regeln

Eigene Gesetze braucht es dafür derzeit aus Sicht der Digitalexpertin nicht – zumal die meist grenzüberschreitenden Tätigkeiten nationale Vorstöße erschwerten. Bei Konflikten ließe sich gut beim bestehenden Arbeitsrecht anknüpfen. "Wir wollen auch hier faire, rechtlich saubere Regeln."

Die Österreicher arbeiten dabei mit der deutschen Gewerkschaft IG Metall sowie mit schwedischen und dänischen Kollegen zusammen. Ein Code of Conduct ver bindet Plattformbetreiber, die gute Arbeitsbedingungen zusichern. Bei Verstößen können sich Crowdworker an eine Schlichtungsstelle wenden. Sind österreichische Digitalarbeiter betroffen, werden sie von dort künftig an die österreichische Gewerkschaft weitergeleitet.

Statistisch ist der Markt kaum erfasst. 2016 gaben in einer Umfrage der Uni Hertfordshire gut 18 Prozent der Österreicher an, sich zumindest einmal auf einer dieser Plattformen verdingt zu haben. Eine der raren empirischen Studien dazu erstellte die Düsseldorfer Hans-Böckler-Stiftung. Sie bezifferte das monatliche Einkommen der Klickarbeiter im gleichen Jahr für einfache Tätigkeiten mit im Schnitt lediglich 144 Euro. Höherwertige Aufgaben, etwa im Bereich Design, spielten durchschnittlich kaum mehr als 660 Euro ein.

50 Cent für die Arbeitsstunde

Der Stundenlohn beginnt bei 50 Cent, ergänzt Streissler-Führer, in der Regel werde nach wie vor weit unter dem Mindestlohn bezahlt.

Der Großteil der im Schwarm Beschäftigten ist ledig und gut ausgebildet. Für die meisten sind die feingranularen, kurzfristigen und flexibel gestaltbaren Jobs ein Nebenverdienst. 34 Prozent, die sich damit ihr Haupteinkommen verdienen, sind aber weder gegen Arbeitslosigkeit noch gegen Krankheit versichert. 47 Prozent derselben sorgen nicht für die Pension vor.

Dass sich diese Arbeit per se als selbstständig definieren lässt, was die Auftraggeber von der Sozialversicherung entbindet, bezweifelt Streissler-Führer: Dafür entstehe durch undurchsichtige Bewertungssysteme zu hohe Abhängigkeit von einzelnen Plattformen. Die Bewerbung erfordert persönliche Daten, kontrolliert wird vielfach über Screenshots. Eine private E-Mail, verewigt als Bildschirmfoto, wertet den Schwarmarbeiter rascher, als ihm lieb ist, als unproduktiv ab. (Verena Kainrath, 3.1.2019)