Gehaltstransparenz kann bei Gehaltsverhandlungen die Löhne drücken. Das zeigt eine Untersuchung der Harvard-BWL-Professorin Zoe Cullen und ihrer Kollegen.

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Wer weiß, wie viel seine Kollegen verdienen, kann sein Gehalt besser verhandeln. Das ist das Ziel des Entgelttransparenzgesetzes, das vor einem Jahr in Deutschland in Kraft getreten ist. Wer in einem Betrieb mit mehr als 200 Beschäftigten arbeitet, darf seither Auskunft darüber verlangen, nach welchen Kriterien sein Entgelt festgelegt wurde und was Kollegen des anderen Geschlechts mit vergleichbaren Tätigkeiten verdienen. Nicht nur Gehaltsverhandlungen sollen dadurch erleichtert werden, sondern auch Diskriminierung nach Geschlecht oder anderen Merkmalen leichter erkennbar sein.

Doch bringt das auch wirklich mehr Gleichberechtigung? Eine aktuelle Umfrage, die bisher unveröffentlichte "Randstad ifo Personalleiterbefragung", die dem deutschen Nachrichtenmagazin "Spiegel" vorliegt, zieht eine negative Bilanz zu dem deutschen Gesetz. In 91 Prozent der Firmen hat kein einziger Mitarbeiter Auskunft über die Gehaltsstruktur verlangt. "Eine Wirkung des Entgelttransparenzgesetzes ist bislang weitestgehend ausgeblieben", schreiben die Studienautoren.

Obwohl diese Auskunft nur für Betriebe ab 200 Mitarbeitern verpflichtend ist, haben auch Mitarbeiter in kleineren Unternehmen angefragt – und dort hat es sogar etwas öfter dazu geführt, dass die Bezahlung angeglichen wurde, als in größeren Firmen. Überhaupt führte aber nur jede siebte Anfrage zu einer Gleichstellung der Gehälter. "Interessanterweise scheint dies überwiegend auf freiwilliger Basis zu geschehen", heißt es in der Untersuchung. Warum bei größeren Unternehmen die Auskünfte zu keiner Gehaltsanpassung führten, liegt laut den Studienautoren an den festen Gehaltsschemata, "während in kleinen Unternehmen die Löhne öfter individuell ausgehandelt werden". Dennoch zeige sich, dass die Lohnunterschiede in kleinen Betrieben häufiger seien und mit steigender Mitarbeiterzahl abnehmen.

Transparenz drückt Löhne

Trotz des mangelnden Effekts geben die befragten Personalleiter an, dass das Gesetz zu mehr Diskussionen und Nachdenken über Unterschiede in der Bezahlung geführt habe. Doch bei Gehaltsverhandlungen kann höhere Gehaltstransparenz gar zu niedrigeren Gehältern führen. Zu diesem Ergebnis kommt die Harvard-BWL-Professorin Zoe Cullen mit verschiedenen Koautoren in zwei Studien. In dem Aufsatz "Equilibrium Effects of Pay Transparency" schreiben sie: "Wir stellen fest, dass Gehältertransparenz die Löhne um sieben bis 25 Prozent drückt."

Der Grund liegt für die Studienautoren in sogenannten Gleichgewichtseffekten. Zwar verringert sich der Informationsnachteil in Gehaltsverhandlungen, doch es führt bei den Arbeitgebern dazu, dass sie den Forderungen nicht nachkommen, da sie dann damit rechnen müssen, dass auch andere ihr Gehalt nachverhandeln wollen. Es wird also schwieriger, überdurchschnittliche Gehälter auszuhandeln, das Lohnniveau wird gedrückt.

Hinzu komme, dass Unternehmen, die im Wettbewerb um Arbeitskräfte stehen, Interesse daran haben, die Transparenz zu begrenzen. So können Konkurrenten weniger hart verhandeln, weil die Transparenz geringer ist. Gibt es eine allgemeine Transparenzpflicht oder stimmen sich Betriebe entsprechend ab, hätten Mitarbeiter mit hohen Gehaltsforderungen überall niedrige Chancen. Nicht über das eigene Gehalt zu sprechen kann also auch im Interesse aller Beschäftigten sein.

Situation in Österreich

In Österreich sind Betriebe seit der Gleichbehandlungsnovelle von 2011 verpflichtet, Einkommensberichte zu erstellen und in Stellenanzeigen das Gehalt auszuweisen. Untersuchungen zeigen allerdings, dass Letzteres bisher kaum etwas an der Einkommenssituation von Frauen verändert hat – sondern die Unternehmen sich eher darauf beschränken, den Mindestlohn laut Kollektivvertrag anzugeben. Frauen orientierten sich in Bewerbungsgesprächen häufiger an den ausgeschriebenen Gehältern als männliche Mitbewerber, urteilen Experten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch Cullen und ihre Koautoren in einer weiteren Untersuchung mit einem Laborexperiment: Sie stellten nämlich fest, dass Personen deutlich geringere Löhne fordern, wenn in der Stellenanzeige auf das Gehalt eingegangen wird. Hinzu kommt, dass bei unvollkommener Transparenz Männer die vorhandenen Informationskanäle stärker nutzten als Frauen, um Boni für sich auszuhandeln. (set, 8.1.2019)