Bitte eintreten: Menschen, die ihr zu groß gewordenes Zuhause mit Mitbewohnern teilen wollen, sind noch selten.

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Christine Swoboda und Werner Fritsch in ihrem Zuhause.

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Werner Fritsch und Christine Swoboda leben in einer Wohngemeinschaft. Allerdings in einer ungewöhnlichen: Laute Partys gibt es hier nicht. Auch hängt kein Putzplan am Kühlschrank, denn eine Putzhilfe sorgt regelmäßig für Sauberkeit. Die WG befindet sich nicht in einer abgelebten Altbauwohnung, sondern in einem Einfamilienhaus in bester Lage in Klosterneuburg.

Das Ungewöhnlichste ist aber: Der Boku-Student Werner Fritsch ist 31, die pensionierte Sozialwissenschafterin Christine Swoboda 67. Vor etwas mehr als drei Monaten ist der Salzburger bei ihr eingezogen. Fritsch war auf der Suche nach einer leistbaren Wohnform. Christine Swoboda wünschte sich nach dem Tod ihres Mannes vor zweieinhalb Jahren wieder ein wenig Leben in ihrem Zuhause – und sie brauchte Hilfe im Garten und am Computer.

Der Algorithmus des Wiener Unternehmens WGE! hat die beiden zusammengebracht. Das Unternehmen hat sich auf die Vermittlung von Wohnraum an Alt und Jung spezialisiert. "Es gibt viele ältere Personen, die in großen Wohnungen wohnen und sich irgendwann nicht mehr zurechtfinden", sagt Manuel Schuler, einer der beiden Unternehmensgründer. Wichtig ist ihm: "Bei unserem Modell lernt jeder voneinander."

Langsames Kennenlernen

Vor ziemlich genau einem Jahr trafen sich Fritsch und Swoboda zum ersten Mal – und waren einander sofort sympathisch. Das erzählen die beiden heute beim gemütlichen Teetrinken im Wohnzimmer mit Fernblick. Für das Kennenlernen ließen sie sich viel Zeit. Werner Fritschs Umzug nach Wien stand erst ein halbes Jahr später, im Oktober, an. "Diese Vorlaufzeit war für mich wichtig", sagt Christine Swoboda. Im Frühjahr und Sommer musste sie erst einmal ausmisten – und so Platz für den neuen Mitbewohner schaffen, der nun in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer mit Blick in den Garten lebt.

Aber nicht nur schmucke Einfamilienhäuser auf dem Land werden bei WGE! angeboten, auch große Stadtwohnungen: Ein pensionierter TU-Professor lebt beispielsweise mittlerweile mit zwei jungen Menschen in seiner 200 Quadratmeter großen Altbauwohnung im vierten Bezirk.

Auch in Wohnhäusern für Senioren gibt es Platz: In mehreren Objekten in Wien werden ungenutzte Wohnungen – etwa, weil sie ungünstig geschnitten sind – mittlerweile temporär über WGE! an junge Menschen vermittelt. Damit, so das Argument, werden Leerstände überbrückt. Auch die Bewohner der Seniorenhäuser würden von den jungen Leuten profitieren, ist Lukas Hecke, einer der Unternehmensgründer von WGE!, überzeugt.

Großes Interesse

Die Studierenden zahlen zwischen 200 und 250 Euro Miete und bringen sich im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten – beispielsweise durch die Teilnahme an Ausflügen oder Spielenachmittagen – im Haus ein. Eine solche Wohnform können sich viele junge Menschen vorstellen, sagt Schuler: "Wir können uns vor Anfragen kaum retten."

Ein Schritt, wie ihn Christine Swoboda gewagt hat, ist derzeit aber noch selten. Ihr Umfeld habe überrascht, teilweise auch besorgt darauf reagiert, als sie auf Mitbewohnersuche ging, erzählt sie. "Aber jetzt sind alle immer ganz neugierig und wollen wissen, wie es läuft", sagt sie. Demnächst will sie ihren Mitbewohner auch ersten Freunden vorstellen.

Insgesamt wurden von WGE! laut eigenen Angaben bereits 300 Menschen gematcht und dafür eine Vermittlergebühr kassiert. In Zukunft soll der Service auf ganz Österreich ausgeweitet werden. Irgendwann will man auch den Schritt ins Ausland wagen.

Ein Blick auf die demografische Entwicklung gibt WGE! recht. Generationenübergreifende Wohnprojekte sind in Österreich trotzdem noch selten. Der auf Seniorenwohnen spezialisierte Immobilienentwickler Silver Living hat schon einmal über Wohnprojekte, bei denen Senioren und Studierende unter einem Dach wohnen, nachgedacht.

"Unsere Recherche hat aber gezeigt: Solche Modelle, die auf Freiwilligkeit beruhen, funktionieren eine Zeitlang gut und dann nicht mehr", sagt Geschäftsführer Walter Eichinger. Für einen gewerblichen Entwickler sei der Aufwand daher zu groß. Kleinere, private Initiativen könnten aber durchaus funktionieren.

Abwasch und Licht

Bei WGE! unterstützt man Mieter und Vermieter auch bei Konflikten. Diese seien aber selten: "Die Sachen, die nicht funktionieren, sind die, die in einer normalen WG auch nicht funktionieren", sagt Manuel Schuler über generationenübergreifende Wohngemeinschaften. Die Klassiker: der Abwasch und das Abdrehen des Lichts.

Zwar leben Werner Fritsch und Christine Swoboda unter einem Dach, trotzdem geht jeder seinem Leben nach, das ist den beiden wichtig: "Ich bin den ganzen Tag auf der Uni und beim Sport, und Christine ist auch viel unterwegs", sagt Fritsch. "Aber als Tradition hat sich eingespielt, dass wir gemeinsam frühstücken."

Gekündigt werden kann der Vertrag jederzeit von beiden Seiten. Wie lange die WG besteht, ist offen. Derzeit sehen aber sowohl Christine Swoboda als auch Werner Fritsch ihre WG als Win-win-Situation: "Ich finde den Kontakt mit jungen Menschen bereichernd", so Swoboda. Heute Morgen hat ihr Werner schon mit dem Upload von Fotos auf den Computer geholfen.

Dass ihr Mitbewohner ein Auto hat, sei ein weiterer Vorteil. Und Werner Fritsch freut sich, wenn er spät nach Hause kommt – und mit etwas Glück ein Kochtopf mit noch warmem, aber höllisch scharfem Chili sin Carne auf dem Herd steht.

Auch die Achtsamkeit, die beim Generationenwohnen entsteht, sei ihm wichtig, so Fritsch. Dann lacht er auf: "Und hier muss ich nicht befürchten, dass jemand um vier Uhr morgens Hells Bells in voller Lautstärke hören will." (Franziska Zoidl, 12.1.2019)