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Andy Murray muss aufgeben, die Schmerzen des Profilebens will er sich nicht länger antun.

Foto: AP/Mark Baker

Der Anfang vom Ende hat begonnen. Auf einmal waren's nur noch drei. Die Big Four sind eines der liebsten Konstrukte der Tenniswelt, vier Spieler, die die vergangenen 15 Jahre den Zirkus bestimmten, ihn dominierten. Das Quartett Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray prägte, was es zu prägen gab, gewann quasi alles, was es zu gewinnen gab. Die Konkurrenz ächzte, der Rest musste sich daran messen. Es gelang nur wenigen.

Aus den vier werden noch heuer drei. Der Schotte Andy Murray steigt als Erster vom Podest. Noch vor dem ersten Ballwechsel bei den Australian Open gab der 31-Jährige in Melbourne unter Tränen bekannt, dass es hier wohl sein letztes Turnier sein werde. "Die Schmerzen sind wirklich zu stark. So will ich nicht weiterspielen", sagte Murray und weinte. Wenig später weinte die gesamte Tenniswelt. Verletzungen warfen ihn auf Nummer 230 der Weltrangliste zurück. Just der Körper zwingt den 191 Zentimeter großen Mann aus Dunblane dazu, das Kapitel Tennis zu schließen. In der ersten Runde von Melbourne trifft Murray auf Roberto Bautista Agut. Favorit ist der Spanier.

Die Pressekonferenz.
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Katze und Ambition

Aber selbst im Abschied beißt sich die Katze in den Schwanz, Murray will noch irgendwie in Wimbledon spielen. Am Ort seines vielleicht größten Triumphes. Dort hob er 2012 das britische Tennis aus der Versenkung und gewann als erster Brite seit Fred Perry 1936. Murrays Ambition ist ein Sinnbild seines Spiels. Im Vordergrund steht der Wille, die Verweigerung der Kapitulation. Das Repertoire des Schotten wirkt auf den ersten Blick weit weg von spektakulär: Der Rechtshänder ist nicht so elegant wie Federer oder so druckvoll wie Nadal. Murray gewann aus der Defensive, zermürbte seine Gegner, zwang sie zu mehr Risiko und damit zu mehr Fehlern. Spektakulär wurde es dann, wenn er den Spieß umdrehte, aus der Ausweglosigkeit eine Tugend, also den Punkt machte. Seine große Waffe war der Körper: Murray beherrschte den Platz, pushte sich immer wieder ans Limit und weit darüber hinaus.

Amoklauf in Dunblane

Der Weg in den Tennissport war vorgezeichnet. Mutter Judy, selbst Spielerin, bildete ihn aus. Der ältere Bruder Jamie entwickelte sich zu einem formidablen Doppelspieler. Der Weg hätte aber auch ein abruptes und tragisches Ende finden können: 1996 tötete ein Amokläufer an Andys und Jamies Schule in Dunblane 17 Menschen. Die Brüder überlebten. Murray sprach erst spät darüber. 2005 gewann er in San José sein erstes ATP-Turnier.

Unterm Strich steht eine imposante Bilanz: 45 Turniersiege, darunter 14 Masters-, und drei Grand-Slam-Triumphe (US Open 2012, Wimbledon 2013 und 2016) der Daviscupsieg mit Großbritannien 2015 und zweimal Olympiagold sowie Silber im Mixed. Murray ist der erfolgreichste britische Tennisspieler seit Fred Perry. 41 Wochen war er die Nummer eins der Weltrangliste. 2016 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen, aus Andrew Murray wurde Sir Andrew Murray.

Auf dem Platz war der Sir nicht unbedingt nobel. Der Schotte ist grantig. Meist wegen sich selbst, manchmal auch zu Gegnern und Schiedsrichtern. Murray suderte ständig, seine Mimik und Körperhaltung erinnern an einen Teenager, dem man zuerst die Hausaufgaben anschafft, bevor er in den Hof zu den Freunden spielen gehen darf. Die Schultern hängen, er flucht und zieht Grimassen. "Man wird mich auf dem Platz nie lachen sehen", hat er einmal gesagt.

Die serbische Nemesis

Über die Jahre in der Sonne des Erfolgs baute sich vor allem eine intensive Rivalität zu Novak Djokovic auf. Beide bogen fast gleichzeitig auf die Gewinnerstraße der Karriere ein, Djokovic dominierte zwischen 2014 und 2016 die Tour. Einzig Murray hatte ihm etwas entgegenzusetzen. Am Ende lachte aber meistens der Serbe. Insgesamt fünf Mal musste sich Murray im Australian-Open-Finale Djokovic geschlagen geben, einmal hatte der Serbe bei den French Open das bessere Ende für sich. Im direkten Vergleich steht es 25:11 für Djokovic. Daran wird sich nichts mehr ändern.

2016 gewann Murray in der Wiener Stadthalle.
Tennis TV

Die Ankündigung seines Rücktritts war keine große Überraschung, die hartnäckigen Verletzungen zehrten am Schotten. Die Tenniswelt bebt dennoch. Vor dem Turnier kommentierte er ein Foto von sich und der Trophäe flapsig: "So nahe werde ich dem Pokal nie mehr kommen." Murray ist eine Lichtgestalt im Zirkus, verdiente sich auch neben dem Platz seine Sporen. Als er 2014 als erster Topspieler mit Amelie Mauresmo eine Frau als Coach engagierte, wurde gespottet. Murray war das egal. Immer wieder setzte er sich für Gleichberechtigung und eine Angleichung der Preisgelder ein. Zum Abschied zeigt sich der Tenniszirkus einstimmig: "Andy, du wirst fehlen." (Andreas Hagenauer, 11.1.2018)