Verkörpert eine "keltische" Königin, die ihre Zuschauer mitten ins Herz trifft: die Irin Saoirse Ronan in der Rolle der unglücklichen Schottin Maria Stuart.

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Die schottische Königin Maria Stuart hatte in der Geschichte nicht immer die beste Nachrede. In dem klassischen Trauerspiel von Schiller führte sie darüber Klage: "Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich kann sagen, ich bin besser als mein Ruf." Inzwischen wurde der Konflikt zwischen der katholischen Thronaspirantin und der protestantischen Königin Elisabeth im 16. Jahrhundert aus allen erdenklichen Blickwinkeln betrachtet, allein das Kino hat sich mehrfach mit den beiden Figuren beschäftigt. Und doch schafft es die englische Theatermacherin Josie Rourke, mit Mary Queen of Scots noch einmal eine wie neu wirkende Maria Stuart auf die Leinwand zu bringen.

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Einer der Gründe dafür liegt sicher in der Wahl der Hauptdarstellerin: Saoirse Ronan, aufgewachsen in Irland, war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten deutlich jünger als Katharine Hepburn oder Vanessa Redgrave, die beide um die 30 waren, als sie die Maria Stuart spielten. Dazu kommt ein Punkt, auf den die Regisseurin in Interviews verwiesen hat: Ronan, deren Vorname ein irisches Wort für Freiheit ist, mochte an dem unbedingten Festhalten Marys an ihrem Recht auf den englischen Thron etwas begreifen, was über die individuelle Figur hinausgeht. Etwas Nationales, Überindividuelles. Und auch Ronan selbst deutet ihr Interesse an der Rolle vor dem Hintergrund ihrer Herkunft: "Ich sehe Maria als eine keltische Königin, und ich hoffe, ich bin dem gerecht geworden", erklärt sie beim Interview in Berlin Anfang Jänner. "Irland und Schottland haben unterschiedliche Geschichten, aber in der Beziehung zu England gibt es Parallelen."

Frauen in der Filmindustrie

Für Josie Rourke, die bisher vor allem mit der Leitung des Londoner Donmar-Warehouse-Theaters hervortrat, ist es die erste Filmregie. Unweigerlich wird Mary Queen of Scots nun auch im Kontext der Diskussion um die Rolle der Frauen in der Filmindustrie wahrgenommen. Eine Regisseurin an einem Filmset, das hat viele szenische Ähnlichkeiten mit dem Protokoll einer Herrscherpersönlichkeit in einem höfischen Setting. An der Grundidee einer Rehabilitierung von Mary hält auch Saoirse Ronan fest: "Ich glaube, Mary hatte politisch mehr drauf, als ihr die Geschichte zugesteht. Sie kam aus einer langen Tradition von Herrschern, sie war nicht dumm, sie wusste, was sie tat, sie konnte Menschen für sich einnehmen."

Das Problem (das Traurige am Trauerspiel) entsteht daraus, dass im Grunde beide Frauen recht haben. Ronan analysiert den Konflikt so: "Man sieht zwei Frauen, die Macht hatten und gezwungen waren, darauf zu beharren. Mary wollte aber noch viel mehr. Sie wollte Liebe und ein Kind, und sie wollte das Sagen haben, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als zum Äußersten zu gehen." Das Äußerste ist das bekannte historische Faktum: Mary, Queen of Scots wurde hingerichtet.

Bei Rourke stirbt sie in einem roten Kleid. Davor gibt es aber noch eine Szene, für die es viel Kritik gab, obwohl auch Schiller sich schon die Freiheit genommen hatte, die beiden Frauen aufeinandertreffen zu lassen. Tatsächlich kam es wohl nie zu einer Begegnung. Und wenn die Chroniken davon nichts mitbekamen, dann fand das Treffen wohl kaum in der Form statt, in der es in Mary Queen of Scots gezeigt wird: In einer Hütte hängen halbtransparente Tücher von der Decke, dahinter verbirgt sich irgendwo Elizabeth, die bleiche Königin.

Mysteriöse Körper

Saoirse Ronan beschreibt die Begegnung als "einen Tanz. Wir können einander nicht sehen, zur Orientierung dienen nur die anderen Sinne." Es ist eine sehr sinnliche Szene, die auf eine weibliche Weise etwas von der mysteriösen Körperlichkeit von Souveränen andeutet, von denen man ja sagt, sie hätten einen Körper hier in der Welt und einen bei Gott. Für Ronan war diese Szene auch deswegen so spannend, weil sie nur hier ("nur für einen Drehtag, wir haben gerade einmal zwei Stunden geprobt") auf Margot Robbie traf, die Darstellerin von Elizabeth.

Für die Karriere von Saoirse Ronan dürfte Mary Queen of Scots einen weiteren Schritt zum Weltruhm bedeuten. Während der Dreharbeiten startete gerade Ladybird von Greta Gerwig durch, für den sie eine Oscar-Nominierung erhielt. Der Preis ging an Frances McDormand, was für Ronan voll in Ordnung ging: "Fran ist eine Legende. Und sie hat den Preis auf eine Weise in Empfang genommen, dass alle Frauen sich mitgemeint fühlen konnten. Ich habe gern gegen sie verloren."

Und nun, da Ronan die Werbetrommel für Mary Queen of Scots rührt, könnte sie schon wieder für eine Oscar-Nominierung infrage kommen. Ob dann noch Zeit sein wird, sich die anderen Mary Stuarts anzuschauen? "Um ehrlich zu sein, ich habe das bisher vermieden." Jede Zeit bekommt ihre eigene Queen of Scots. Die von Saoirse Ronan und Josie Rourke passt sogar zur heutigen Jugendsprache: Man sieht "das Ärgste" ganz ohne Missbilligung. (Bert Rebhandl, 18.1.2019)