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Jeder Schuss ein Treffer. Zwei Frauen (Emma Stone, li., und Rachel Weisz) stehen in "The Favourite" im Duell um die Gunst der Königin.

Foto: Centfox

Die Königin ist ein großes ungezogenes Kind. Wenn ihr die Schönheit von etwas, an dem sie keinen Anteil hat, zur Qual wird, beginnt sie mit nervenschmirgelnder Stimme zu plärren, bis Ruhe einkehrt. Gegen ihre abrupten Stimmungsschwankungen sind alle am Hof machtlos, bis auf eine: ihre engste Vertraute. Sarah Churchill (Rachel Weisz), kurz Lady Marlborough genannt, kennt Queen Anne (Olivia Colman) seit ihrer Jugend. Nur sie liest ihr alle Begehrlichkeiten von den Lippen ab. Sie sagt ihr aber auch auf den Kopf zu, dass sie einem Dachs ähnele, wenn sie wieder einmal zu stark geschminkt ist. Um dann an ihrer statt die Geschäfte zu führen.

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Bisweilen muss man die Regeln brechen, um die Konventionen zu sprengen. Gerade beim Kostümfilm, dem "period piece", scheinen Regisseure gern dem Irrglauben zu folgen, gesellschaftliche Zwänge in einer betulichen Form spiegeln zu müssen. Nichts davon wird man in Yorgos Lanthimos' The Favourite finden, der sich dem Genre mit unbändiger Lust an der Überschreitung nähert. Die Kamera des Iren Robbie Ryan verzerrt die monarchischen Räumlichkeiten mit Weitwinkelobjektiven oder wischt die Wände entlang, als stünden sie auf einem fremden Planeten. Beim höfischen Tanz wird Sarah wie bei einer Hip-Hop-Einlage um den Nacken gewirbelt.

Am Hof von Queen Anne, der letzten Stuart (1665-1714), geht es bei Lanthimos zu wie in einer Sex-Comedy von Ernst Lubitsch. Allerdings weniger elegant und zurückhaltend, was den Einsatz von manipulativer Härte betrifft. Die Figuren platzen fast vor Geltungsdrang. Sie stellen ihre Begierden unverblümt zur Schau. Intrigen hat man noch selten so beherzt, so unbeirrt ausgeführt gesehen. Die Direktheit, mit der hier um Macht und Einfluss gefochten wird, macht den Film äußert zeitgemäß.

Sex als effektive Währung

The Favourite steckt drei Frauen in die Hochdruckkammer der Kabale. Abigail Hill (Emma Stone) ist der Neuankömmling, eine sozial tief gefallene Lady, Cousine von Sarah, die sich am Hof rehabilitieren will. Bei ihrer Ankunft umschwirren sie noch Fliegen, doch sie wird den Geruch der Vergangenheit bald los. Schon früh zeigt Lanthimos Sarah und Abigail gemeinsam beim Taubenschießen und deutet an, mit welcher Vehemenz der Verdrängungskampf geführt werden wird. Die Neue lernt schnell, erweist sich wie schon Sarah in den Gemächern der Königin als gefällig. Sex ist in The Favourite die Währung, mit der man am schnellsten zum Ziel gelangt.

Lanthimos hat schon mit Dogtooth, später mit The Lobster und The Killing of a Sacred Deer gezeigt, wie souverän er soziale Wirklichkeiten mit einem anderen Dreh aufzuspannen vermag. Mit The Favourite stellt er seinen surrealen Blick auf Gesellschaftsentwürfe erstmals an einem historischen Stoff unter Beweis. Allerdings ist beim Drehbuch von Deborah Davis und Tony McNamara weniger dazuerfunden, als man bei der Fülle an exzentrischen Details für möglich halten würde. Über die lesbischen Neigungen der Königin kursierten schon zu Lebzeiten Gerüchte. Dass sie von Gichtanfällen geplagt wurde, ist ebenso belegt. Der Film baut diese Bestandteile psychologisch aus, bis man meint, alles an dieser Welt sei wahnhaft, dekadent.

Bewegliche Machtpositionen

Es ist in Wahrheit aber völlig schlüssig, dass Lanthimos diese Details als Teil der Politik versteht. Lady Marlborough nutzt ihren Einfluss auf die Queen, um das Parlament für ihre Zwecke, speziell die Verlängerung der Spanischen Erbfolgekriege, einzuspannen. Abigail denkt dagegen mehr an das eigene Auskommen, sie sei "always on my side", sagt sie. Was sie jedoch noch effektiver macht, weil sie einmal weniger um die Ecke denken muss.

Der große Unterhaltungswert des Films kommt daher, dass die Machtpositionen beweglich bleiben. Einmal hat Sarah die Nase vorn, einmal Abigail, aber auch die Königin weiß in ihren klaren Momenten ihre Autorität zu nutzen. Lanthimos hat ein untrügliches Gespür für die Elastizität dieser Dreierkonstellation. Und er hat Darstellerinnen, die mit Hingabe spielen. Es ist dennoch Colman, die inmitten ihrer 17 Kaninchen (ein jedes davon steht für ein verlorenes Kind) das leere Zentrum der Macht besetzt. Unberechenbar, manisch, verloren – eine umwerfende Darstellung, der jeder Preis gebührt. (Dominik Kamalzadeh, 22.1.2019)