Impfungen sind unnatürlich, denkt Jessica, Protagonistin im Film "Eingeimpft" und Lebensgefährtin des Regisseurs. Ihre Angst vor dem Metall in Impfungen ist groß. Oft muss sie weinen.

Foto: Flare Film Adrian Stähli

Gar nicht so lustige Faschingsszene: Regisseur Sieveking verkleidet sich mit einem Desinfektionsanzug und geht mit seiner ungeimpften Tochter auf eine Party – während in Berlin gerade die Masern grassieren.

Foto: Flare Film Adrian Stähli

Es beginnt alles wunderbar harmlos. Der deutsche Regisseur David Sieveking und seine sympathische Frau Jessica de Rooij gründen eine Familie. Als Zuschauer darf man dabei sein, wie das junge Paar, Selbstdarsteller ihres eigenen Privatlebens, per Schwangerschaftstest feststellt, dass sie bald zu dritt sein werden. Alles könnte eigentlich eitel Wonne sein – bis zum Besuch bei der Frauenärztin und ihrer Aufforderung, sich gegen Tuberkulose impfen zu lassen, um das Baby in ihrem Bauch zu schützen.

Jessica weint, ihr Mann ist verständnisvoll. Während er der Ärztin vertraut und Impfungen prinzipiell gut findet, geht er dann doch auf die Bedenken seiner Lebensgefährtin ein. Er will – wie Robin Hood – die Wahrheit herausfinden und aus seiner Recherche einen Film machen. Dafür begibt er sich auf Argumentationssuche, redet mit Experten, liest Bücher und surft im Internet. Er tut es authentisch und naiv ohne Vorwissen, so wie es eben viele junge Eltern tun, wenn sie plötzlich Verantwortung für das Leben ihrer Kinder tragen. Bei alldem ist die Kamera dabei.

Gefühle bei Impfungen

Was der sympathische Regisseur sich wünschen würde, sind simple Erklärungen. Er bemüht sich auch redlich, holt lustige Bildchen und Erklärpassagen in seinen Dokumentarfilm. Als wahre Gegendarstellerin entpuppt sich allerdings seine Frau Jessica. Impfungen machten sie krank, sie vertrage sie einfach nicht, und überhaupt, der süßen Tochter "Metall reinzuspritzen? Da habe ich ein ganz schlechtes Gefühl", darf sie im Film sagen. Und genau diese Dynamik bleibt auch die Triebfeder.

Was vermeintlich objektiv klingt, ist eine gezielt aus Versatzstücken aufgebaute Sicht auf die Dinge, die alle Stereotype der Impfgegner bedient. Die Protagonisten im Film stehen dem Gesundheitswesen und seinen Akteuren skeptisch gegenüber. Ihre zutiefst individualistische Sicht auf die Welt lässt sie Gefahren falsch einschätzen. Vor allem: Statistik ist nicht etwas, was sich mit einem naiven Blick so einfach verstehen lässt, und schon gar nicht, wenn damit die Angst um die eigenen Kinder verbunden ist.

Den Filmszenen von der grauen Theorie folgen immer wieder überaus authentische Passagen aus dem Familienleben: die ständig kranke kleine Tochter, die überlastete Mutter, Wohnungssuche, Spielplatzszenen und Kindergarten. Selbst während einer Masern-Epidemie zögern die Eltern mit der Impfung, weil sie sich ja sowieso auf die anderen verlassen wollen – Stichwort Herdenschutz: Die anderen sind geimpft, da brauchen wir es nicht tun. Da gibt es eine Szene, in der die ach so sensible Familie plötzlich ihr sehr egoistisches, rücksichtsloses Gesicht gegenüber der Gesellschaft zeigt.

Das Weite suchen

Sieveking holt eine Reihe von Impfgegnern vor die Kamera. Wirklich absurd ist dann seine Recherche in Afrika, die ihn schlussendlich zu der Erkenntnis bringt, dass "Lebendimpfstoffe eher gut und Totimpfstoffe eher schlecht" sind. Deshalb wird dann die kleine Tochter mit mittlerweile fast drei Jahren gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft. Sieveking vertraut einem einzelnen dänischen Forscher in Afrika mehr als renommierten Medizinern in Europa und den USA.

Als Sievekings Film im Herbst vergangenen Jahres in den deutschen Kinos erschien, löste er eine Welle von Reaktionen aus. "Der Film wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet, der Regisseur sucht offensiv Experten aus, die eine andere Meinung haben, als es dem wissenschaftlichen Konsens entspricht", sagt Cornelia Betsch, Expertin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, und das verunsichere Eltern.

"Aus wissenschaftlicher Sicht enthält der Film einen unverhältnismäßig hohen Anteil von Falschinformation", sagt Philipp Schmid von der Uni Erfurt, der sich als Doktorand mit dem Phänomen des "Science Denialism" (Wissenschaftsleugnung) beschäftigt. Eine filmische Inszenierung sei etwas anderes als die objektive Aufbereitung eines Themas. Der Film sei "pseudomäßig objektiv gemacht", pflichtet ihm Kai Schulze, Vakzinologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, bei.

Verschwörung wittern

Es geht schließlich auch darum, dass Sieveking gedankliche Verbindungen sehr willkürlich herstellt. Die schwangere Jessica wird geimpft, ist dann wochenlang krank, und das wird im Film mit der Impfung in Zusammenhang gebracht und von einer Hebamme bestätigt. Mit dieser These geht dann der Film weiter. Das ist irreführend und klammert viele Fakten aus.

Denn dass Impfungen das Leben der Menschheit insgesamt besser gemacht haben, ist eine unverrückbare, vielfach bewiesene Tatsache. Die Messgröße dafür ist die Kindersterblichkeit. Vielleicht hätte man Sieveking bei den Recherchen zu seinem Film statt impfkritischer Bücher auch Hans Roslings "Factfulness" empfehlen können. Er belegt mit Zahlen, dass Impfungen den Tod von Millionen Kindern verhindert haben. Was Rosling auch sagt: Die wenigsten Laien können statistische Daten tatsächlich einschätzen – der Regisseur dieses Films ist sicherlich einer davon.

Lebensgefährliches Leben

In einer der letzten Szenen fährt David Sieveking mit dem Fahrrad los, seine Tochter am Kinderbike hinterher. Der Regisseur hätte sich die statistischen Daten zum Unfallrisiko im Straßenverkehr ansehen sollen, um festzustellen, wie gefährlich diese alltägliche Fortbewegungsart ist – im Vergleich zum Impfen zum Beispiel.

Fazit: Als Informationsfilm eignet sich dieser Dokumentarstreifen nicht. Er wird Eltern ohne medizinisches Vorwissen verunsichern und eher ratlos zurücklassen. Impfbefürworter werden sich über die versatzstückartige Montage irgendwelcher Tatsachen ärgern. Und Impfgegner? Auch sie werden keine Freude haben, denn gegen drei schwere Krankheiten werden Sievekings Kinder ja dann doch noch geimpft – hoffentlich verschont sie ihr behütetes Leben vor allen anderen Keimen, gegen die sie nicht geimpft sind. (Karin Pollack, 24.1.2019)