Momentan lässt die europäische Rechte (im Bild der Italiener Matteo Salvini, sitzend) keine Gelegenheit aus, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron (Hintergrund) zu attackieren.

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Die Europawahlen stehen erst Ende Mai an, doch schon jetzt mehren sich die schrillen Wahlkampftöne – und die sind neuerdings nationalistisch; Wortmeldungen, in denen nicht vor offener Kritik an Nachbarländern haltgemacht wird, obwohl sie auf – gezielten – Fehlinformationen beruhen.

So war es auch zuletzt bei der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftspaktes in Aachen. In Paris wetterte Marine Le Pen, die Chefin des Rassemblement National, dieses Abkommen stelle das Elsass unter deutsche "Vormundschaft"; auch zwinge es Frankreich, seine Atomwaffen und seinen permanenten Sitz im Uno-Sicherheitsrat mit Deutschland zu "teilen". Der rechte EU-Abgeordnete Bernard Monot twitterte: "Wie Judas wird Herr Macron das Elsass und Lothringen an eine fremde Macht ausliefern."

Alles Fake-News. Das neue Abkommen erwähnt das Elsass nicht einmal – es sieht bloß vor, dass die Grenzregionen am Rhein die Sprache des jeweiligen Nachbarn "fördern" sollen. Und die vereinbarte Beistandspflicht geht nicht weiter, als sie schon seit Jahrzehnten im Nato-Bündnis festgeschrieben ist. Und was den Sitz im Uno-Sicherheitsrat betrifft, steht eine im Pakt nicht einmal angedeutete "Teilung" für Paris außer Frage.

Das kümmert die Lepenisten alles nicht: Ihnen geht es darum, den Europawahlkampf mit antideutschen Untertönen auf eine "nationale" Metaebene zu heben. Dazu sind ihnen alle Mittel recht, selbst die unredlichsten.

Regierung gegen Regierung

Direkte Attacken gegen Nachbarländer sind ein ziemliches Novum – vor allem, wenn sie nicht nur von Parteipolitikern, sondern sogar von offiziellen Regierungsvertretern ausgehen.

Ein Beispiel gab diese Woche der italienische Vizepremier und Arbeitsminister Luigi Di Maio: Zur Migration über das Mittelmeer komme es seiner Meinung nach auch deshalb, "weil einzelne europäische Länder, allen voran Frankreich, nicht aufgehört haben, Dutzende afrikanischer Länder zu kolonisieren". Zur Begründung behauptete der Leader der Fünf-Sterne-Bewegung: "Frankreich druckt eine Währung – den Franc der Kolonien – und finanziert damit seine Staatsschuld."

Damit liegt Di Maio daneben. Er beruft sich auf Arbeiten des togolesischen Ökonomen Mawuna Koutonin, der nachgewiesen haben will, wie die ehemalige Kolonialmacht Frankreich die regionale Einheitswährung CFA-Franc machtpolitisch nutzt. Ja, die Bindung an den Euro erlaubt West- und Zentralafrika eine gewisse Währungsstabilität; als Pfand müssen die 14 betroffenen Staaten aber ihre Währungsreserven in Paris deponieren. Frankreich sichert sich damit Einfluss, finanziert aber nicht seine eigene Staatsschuld.

Zudem stammen nur 15 Prozent der Migranten aus diesen zentral- und westafrikanischen Ländern; die meisten kommen aus Ostafrika. Dort herrschten teilweise aber andere Kolonialisten wie die Briten oder die Italiener.

"Keine Lektionen in Moral"

Reichlich verschnupft bestellte Frankreich deshalb am Dienstag die italienische Botschafterin ein. In Rom legte Innenminister Matteo Salvini von der Rechtspartei Lega, auch er wie Di Maio Vizepremier, nach: Frankreich "entziehe Afrika Reichtum". Lektionen in Moral akzeptiere er nicht, "am allerwenigsten von Herrn Macron", von dem sich die Franzosen befreien sollten. Denn auch in Libyen sei Frankreich nur am Erdöl interessiert. Das mag zutreffen, doch der italienische Energiekonzern Eni ist in Libyen bedeutend stärker engagiert als sein französischer Konkurrent Total.

Die Debatte ist nicht neu. Die Regierungen in Rom und Paris setzen in Libyen auf verfeindete Exponenten, um die Lage zu stabilisieren. Sehr wohl neu ist, dass die Dinge in dem alten Bruderstreit zwischen Frankreich und Italien erstmals offen ausgesprochen werden. Das hat auch sein Gutes, kann es doch die Debatte über das europäische Verhältnis zu Afrika weiterbringen.

Inhaltlich sind die von Le Pen oder Salvini eingenommenen Standpunkte indes mehr als fragwürdig – und das nicht nur, weil sie mit haltlosen Behauptungen operieren: Sie machen Nachbarländern den gleichen Vorwurf – den eines egoistischen nationalen Vorgehens -, der auf ihre eigenen Länder zutrifft. Oft beanspruchen sie sogar dasselbe Vorgehen für ihr Land.

All diese rhetorischen Scharmützel über die Landesgrenzen hinweg geben nicht nur einen Vorgeschmack auf den Europawahlkampf. Sie dürften auch die darauffolgenden Debatten im Europaparlament beherrschen, wo Rechts- und Linkspopulisten mit einer deutlichen Verstärkung ihrer Reihen rechnen dürfen. (Stefan Brändle aus Paris, 23.1.2019)