Mit einer aufsehenerregende Publikation in Fachzeitschrift "Science" machen deutsche Wissenschafter des Universitätsklinikums Freiburg auf sich aufmerksam: Sie haben im Gehirn bisher unbekannte Immunzellen entdeckt, die im Verlauf von chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie etwa Multipler Sklerose eine wichtige Rolle spielen könnten.

Der Nachweis gelang mittels einer neuen, hochauflösenden Methode zur Untersuchung von Einzelzellen. So konnten die Forscher aus Freiburg und München eine Art Immunzell-Atlas für das Gehirn erstellen. Sie zeigten außerdem, wie diese Zellen die Autoimmun-Erkrankung MS vorantreiben. "Wir haben die Hoffnung, dass jetzt neue zellspezifischere und nebenwirkungsarme Therapieansätze entwickelt werden können, mit denen sich entzündliche Erkrankungen wie MS behandeln lassen", sagt Projektleiter Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg. "Das Hauptproblem bei der bisher unzureichenden Therapie war, dass das gesamte Immunsystem gehemmt wurde. Wir konnten jedoch neuartige Subtypen von Zellen finden, die spezifisch für die lokale Entzündung und Zerstörung bei der MS sind. Die könnten somit ganz gezielt ausgeschaltet werden", sagt Prinz.

Fresszellen im Blut

Vor allem Frauen leiden unter Multipler Sklerose Multiple Sklerose, typischerweise tritt die Erkrankung im Alter zwischen 20 und 40 Jahren erstmals auf. "Man nimmt an, dass die MS eine Autoimmunerkrankung ist, bei der Immunzellen irrtümlicherweise Strukturen des zentralen Nervensystems angreifen und dadurch die Entzündung hervorrufen", erklärt Prinz. Dass bei der MS Fresszellen des Blutes und des Gehirns beteiligt sind, wusste man schon seit vielen Jahren; welche Subtypen genau, war jedoch bislang unklar.

Durch die Verwendung neuester, hochauflösender Einzel-Zellmethoden ist es den Forschern gelungen, die komplexe Zusammensetzung der am Entzündungsherd vorhandenen Zellen, das sogenannte Entzündungsinfiltrat, zu entschlüsseln. So konnten sie einen neuen Immunzell-Atlas des Gehirns etablieren. Die von den Forschern verwendeten Einzelzellanalysen (englisch single cell analyses) sind neuartig und können in der Medizin für die Untersuchung einzelner Zellen aus Geweben verwendet werden.

Chronisch aktiv

In den Augen der Forscher haben sie ein enormes Potential. "Diese Methoden erlauben uns, ein völlig neues zelluläres Bild von sehr komplexen Geweben wir dem Hirn zu erlangen", sagt Dominic Grün, einer der Pioniere dieser Technik und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik Freiburg, der an dieser Studie beteiligt war.

Die Erstautorin der Studie Marta Joana Costa Jordão, Doktorandin am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg, konnte darüber hinaus zeigen, dass verschiedene Fresszellen im Gehirn während der Erkrankung chronisch aktiviert bleiben. Bislang wurde angenommen, dass sie durch zirkulierende Blutzellen rasch erneuert werden. "Diese Daueraktivierung der Immunzellen könnte erklären, warum bei MS das Gehirn über Jahre chronisch angegriffen wird", sagt Costa Jordão. (red, 28.1.2019)