Sebastian Kurz hat eine Agenda: das "System Österreich" mit Konsensdemokratie, Sozialpartnerschaft und dem sozialdemokratischen Versorgungsstaat zu überwinden (siehe Teil I ).

Das ist ein legitimes politisches Ziel. Ob es den Österreichern, die ihn wegen seiner harten Flüchtlingslinie gewählt haben, auf Dauer gefällt, ist eine andere Frage. Die meisten Österreicher sind für den üppigen Sozialstaat, es sollen nur nicht Migranten und "Durchschummler" davon profitieren.

Aber der entscheidende Punkt in der großen Sebastian-Kurz-Saga ist, dass er zur Umsetzung seiner Ziele auf die FPÖ angewiesen bleibt. Diese Partei ist rechtspopulistisch. Das ist Kurz über weite Strecken auch. Aber die FPÖ ist in Teilen auch rechtsextrem und das ist der Punkt, wo sich das politische Geschick des Kanzlers Kurz (und implizit das Österreichs) entscheiden wird.

Kurz selbst fragte manchmal vorwurfsvoll im kleinen Kreis, warum man es ihm nicht anrechne, dass er Heinz-Christian Strache als Kanzler verhindert habe, obwohl dieser 2016 in den Umfragen weit vorn lag. Da ist was dran.

Der Preis dafür war aber eine inhaltliche Annäherung der türkisen ÖVP an die FPÖ. Und eben die Koalition mit der rechtspopulistisch/rechtsextremen FPÖ.

Hier stellt sich die Frage nach dem Geschichtsbild und letztlich dem Demokratiebild von Kurz. Die FPÖ ist aus ihrer deutschnationalen/Ex-Nazi-Geschichte zu begreifen. Sie wird heute komplett von einer schattenhaften, großteils rechtsextremen Clique beherrscht, den schlagenden Burschenschaften. Dass Herbert Kickl die Menschenrechtskonvention aushebeln will, dass Johann Gudenus bei der antisemitischen Kampagne gegen George Soros mitmacht, ist tendenziell rechtsextrem.

Wegschaukapazität

Sebastian Kurz äußert sich dazu nicht deutlich. Er tritt immer wieder eindeutig gegen Antisemitismus und Verharmlosung der NS-Zeit auf. Es reicht ihm offenbar, dass Strache das auch tut. Aber Kurz ignoriert die zweite und dritte Reihe der FPÖ, wo es ständig nazioide "Einzelfälle" gibt.

Die Wegschaukapazität von Kurz wird im EU-Wahlkampf wieder stark strapaziert werden. Für Kurz selbst ist die EU weniger eine großartige Vision als ein Konstrukt, das man stutzen muss. Zur Tatsache, dass sein Partner FPÖ gemeinsame Sache mit EU-Zerstörern wie Le Pen, Orbán, Salvini et cetera macht, hört man von Kurz immer nur, es gebe in der EU "die moralisch Überlegenen, die glauben, andere erziehen zu müssen".

Klingt nach großer Toleranz für die Intoleranten. Das heißt nicht, dass Kurz selbst ein Antidemokrat wäre. Er sieht nur keine großen Probleme mit demokratisch zweifelhaften Partnern, inner- und außerösterreichisch.

Das mag seinem Selbstverständnis geschuldet sein, dass er als politisches Supertalent mit diesen Leuten schon fertigwird. Enden kann das auf verschiedene Weise: a) Kurz trennt sich von einer FPÖ, die zu einer Belastung geworden ist, und koaliert mit einer anderen Partei; b) die FPÖ implodiert wie schon zweimal wegen ihrer strukturellen Regierungsunfähigkeit und reißt Kurz mit; oder c) die FPÖ wird mit und durch Kurz auf lange Sicht ein fester Bestandteil der Institutionen des Landes, das damit sehr deutlich in Richtung illiberale Demokratie rückt. (Hans Rauscher, 5.2.2019)