Biographien und Bücher über Politiker hatten im vergangenen Jahr Hochkonjunktur. Vom politischen “Wunderkind“ über den staatsmännischen Rebellen bis hin zum zwar politisch denkenden aber menschlich und sozial handelnden Bürgermeister, wurden uns Erzählungen, und teilweise unbeabsichtigt, politische Psychogramme offeriert. Handelt es sich bei derartigen Image-Kampagnen von Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und Michael Ludwig um eine besonders kreative Form des "Storytellings" oder doch eher nur um eine eindimensionale politmediale Inszenierung?

Die Bewertung und Analyse sei dem Konsumenten überlassen. Viel interessanter ist was derartige Hochglanzlektüren uns nicht sagen, uns aber gerade deswegen unbewusst verraten. Der russische Schachweltmeister und Politiker Garri Kasparow, der sich einst mit dem IBM-Supercomputer "Deep Blue" vielbeachtete Duelle lieferte, hielt treffend fest, dass in jeder Biografie Dinge stehen, die niemals passiert sind, denn Menschen mögen Mythen. Insofern ist der Trend zu etwas dick aufgetragenen Lebensgeschichten von Politikern allen Couleurs nichts wirklich Verwerfliches. Unabhängig davon ist jeder Mensch durch seine Biographie geprägt. Diese trägt eine entwicklungstechnische DNA mit allen qualitativen Facetten in sich. Nicht ohne Grund ist der methodische Ansatz des biographischen Inventars in der psychologischen Diagnostik ein durchaus bewährtes Mittel grundsätzlich überprüfbare Informationen aus der Lebensgeschichte der zu untersuchenden Person zu sammeln, um mögliche Ableitungen in Bezug auf die Zukunft von ebendiesen zu treffen.

Was sagen uns die Polit-Biographien über die Politiker aus?
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Unbewusstes Polit-Profiling

Der Einfluss des Unbewussten ist oft wesentlich größer als die bewusst mit allen schriftstellerischen, historischen oder kommunikationswissenschaftlichen Tricks und Kniffen geschlagenen Haken. Je dicker man in einer Geschichte oder beim Entwickeln einer Heldensage über eine Person aufträgt, desto eher wird der Leser zum Reflektieren über die Stimmigkeit des Wahrgenommenen angeregt. Die daraus resultierende kognitive Dissonanz, sprich Unstimmigkeit, gepaart mit Reaktanz oder Abwehr gegenüber dem zu stark Beschönigten lenkt den Konsumenten des Politepos auf Facetten des so liebevoll in Szene gesetzten Politschützlings, die man eher im Verborgenen belassen hätte.

Ob dies nun der Studienerfolg, spätpubertäre Auswüchse oder das eher farblose Profil sind, ist da eher von sekundärer Bedeutung. Zentral ist, dass durch einen unbeabsichtigten Kontrasteffekt in vielen Fällen gerade jene Aspekte an die Oberfläche des Bewusstseins des interessierten Rezipienten der politliterarischen Werke treten, die man mit aller Mühe zu verschleiern versuchte. Diese im weiteren Sinne komplexe Abwehrreaktion, welche auch als spezielle Form der Reaktanz interpretierbar ist, kann als Widerstand gegen Manipulationsversuche aufgefasst werden. So gibt man dem Leser ebenso nicht die intendierte Chance den jeweiligen Politiker als positive Projektionsoberfläche zu nutzen.

Jahrmarkt der Eitelkeiten

Aus der Sozialpsychologie wissen wir, dass eine derartige kognitive Dissonanz, verursacht durch einen zu starken Kontrast zwischen in Buchform aufgebautem Mythos und einer diesem offensichtlich entgegenstehenden Realität, als unangenehmer Gefühlszustand wahrgenommen wird. Daher geht der Schuss sprichwörtlich nach hinten los. Sich ein klein wenig seltener auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zu bewegen oder ein etwas differenzierteres Tiefstapeln wäre hier strategisch wesentlich effektiver und intelligenter.

Denn wie Geschichten österreichischer Politiker aus der "Vanity Fair" ausgehen können, wissen wir ebenfalls. Legt man das Gedicht "Stufen" von Hermann Hesse auf die Türkis-Blaue Regierung um, so wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Spannend wird zu sehen, was wir uns 2019 von den in den verheißungsvollen Biographien dargestellten politischen Persönlichkeiten erwarten können, sobald sich der romantische Schleier legt. In dem frisch angebrochenen Jahr wird sich die Spreu vom Weizen wieder etwas mehr trennen. Außerdem wusste schon Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar". (Daniel Witzeling, 18.2.2019)

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