Schon lange bevor die Regierung am Mittwochvormittag beim Ministerrat hochoffiziell ihre anvisierten Verschärfungen für Gewalttäter präsentiert, sorgten die koalitionären Pläne für Skepsis und Widerstand, wie im Bericht der koalitionären Taskforce, der dem STANDARD vorliegt, nachzulesen ist.

Kurz, Strache & Co wollen angesichts einer Reihe aufsehenerregender Tötungsdelikte gegen Frauen, dass Vergewaltiger unbedingt ins Gefängnis müssen. Anderen Übeltätern, die etwa Wehrlosen mehr als ein Jahr lang zusetzen, sollen ein bis zehn Jahre Haft drohen – bisher war es nur die Hälfte.

Nicht erforderlich

Doch die Kommission der Regierung hegte schon in ihrem mit 15. Jänner 2019 datierten Bericht Bedenken gegen derartige Ansinnen. Konkret steht darin, "dass eine Strafschärfung bei den Delikten gegen Leib und Leben, die Freiheit und die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung grundsätzlich nicht erforderlich" sei – auch wenn in einzelnen Bereichen "einstimmig bzw. mehrheitlich Nachschärfungen befürwortet" wurden.

Was Gewaltschutzeinrichtungen kritisieren, ist die große Kluft zwischen Anzeigen und Verurteilungen bei Vergewaltigungen – weniger das Strafausmaß.
Foto: Christian Fischer

Wie ein Blick in die aktuellste Statistik des Innenministeriums und der Statistik Austria zeigt, sind etwa bedingte Verurteilungen bei Vergewaltigungen bereits beträchtlich gesunken. Im Jahr 2017 gab es wegen dieses Delikts österreichweit exakt 90 Verurteilungen, wovon nur sechs vollständig bedingt ausgesprochen wurden – was einem Anteil von 6,67 Prozent entspricht. In den vergangenen zehn Jahren lag der Prozentsatz der gänzlich bedingten Verurteilungen bei Vergewaltigung bei 11,44 Prozent.

Was Gewaltschutzeinrichtungen daher viel mehr kritisieren, ist die große Kluft zwischen Anzeigen und Verurteilungen: Denn auf insgesamt 8508 angezeigte Vergewaltigungen folgten zwischen 2008 und 2017 979 Verurteilungen – was eine Quote von nur 11,44 Prozent ausmacht.

Auch im Bericht der Taskforce wird auf eine "Untersuchung der Strafenpraxis bei Körperverletzungsdelikten, fahrlässiger Tötung und Sexualstraftaten für die Jahre 2008 bis 2017" verwiesen, die das Justizministerium in Auftrag gegeben hat. Erstellt wurde die 80-seitige Expertise von Strafrechtsprofessor Christian Grafl sowie Universitätsassistentin Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien.

Die Studienautoren kommen zum Schluss, dass die derzeitigen Strafen ausreichen: "Insgesamt ist für die untersuchten Delikte und die untersuchte Population in den letzten zehn Jahren eine Tendenz zu einer strenger werdenden Strafenpraxis festzustellen."

Bei vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten seien die Geldstrafen "tendenziell" gesunken und mehr Freiheitsstrafen verhängt worden. Wobei die Strafrechtsexperten auf ein Ost-West-Gefälle aufmerksam machten: Im Sprengel des Oberlandesgerichts (OLG) Innsbruck würden öfter Geldstrafen verhängt als vor allem im OLG-Sprengel Wien.

Zudem resümieren die Experten, dass die Urteile bei schwerer und absichtlicher schwerer Körperverletzung strenger geworden seien. Sie führen das auf das Strafrechtsänderungsgesetz von 2015 zurück, das bereits höhere Strafdrohungen vorsieht.

Genau deswegen rieten die Studienautoren hinsichtlich weiterer Gesetzesänderungen zum Abwarten: Ein Beobachtungszeitraum von zwei Jahren sei zu kurz.

Psychogewalt fehlt

Im Detail sieht das rund 170-seitige Konvolut der Regierung nun vor, dass der mit der Strafgesetznovelle 2011 eingeführte Paragraf 39a ausgeweitet wird. Dieser sieht die Erhöhung der Mindeststrafdrohungen bei Gewalt gegenüber unmündigen Personen vor. Künftig soll die Bestimmung ausgedehnt werden und auch bei Gewalt gegenüber Angehörigen, besonders schutzbedürftigen Personen, bei besonders brutaler Gewalt sowie bei Waffengewalt greifen. Laut dem Bericht und wie auch bereits von der Regierung angekündigt, soll die Mindeststrafe bei Vergewaltigung von ein auf zwei Jahre angehoben werden.

Das Schaffen eines eigenen Tatbestands für "psychische Gewalt" im Strafgesetzbuch hält die Taskforce aufgrund der bereits bestehenden Bestimmungen hingegen für nicht erforderlich. Zuletzt erfolgte darüber eine breite öffentliche Debatte, nachdem die grüne Ex-Abgeordnete Sigi Maurer obszöne Facebook-Nachrichten erhalten hatte. Da die Privatnachrichten nicht das Mindestpublizitätserfordernis erreichten (öffentlich oder vor mehreren Leuten), konnte Maurer dagegen nicht strafrechtlich vorgehen.

Die Taskforce verweist hier auf das Verwaltungsstrafrecht, in dem keine Mindestpublizität vorausgesetzt wird. In sechs Bundesländern gebe es die Möglichkeit, in Form einer Privatanklage anzuzeigen. Hier ortet die Taskforce zumindest Lücken im Verwaltungsstrafrecht. Deswegen wird eine Änderung angeregt – auf dass diese Ehrendelikte keine Privatanklage mehr voraussetzen. So würde für Betroffene das Prozessrisiko wegfallen.

Anlässlich des bevorstehenden "Aktionstags gegen Gewalt an Frauen" am Valentinstag rechnete ein breites Bündnis, an dem sich auch alle Oppositionsparteien beteiligten, mit den geplanten Maßnahmen der Regierung ab, weil diese kaum Zeit und Geld in Präventionsarbeit und Opferschutz stecke. Höhere Strafen dagegen werden als kontraproduktiv erachtet, weil das die von Gewalt betroffenen Frauen von Anzeigen abhalten könnte.

Fördern statt kürzen

Konkret kritisierte Ex-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) die Kürzung von Subventionen für Frauenschutzeinrichtungen, wo es drei Millionen für die Beratung betroffener Frauen sowie für Täterarbeit bräuchte.

Niki Scherak von den Neos forderte mehr Bewusstseinsbildung schon an den Schulen mit dem Fokus auf Buben und junge Männer, denn aktuell nähmen nur drei Prozent der nach häuslicher Gewalt Weggewiesenen an einem Antigewalttraining teil.

Laut Jetzt-Chefin Maria Stern betragen die volkswirtschaftlichen Kosten infolge häuslicher Gewalt hierzulande 3,7 Milliarden Euro pro Jahr, also Krankenstände und medizinische Kosten inklusive. Und die grüne Bundesrätin Ewa Dziedziec rechnete vor, dass in keinem europäischen Land der Anteil der Frauen unter Opfern von Tötungsdelikten höher sei als in Österreich. (Renate Graber, Oona Kroisleitner, Nina Weißensteiner, 12.2.2019)