Ich finde es immer wieder faszinierend, welche Gerichte es zu Weltruhm bringen und welche nicht. Ein Gutteil dessen, was in der Welt so als "italienisch" gilt, stammt aus der Gegend um Neapel: von der klassischen Pizza über den darauf liegenden Mozzarella (hier per Definition vom Büffel) bis hin zu diversen Varianten von Pasta mit Tomatensauce. Bloß jene Sauce, die in der Stadt vielleicht am prominentesten ist, hat es nie zu besonderem Ruhm außerhalb ihrer Heimat gebracht.

Foto: Tobias Müller

"La Genovese", wie sie hier ehrfurchtsvoll genannt wird, ist eine Art Mischung aus französischer Zwiebelsuppe und Beinfleisch und hat mit dem Basilikumpesto des Nordens rein gar nichts zu tun: Gut durchzogene Fleischstücke werden mit Unmengen an Zwiebeln geschmort, bis sie butterweich sind und ihre Säfte sich mit den Zwiebeln zu einer süß-fleischigen geschmacklichen Urgewalt vereint haben, die einen beim Essen im besten Fall unwillkürlich die Augen schließen lässt. Ein wenig reifer Käse sorgt, wie so oft, für den hintergründigen Umami-Boost.

Die Genovese zeigt noch ihre Ursprünge in einer Zeit, als Fleisch ein großer Luxus war. Das Fleisch dient(e) hier eher der Würze, die Zwiebeln tragen mindestens so viel, wenn nicht mehr zum Geschmacksbild bei. Bis heute wird sie oft in zwei Gängen serviert: Zuerst wird die Sauce benutzt, um Pasta zu würzen, das Fleisch (im Vergleich zur Sauce wenig) kommt dann separat als Secondo auf den Tisch. Weil aber selbst in Neapel die Zeiten besser geworden sind, findet sich in den Beisln der Stadt vermehrt bereits auf den Nudeln Geschmortes.

Aus der paradeiserlosen Zeit

Das Gericht soll je nach Legende mit Köchen aus Genua im 15. Jahrhundert nach Neapel gekommen (und dann im Norden vergessen worden) sein oder seinen Namen schlicht seinem Erfinder, einem Signor Genovese, verdanken. Jedenfalls stammt es aus einer Zeit, als Paradeiser in Italien noch unbekannt waren. Nun ist Neapel eine Stadt, die sich nur sehr sehr langsam und sehr ungern ändert, das zeigt sich auch an ihrer beliebtesten Pastasauce. Während die berühmte Fleischsauce-Schwester aus dem Norden, die Bolognese, gern einen Hauch des neumodischen Gemüses aus Amerika verpasst bekommt, ist La Genovese bis heute meist komplett paradeiserfrei.

Anders als beim österreichischen Gulasch, einem verwandten Gericht, wird bei der Genovese so gut wie keine Flüssigkeit zugefügt – das Fleisch köchelt oder dämpft nur im eigenen Saft und im Wasser, das die Zwiebeln lassen. Das führt meiner Meinung nach zu einer noch dickeren, aromatischeren Sauce. Kurz: La Genovese hat es sich verdient, auch außerhalb Neapels viel öfter gekocht zu werden. Und es gibt wenige bessere Gelegenheiten dafür als einen hässlich-kalten Winternachmittag.

La Genovese für mindestens sechs Esser (weil es sich für weniger nicht auszahlt)

Mein Rezept folgt im Großen und Ganzen dem altmodischsten der drei Genovese-Rezepte, die Arthur Schwartz in seinem schönen Buch "Naples at Table – Cooking in Campania" beschreibt. Zusätzlich zum Schmorfleisch, das stets vom Rind oder Büffel ist, kommen dabei auch noch kleine Stücke Schwein in den Topf: Prosciutto-, Salami- und Pancetta-Abschnitte, die in Neapels Fleischereien fein gewürfelt in kleinen Päckchen verkauft werden und dort diverse Eintöpfe und Suppen würzen. Das ist eine schöne, sinnvolle Tradition, die leider bei uns, soweit ich weiß, unbekannt ist. Entweder Sie sammeln selbst einige Wurstabschnitte, kaufen etwas Würzspeck oder verzichten – wie puristische Neapolitaner – einfach auf die Zugabe.

Schwartz mischt Fleisch und Zwiebeln wie bei einem Gulasch in einem Verhältnis von 1:1, was zu einer Sauce führt, die sehr, sehr gut, aber, so kommt mir vor, doch etwas fleischiger schmeckt als in Neapel üblich, wo die Zwiebeln eine noch wichtigere Rolle spielen. Halten Sie das, wie Sie wollen.

Foto: Tobias Müller

La Genovese kann in einem oder zwei Gängen serviert werden. Wird in Neapels Beisln das Fleisch mit der Pasta serviert, kommt es nie zerpflückt, sondern stets in groben Stücken auf und unter die Nudeln. Das macht das Essen zwar etwas schwieriger, hat aber den großen Vorteil, dass sich der Esser immer wieder über schöne Entdeckungen wie saftige Gelatinebrocken oder weich geschmorte Sehnen freuen darf.

Ich habe bei meinem neapolitanischen Fleischer bloß um "Fleisch für Genovese" gebeten und eine Mischung aus Wade und Schulter bekommen. Es war eine wunderbare Auswahl.

Zutaten

1 kg gut durchzogenes Rindfleisch (Gulaschfleisch, siehe hier), in grobe Stücke von etwa 200 Gramm geschnitten

1 bis 1,5 kg Zwiebeln, in nicht zu feine Ringe geschnitten

150 Gramm gehackte Selleriestangen

150 Gramm gehackte Karotten

100 Gramm gehackte Prosciutto-, Pancetta- und Salamireste (optional)

1/4 Liter trockener Weißwein (für die Sauce)

Ein, zwei Teelöffel getrockneter Oregano

Frisch geriebener Parmesan und Pecorino, gemischt

Pro Esser 100-150 Gramm Pasta (Neapolitaner nehmen gern Ziti. Penne tun's aber auch, Hauptsache nicht zu dünn)

2 bis 3 Flaschen nicht zu schicken Rotwein, leicht gekühlt, am besten Aglianico von der Gegend rund um den Vesuv (für den Koch und die Esser)

Foto: Tobias Müller

Erhitzen Sie das Olivenöl in einem schweren Bräter, der die ganze Genovese fassen wird, und braten Sie das Fleisch auf allen Seiten gut an, sodass es schön Farbe nimmt. Wenn Sie keinen starken Herd haben, arbeiten Sie lieber in mehreren Durchgängen, damit es auch wirklich brät und nicht dünstet.

Foto: Tobias Müller

Heben Sie das Fleisch heraus und braten im selben Fett die Schinken- und Wurstreste kurz an.

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Dann geben Sie das gesamte Gemüse in den Topf, salzen gut, rühren kurz alles ordentlich durch und dünsten es auf niedriger Hitze bei geschlossenem Deckel etwa fünf Minuten, bis es ein wenig zusammengefallen ist und Wasser gelassen hat.

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Rühren Sie nochmals gut durch und deglacieren mit den Säften den Topf. Wenn Ihnen alles viel zu trocken vorkommt, gießen Sie einen kleine Schuss Wasser hinein, aber ja nicht zu viel – die Zwiebeln werden während des Garens noch viel mehr Flüssigkeit lassen, als Sie denken!

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Legen Sie das Fleisch oben auf das Gemüse, schließen den Deckel und garen es auf niedriger Hitze für mindestens drei Stunden. Einmal pro Stunde können Sie das Fleisch wenden – bereits nach der ersten Stunde werden Sie feststellen, dass sich eine ziemliche Sauce gebildet hat. Wenn das Fleisch butterweich ist, heben Sie es heraus und stellen es zur Seite.

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Gießen Sie den Weißwein zur Sauce, geben den Oregano zu und lassen Sie sie offen köcheln, bis sie sich so eingedickt hat, dass sie nicht mehr zusammenrinnt, wenn Sie sie mit einem Löffel teilen (ganz wie Ajvar), und die Zwiebeln butterweich sind, etwa 30 bis 40 Minuten. Rühren Sie regelmäßig um, vor allem gegen Ende. Bis hierher lässt sich La Genovese wunderbar ein paar Tage im Voraus zubereiten.

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Garen Sie Ihre Pasta nach Anleitung und heben vor dem Abseihen eine Tasse Kochwasser auf. Mischen Sie Pasta, den geriebenen Käse und die Sauce in einem Topf, gießen Sie die halbe Tasse Kochwasser zu und rühren Sie über niedriger Hitze, bis sich eine sämige Sauce gebildet hat. Geben Sie nach Belieben Fleisch hinzu und servieren es sofort in vorgewärmten Tellern und mit reichlich leicht gekühltem Rotwein.

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(Tobias Müller, 17.2.2019)

(Anm.: Die Pasta-Menge/Person wurde auf 100-150 korrigiert, 200 g in der ursprünglichen Version waren etwas zu viel)

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