Vater, Mentor und Tüftler "Ferdl" Hirscher hat seinem Sohn Marcel nicht nur das Skifahren beigebracht.

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Alle Goldhoffnungen lasten auf Marcel Hirscher, aber der ist angeschlagen

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Ski-WM live: Riesentorlauf der Herren, Fr., 14.15 Uhr

Ferdinand Hirscher steigt in kein Flugzeug. Zur WM in Åre reiste er wie üblich mit dem Auto an, um seinen Sohn Marcel als Mentor und Tüftler in Sachen Materialabstimmung zu unterstützen. Der frühere Hüttenwirt gab dem 68-fachen Weltcupsieger, siebenfachen Gesamtweltcupsieger, Mehrfachweltmeister und Doppelolympiasieger von Pyeongchang 2018, nicht dem damaligen Trend folgend, "behutsam" und unbeeindruckt von Zwischenrufen jenes Rüstzeug mit, das Voraussetzung für die außergewöhnliche Karriere des Salzburgers war.

STANDARD: Fand auf der Stuhlalm, wo Sie als Hüttenwirt arbeiteten, Marcels erstes Höhentrainingslager statt?

Hirscher: Kann sein, ja, weil man auf 1500 Meter Höhe ein ideales Reizklima vorfindet. Wenn man sich über viele Monate dort aufhält, dann ist das für die körperlichen Voraussetzungen bestimmt kein Nachteil.

STANDARD: Was konnte er dort oben lernen, wovon er vielleicht später profitierte?

Hirscher: Wenn man als Kind in dem rumpeligen, welligen, steinigen und schwierigen Gelände das Gehen lernt, entwickelt man ein Gleichgewichtsgefühl, das man schwer aufholen kann, wenn man unten in der Stadt aufwächst.

STANDARD: Wann haben Sie sein Talent erkannt?

Hirscher: Von der Beweglichkeit habe ich es sehr früh erkannt, da war er erst zwei Jahre alt. Er hatte einen außergewöhnlichen Gleichgewichtssinn. Er war sehr selbstständig, hat immer alles Mögliche probiert.

STANDARD: War er ein Springinkerl?

Hirscher: Wenn Kinder in dem Alter koordinativ sehr gut sind, dann haben sie eine gewisse Lebhaftigkeit, eine Freude und einen Drang, sich zu bewegen.

STANDARD: Wann stand er zum ersten Mal auf Ski?

Hirscher: Ich hatte einen Knöchelbruch vom Slalomfahren und hatte einen Gipshaxn. Ich war aber jeden Tag auf einem Bein Ski fahren, weil daheim herumsitzen auch nicht das Wahre ist. Dann habe ich Marcel die Grundbegriffe des Skifahrens beigebracht. Das war Anfang März, als er gerade zwei Jahre alt geworden ist.

STANDARD: War er sofort Feuer und Flamme?

Hirscher: Ja ja, er hat sofort probiert, in die Richtung zu fahren, wo ich hingegangen bin. Das Skifahren hat ihm immer viel Freude bereitet.

STANDARD: Sie gelten als Profi bei der Materialabstimmung. Selbst wenn Sie nicht vor Ort sind, können Sie richtige Entscheidungen treffen. Wie funktioniert die Ferndiagnose?

Hirscher: Leider treffen wir nicht immer die richtigen Entscheidungen. Ich war früher auch ein leidenschaftlicher Rennfahrer und habe mich viel mit dem Material beschäftigt. Teilweise bin ich von Kollegen wegen meiner Ansätze belächelt worden, aber im Laufe der Jahre habe ich so ein Gespür entwickelt, das mir jetzt zugutekommt. Ich sehe schon beim Rutschen Sachen, die kein anderer sieht. Aber ich kann nicht alles erzählen, weil sonst würde ich der Konkurrenz Tipps geben. Ich habe eine gewisse Beobachtungsgabe, die – ohne jetzt überheblich wirken zu wollen – nicht ein jeder hat.

Hirscher Senior hat ein Gespür für Schnee.
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STANDARD: Gab es auch einmal die Überlegung, Marcel dem ÖSV anzuvertrauen und ihm lediglich als Mentor zur Seite zu stehen?

Hirscher: Nein. Aus dem einfachen Grund, weil im Schülerbereich doch einige Wadlbeißereien stattgefunden haben und ich irrsinnige Angst hatte, dass von den arrivierten Stars im ÖSV, Benjamin Raich, Manfred Pranger, Reinfried Herbst und Mario Matt, ein wahnsinniger Druck in psychologischer Hinsicht ausgeübt würde. Gott sei Dank hat sich der Verdacht überhaupt nicht bestätigt, genau das Gegenteil war der Fall. Sie waren sehr nett und hilfsbereit.

STANDARD: Wurden Sie auch manchmal mit Kritik konfrontiert, dass Ihre Methoden nicht zielführend seien?

Hirscher: Selten. Man muss natürlich sein Wissen unter Beweis stellen. Aber die Gespräche mit dem damaligen Herrencheftrainer Toni Giger waren von Anfang an immer auf Augenhöhe. Von dem her gab es überhaupt kein Problem.

STANDARD: In einem anderen Bereich schon?

Hirscher: Wenn irgendwer erfolgreich ist, dann heißt es gleich einmal, der Vater verbrennt seinen Buben, und, und, und. Aber ich war sehr behutsam mit ihm.

STANDARD: Hatten Sie Zweifel?

Hirscher: Eigentlich nie. Aus dem einfachen Grund, weil ich mich über Jahre so intensiv mit dem Skifahren beschäftigt habe. Es gab den Trend von Mario Matt und den großen Athleten, sehr breit zu fahren und den Zug über den Außenski mitzunehmen. Das war damals ein technisches Leitbild. Ich habe zu Marcel gesagt: "Wir müssen das anders machen, du musst so breit, wie deine Hüfte ist, fahren, eine schmälere Skiführung wählen, weil so kannst du direktere Wege fahren." Wenn man nicht so groß ist, ist das der richtige Weg. Mittlerweile ist Marcel ein technisches Leitbild.

STANDARD: Seine Sicherheit beim Fahren am Limit ist beeindruckend. Haben Sie ihm diese stabile Technik beigebracht?

Hirscher: Das technische Rüstzeug, die Stimmigkeit auf beiden Seiten, die Rotationsbewegung und die Grundeinstellung in Perfektion, habe ich ihm beigebracht. Wir waren aber auch sehr oft im Turnsaal, Reckturnen, Barrenturnen und mehr, um die sportmotorischen Fähigkeiten und die Antizipation der Bewegung zu trainieren und zu verbessern.

Die Hirschers beim Training im September.
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STANDARD: War früh erkennbar, dass er einen Drang zum Rennfahren hat?

Hirscher: Einmal war es fast beängstigend, als der Bub von der Nachbarhütte und Marcel mit dem Mountainbike talwärts unterwegs waren. Es war ein Wettrennen, sie sind ungebremst den Berg runtergedonnert. Am Abend ist er mit aufgeschürftem Oberschenkel und komplett zerrissener Radhose dahergekommen. Irgendwo in einer Kurve hat es sie rausgehaut. Das war irrsinnig schmerzhaft, aber er hat was gelernt.

STANDARD: Was ist für Sie wichtig im Leben?

Hirscher: Gesundheit, Werte zu vermitteln und auch zufrieden zu sein, wenn es einmal nicht so läuft.

STANDARD: Und Erfolg?

Hirscher: Ich bin oft gefragt worden, ob ich glaubte, dass Marcel ein erfolgreicher Rennfahrer wird. Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, weil mir ganz genau bewusst war, wie schwierig und steinig der Weg ist, wie leicht man sich verletzt und alles vorbei ist. Wenn der Erfolg nicht eintritt, dann darf man nicht enttäuscht sein, sondern muss einfach probieren weiterzumachen. Ein Spitzensportler hebt sich von den normalen Menschen nicht ab, er ist wie jeder andere. Nur dass er auf seinem Fachgebiet vielleicht das Glück hat, bessere Fähigkeiten zu haben als andere.

STANDARD: Ihre Erwartungen für die WM?

Hirscher: Wir gehen in die WM wie in jedes andere Rennen. Wir versuchen, uns bestmöglich vorzubereiten. Wenn man probiert, das Maximum auszureizen, und es geht nicht gut, dann muss man das auch akzeptieren. Es kommt, wie es kommt.

STANDARD: Wäre eine Bronzemedaille eine Enttäuschung?

Hirscher: Nein, nie! Eine Medaille und auf dem Podium zu stehen ist immer eine Ehre. Nur wird das oft anders dargestellt, wenn ein Topathlet wie Marcel, der Seriensieger ist, Zweiter oder Dritter wird. In Wengen wurde er als Dritter mit zehn Hundertstel Rückstand auf Sieger Noel als Verlierer bezeichnet. Das ist voll zach.

STANDARD: Wie lange fährt er noch?

Hirscher: Ich zerbreche mir darüber nicht den Kopf, Es ist seine Entscheidung. Wenn er für diese Entscheidungsfindung irgendeine Unterstützung braucht, dann unterstütze ich ihn. Es ist ein Abwiegen. Ist es mir das wert oder nicht? Aber wenn es dann so weit ist, dann wird er es schon sagen.

STANDARD: Wird er seine Karriere fortsetzen, so lange es ihm Spaß macht und er erfolgreich ist?

Hirscher: Rennsport ist nicht immer Spaß. Wenn man in der Abfahrt hört, wie ein Co-Kommentator "juhui" ruft und die Athleten kämpfen dann mit letztem Einsatz ums Überleben, dann ist das nicht immer Spaß. (Thomas Hirner aus Åre, 14.2.2019)