Foto: Lisi Specht
Fotos: Lisi Specht
Fotos: Lisi Specht

Der Wiener Künstler Andreas Fischbacher wohnt in Mariahilf in einem früheren Laufhaus. Wie in seiner Porträtmalerei schätzt er auch beim Wohnen Patina – und die noch immer spürbare Energie von anno dazumal.

"Warum ich diesen Gesichtsausdruck habe? Das war gar nicht geplant, das war eher spontan. Ich glaube, ich habe in diesem Augenblick – bitte nicht persönlich nehmen – an die österreichische Bundesregierung gedacht. So ungewöhnlich meine Fratze, so ungewöhnlich ist übrigens auch die Geschichte dieses Hauses in der Girardigasse im sechsten Bezirk, in dem ich seit fast acht Jahren lebe. Die Gegend rund um das Semperdepot und das Theater an der Wien war immer eine lebendige und auch wilde, verruchte, das war das Epizentrum des Vergnügungsviertels, und so passt dieses Wohnhaus ganz gut in dieses Bild.

"Ich frage mich manchmal, was die Patina meines eigenen Wohnens als Botschaft transportiert." Andreas Fischbacher beim Versuch einer Antwort.
Foto: Lisi Specht

Das ist ein spätbiedermeierliches Haus, das um 1860 aufgestockt wurde. Das Stiegenhaus ist recht spektakulär. Es befindet sich wie ein gedecktes Atrium, wie ein schlanker, hoher Turm aus Luft, in der Mitte des Gebäudes, rundherum verlaufen in jedem Stockwerk fast hufeisenförmig die Laubengänge von einem Ende des Halbkreises zum anderen. Das war ein Laufhaus, ein Bordell, ein Puff. Die Damen sind damals auf den Laubengängen gestanden, und die Kundschaft konnte in diesem Panoptikum allem Anschein nach frei gustieren. Hinter dem Laubengang schließen die ehemaligen Separees an, die heute als Kleinwohnungen vermietet werden. Auch in meiner Wohnung wurde es schon heftig getrieben. Die Energie ist durchaus spürbar. Ich setze diese Kultur fort.

Ja, es macht mich glücklich, in einem der letzten abgefuckten Häuser Wiens zu leben, in dem es keine Gegensprechanlage, keinen Lift und keinen ausgebauten Dachboden gibt. Das Haus hat etwas Abgewohntes, etwas Eingewohntes und widersetzt sich der Gentrifizierung mit gewissenhafter Hartnäckigkeit. Es gammelt so richtig genüsslich vor sich hin. Ich habe die Wohnung damals im STANDARD gefunden. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Fotos: Lisi Specht

Wichtig war mir, mich hier mit Dingen zu umgeben, die so wie das Haus schon eine Geschichte haben, die schon einmal benützt wurden, die eine Patina haben, die in vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten mit Seele aufgeladen wurden. Beim goldenen Spiegel hinten an der Wand stelle ich mir die Frage, ob es sich dabei um eine Antiquität oder um eine Requisite handelt. Und je weniger ich eine Antwort darauf finde, desto spannender wird das Objekt.

Auch in meiner eigenen Arbeit als Maler bemühe ich mich, eine atmosphärische Patina ins Motiv hineinzuweben. Das hat nicht so sehr mit Illusion oder Fälschung zu tun als vielmehr mit der Patina, die ich aus einem Gesicht oder aus einem Körper herauslese – und die ich dann in meinem Werk auf der visuellen Ebene verstärken möchte. Am liebsten habe ich überhaupt Sitzungen, bei denen ich in Kontakt mit dem Motiv treten kann, aber das tut sich heute kaum noch jemand an.

Fotos: Lisi Specht

Ich frage mich manchmal, was die Patina meines eigenen Wohnens als Botschaft transportiert. Vielleicht sagt die Patina, dass hier ein homosexueller Mann lebt, dass er ordentlich ist, obwohl er ein unordentlicher Mensch ist, denn wenn man auf 48,5 Quadratmetern lebt, muss man eine gewisse Ordnung halten, um nicht unterzugehen, und dass er in gewisser Weise gehfaul ist, denn in mein Atelier, das sich im selben Haus und sogar im selben Stock befindet, sind es genau fünfeinhalb Schritte.

An manchen Tagen verlasse ich das Haus nicht, da spannt sich meine Welt zwischen den beiden Punkten Wohnung und Atelier auf. Eigentlich wohne ich eh drüben. Die Wohnung nutze ich in erster Linie für Essen, Schlafen und Sex. Sorry für die Direktheit ... aber das muss nach mehr als 500 Wohngesprächen auch einmal gesagt werden." (18.2.2019)