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Roger McNamee ist bekennender Kapitalist und Ein-Prozent-Besitzer von Facebook. Er plädiert für strengere Regeln für Facebook.

Foto: AP / Marcio Jose Sanchez

Zuckerberg, tadelt McNamee, habe Einwände nie wirklich ernst genommen. Noch immer handle er nach der Maxime, dass sich jedes Problem durch bessere Programmierung lösen lasse, mit anderen Worten: rein technisch.

Zehn Tage vor dem Präsidentschaftsvotum des November 2016 schrieb Roger McNamee eine E-Mail an Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg, den Facebook-Gründer und dessen rechte Hand. Eigentlich war es ein Essay, den er in einer Fachzeitschrift veröffentlichen wollte, worauf er fürs Erste verzichtete, um dem vertraulichen Dialog den Vorzug zu geben.

Er begann mit den Worten: "Ich bin wirklich traurig über Facebook." Bis vor ein paar Monaten, schrieb McNamee, sei er stolz auf die Erfolge des Unternehmens gewesen. "Jetzt bin ich enttäuscht. Es ist mir peinlich. Ich schäme mich."

Facebook, beobachtete der Investor, habe im US-amerikanischen Wahlkampf eine enorme Rolle gespielt. Und mithilfe seiner Algorithmen reduziere es die Wortmeldungen, die es für seine Nutzer sortiere, nach dem Prinzip, dass jeder nur das lesen möge, was ihm gefalle.

Dadurch würden die Leute daran gehindert, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die ihren eigenen widersprächen. Internet-Trolle machten sich dies zunutze, um Unwahrheiten zu verbreiten und Emotionen zu schüren. "Ich will einen Weg finden, um das Facebook-Management zu ermuntern, sozial verantwortlicher zu handeln."

Ein Prozent an Facebook

Roger McNamee, das ist ein Name mit Klang im Silicon Valley. 2004 gründete er mit Geschäftspartnern, unter ihnen Bono, der Sänger von U2, eine Beteiligungsgesellschaft namens Elevation Partners. Die erwarb vor neun Jahren für 90 Millionen Dollar ein Prozent der Facebook-Anteile. Ein äußerst lukratives Geschäft. Auch McNamee scheffelte ein Vermögen, indem er bei Facebook einstieg.

Als Zuckerberg sein Studium in Harvard, dem Bildungsmekka der Ostküste, abbrach, um sich an der Westküste mit ganzer Kraft seiner Firma zu widmen, gehörte McNamee zum Kreis erfahrener Mentoren, denen er zuhörte. Als der Aufstrebende, zugleich an sich Zweifelnde zum ersten Mal in McNamees Büro an der Sand Hill Road in Menlo Park Rat suchte, appellierte Letzterer an den Durchhaltewillen.

McNamee war 50, Zuckerberg 22. Der Ältere sprach von den Kaufangeboten, die es schon bald für Facebook geben werde. Microsoft oder Yahoo würden sicher bald eine Milliarde Dollar bieten, orakelte er. "Deine Eltern, dein Aufsichtsrat, dein Managementteam, die Leute, die bei dir arbeiten, sie alle werden dir sagen, dass du annehmen sollst. Sie werden dir sagen, dass du die Welt verändern kannst mit den 650 Millionen Dollar, die du als deinen Anteil behalten wirst." Er würde nicht verkaufen, riet McNamee, denn Zuckerberg baue gerade die wichtigste Marke seit Google auf.

Facebooks entscheidender Vorteil gegenüber anderen Social-Media-Netzwerken bestehe darin, dass man seine Nutzer dazu anhalte, sich mit ihrer wahren Identität erkennen zu geben, statt sich mit Fantasienamen zu tarnen. Später drehte er mit am Rad, als Zuckerberg seine wichtigste Personalentscheidung traf. Es war McNamee, der Sheryl Sandberg, ehemals Chefin des Stabs des Finanzministers Larry Summers, zu Facebook lotste.

2009 verabschiedete er sich von der Ratgeberrolle, bis dahin aber hing der Himmel voller Geigen. "Ich mochte Zuck. Ich mochte seine Leute. Ich mochte Facebook."

Umso ernüchterter klingt, wie McNamee heute davor warnt, weiterzugehen auf dem Weg der Exzesse. "Eine dystopische Hightech-Zukunft hat unser Leben überrollt, bevor wir für sie bereit waren", warnt er in seinem Buch Zucked, das in den USA vor kurzem erschienen ist.

McNamee kennt Zuckerberg gut genug, um ihn mit der Kurzform seines Nachnamens ansprechen zu können, amerikanisch leger. "Zucked", das Wortspiel soll wohl bedeuten, von Zuck auf die falsche Fährte geführt, ihm auf den Leim gegangen zu sein.

Die Politik muss handeln

In dem Buch also schildert McNamee seine eigene Wandlung von einem nur selten grübelnden "Technik-Optimisten" zu einem Mahner, der verlangt, Facebook deutlich strengeren Regeln zu unterwerfen. Einem Regelwerk, das die Politik aufstellen müsse.

Hinter den Kulissen machte er Druck, um Zuckerberg vor den US-Kongress zu zitieren. Die Anhörung, kurz nach Bekanntwerden des Datenskandals um Cambridge Analytica, ist übrigens als Paradebeispiel dafür in die Parlamentschronik eingegangen, wie wenig manche Senatoren, vor allem ältere, vom Geschäftsmodell eines von Anzeigen lebenden Internet-Giganten verstehen.

Als bekennender Kapitalist, blendet McNamee zurück auf vermeintlich unschuldige Zeiten, sei er lange davon überzeugt gewesen, dass der freie Markt lösen werde, was er an Problemen schaffe. Heute könne er das nicht mehr von sich sagen.

In Zucked beschreibt er, wie sich Facebook mit aller analytischen Gründlichkeit der Eigenheiten der menschlichen Natur bedient, um daraus Gewinn zu ziehen. Zum Beispiel der Like-Button – Gefällt mir -, 2009 eingeführt. Da jeder irgendwie gemocht werden wolle, doziert McNamee, habe man mit dem Gefällt-mir-Button einen Gradmesser sozialer Anerkennung geschaffen.

Bald habe anscheinend jeder Facebook-Nutzer wissen wollen, wie viele Gefällt-mir-Meldungen er pro Eintrag erhalten habe. Allein das habe viele dazu gebracht, mehrmals am Tag nachzuschauen. Facebook habe das Signal durch das System seiner Benachrichtigungen noch verstärkt.

Um vom Anzeigengeschäft leben zu können, müsse der Konzern die Aufmerksamkeit seiner Kunden erst gewinnen und dann halten, möglichst lange. "Und damit du ihnen Aufmerksamkeit schenkst, sprechen sie alle möglichen Gefühle an." Sich zu empören, Angst zu haben, beides gehöre zu den stärksten menschlichen Emotionen, schreibt McNamee.

Wobei die Empörung erfahrungsgemäß noch stärker wirke, wenn man sie mit anderen teile. Zudem zehre Facebook von der menschlichen Sehnsucht nach Anerkennung. In der Summe ändere es das Verhalten der Leute. "Wenn sie sich erst dreimal am Tag bei Facebook einloggen, und das über Jahre hinweg, wird aus Gewohnheiten eine Sucht." Zudem, so McNamee, hätten die sozialen Medien salonfähig gemacht, was sozialer Druck früher eingedämmt habe: das Äußern extremer Ansichten.

Zuckerbergs Verantwortung

Zuckerberg, tadelt er, habe diesbezügliche Einwände nie wirklich ernst genommen. Noch immer handle er nach der Maxime, dass sich jedes Problem durch zusätzliche oder bessere Programmierung schon lösen lasse, mit anderen Worten: rein technisch. Dann sei da noch sein Versprechen, die Welt zusammenzubringen.

Da er, wie andere im Silicon Valley auch, fest an seine Mission glaube, an das Gute an seiner Mission, habe er sich Negativeffekte zunächst gar nicht vorstellen können. Räume er Schwächen ein, dann allenfalls unverbindlich: Man sei doch nur eine Plattform, man sei nicht verantwortlich dafür, was Dritte mit dieser Plattform anstellten. "Es ist höchst unwahrscheinlich, dass staatsbürgerliche Verantwortung in Zucks Denken je eine Rolle spielte", kritisiert McNamee.

In eigener Regie, glaubt er, sei Facebook weder willens noch fähig, die Rutschbahn zu beenden. Deshalb plädiere er für eine Intervention des Staates. Normalerweise, fügt er hinzu, würde er staatlichen Vorschriften mit größter Zurückhaltung begegnen. "Doch der anhaltende Schaden für die Demokratie, für die öffentliche Hygiene und den freien Wettbewerb rechtfertigt es, zu außergewöhnlichen Mitteln zu greifen." (Frank Herrmann, Album, 23.2.2019)