Hat Angebote in 200 Ländern parat: Tourradar-Chef Pittman.

Foto: Andy Urban

Wegen der Liebe zog es den Australier Travis Pittman nach Wien. Hier gründete er die Reiseplattform Tourradar, die im Vorjahr 50 Millionen Euro bei Investoren einsammelte. Im Gespräch berichtet er über den mühsamen Weg zu einem Gewerbeschein sowie darüber, wie er mit Millioneninvestments umgeht.

STANDARD: Wien wurde kürzlich wieder zu einer der unfreundlichsten Städte der Welt gewählt. Wollten Sie als Australier dem hiesigen "Grant" je den Rücken kehren?

Pittman: Würde ich nicht wirklich gerne hier leben, wäre ich nicht mehr da. Selbst wenn die Österreicher nicht ganz so freundlich sind wie die Australier (lacht). Klar hat jede Stadt ihre unattraktiven Seiten, und man kann sich alles schlechtreden. Das versuche ich aber zu vermeiden. Überdies hat sich Wien während der vergangenen fünf Jahre verändert.

STANDARD: Inwiefern?

Pittman: Zum Positiven. Möchte man etwas unternehmen, gibt es das Angebot. Für jeden ist etwas dabei. Die Entwicklung des Donaukanals finde ich beispielsweise sensationell. Außerdem gilt Wien auch als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Möchte man – wie wir – eine internationale Tech-Company aufbauen, hilft das natürlich, um gute Leute hierherzubekommen. Denen zeigen wir dann den coolen Ort, der Wien sein kann.

STANDARD: Stichwort internationale Tech-Company: Was unterscheidet Tourradar von anderen Buchungsplattformen?

Pittman: Wir bieten mehrtägige Touren auf der ganzen Welt an. In der Regel bewegen sich diese zwischen zehn und 14 Tagen. Von Städtetrips über luxuriöse Kreuzfahrten bis hin zu Abenteuerurlauben auf dem Berg oder im Dschungel ist alles dabei. User können nach Regionen, Kategorien und Preisen suchen. Sie können Angebote vergleichen und buchen. Eines unserer spannendsten Angebote war eine 360-tägige Reise von London nach Sydney – sprichwörtlich um die ganze Welt.

Pittman: "Mit der Bürokratie meint man es hier ein bisschen zu gut. Ausländische Investoren lachen, weil man für alles einen Notar braucht."
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STANDARD: Wie viel kostet so etwas?

Pittman: Circa 10.000 Euro. Es kommen Ausgaben für Essen und Ähnliches dazu, die Basiskosten sind allerdings überschaubar. Üblicherweise bewegen wir uns bei 2000 Euro pro Reise.

STANDARD: Wer sind typische Tourradar-Kunden?

Pittman: Momentan stammen unsere Kunden größtenteils aus den USA, Kanada, Australien und Großbritannien. Das liegt vermutlich daran, dass wir die Reisen ausschließlich auf Englisch anbieten, was sich aber demnächst ändern soll. Märkte wie Deutschland, Spanien, aber auch Asien stehen gerade in Vorbereitung.

STANDARD: Was sind die beliebtesten Reiseziele?

Pittman: Nordamerikaner und Australier stehen auf City-Hopping in Europa. Das kommt wirklich gut an. Aber auch Reisen in südostasiatische Länder, wie Thailand oder Vietnam, finden viel Anklang. Mittlerweile haben wir rund 1200 Anbieter und mehr als 35.000 verschiedene Touren in 200 Ländern im Angebot.

STANDARD: Gibt es dann überhaupt eine spezielle Zielgruppe?

Pittman: Leute, die reisen wollen (lacht). Anfangs waren es aufgrund des digitalen Zugangs die 18- bis 35-Jährigen. Doch 45 plus ist das am schnellsten wachsende Segment, vor allem seit wir luxuriöse Flusskreuzfahrten anbieten. Kein 18-Jähriger will sich um viel Geld auf ein Schiff setzen, bei etwas Älteren sieht das verständlicherweise anders aus. Auch beim Buchungsvorgang sind wir auf das ältere Zielpublikum eingegangen. Junge möchten mit niemandem reden, sondern zu irgendeiner Tageszeit auf einen Knopf drücken und gebucht haben. Sucht ein älterer Kunde einen menschlichen Ansprechpartner, kann er 24/7 anrufen.

STANDARD: Wollten Sie immer schon ein Start-up gründen, oder wie kam es dazu?

Pittman: Ich bin gelernter Maschinenbauer, komme also aus einer ganz anderen Ecke. Mit 25 zog ich gemeinsam mit meinem Bruder Shawn nach London, um zu arbeiten und Europa zu bereisen. Viele Australier machen das. Australien ist eine wunderschöne Insel, aber von der Welt sieht man dort nicht viel. Mit Shawn gründete ich eine Plattform, um Fotos online zu teilen. Das war vor Social-Media-Zeiten, ein richtiges Geschäftsmodell hatten wir nicht. Außerdem sahen wir einerseits Facebook kommen und andererseits den Trend, Flüge oder Autos online zu buchen. Für mehrtägige Touren, wie ich sie gerne gemacht habe, gab es dieses Angebot allerdings nicht. Deswegen entstand 2010 Tourradar.

STANDARD: Ein Australier, der in London lebt, baut ein Unternehmen in Wien auf. Mit vielen teilen Sie diesen Weg nicht. Wie kam es dazu?

Pittman: London ist eine wunderbare Stadt, aber ich hatte genug von der Hektik. Unfreundlich sind sie übrigens dort auch. Der logische Schritt wäre der zurück nach Australien gewesen. Das hat sich erübrigt, als ich in einer Bar in Barcelona eine Frau kennenlernte – eine Wienerin. Bei meinem Umzug nach Wien kannte ich niemanden und sprach kein Wort Deutsch. Ich zog anfangs bei ihr und ihrer Mutter ein. Rückwirkend frage ich mich manchmal, was mir damals einfiel (lacht). Mittlerweile haben wir zwei Kinder, und es war definitiv die richtige Entscheidung.

"Irgendwann ist ein Investment nur noch der Treibstoff, um den Motor am Laufen zu halten. Egal in welcher Höhe", sagt Pittman.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Wie ging es Ihnen damit, in Österreich eine Firma zu gründen?

Pittman: Einen Gewerbeschein zu bekommen stellte sich als äußerst mühsam heraus. Einerseits sind wir eine IT-Firma, andererseits fallen wir ins Reisebürogewerbe. Bei derartigen Mischformen hinkt die WKO noch weit hinterher. Sie kennen das Problem, aber die Prozesse dauern sehr lang. Mit der Bürokratie meint man es wohl auch ein bisschen zu gut. Für jede Kleinigkeit braucht es einen Notar. Investoren aus dem Ausland lachen immer, weil das sonst nirgends so ist.

STANDARD: Und von politischer Seite?

Pittman: Langsam lässt sich eine Entwicklung beobachten. Die Wirtschaftsministerin (Margarete Schramböck, ÖVP, Anm.) bindet mich und andere aus der Start-up-Szene in die Entwicklung beim Thema Digitalisierung ein, das finde ich cool von ihr. Aber ein wirklicher Blocker ist die Rot-Weiß-Rot-Karte.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Pittman: In Österreich gibt es zu wenige gute Leute für eine IT-Firma in unserer Größe. Wir suchen auf der ganzen Welt nach Data-Scientists, Ingenieuren und Programmierern. Haben wir sie gefunden, wollen wir sie so schnell wie möglich nach Österreich holen. Wegen der Rot-Weiß-Rot-Karte geht das aber erst nach drei bis sechs Monaten.

STANDARD: Wo sucht bzw. findet man die entsprechenden Leute?

Pittman: Wir haben vier Headhunter, die den ganzen Tag nichts anderes machen.

STANDARD: Man kann also davon ausgehen, dass Ihr Team buntgemischt ist?

Pittman: Auf jeden Fall. Wir beschäftigen weltweit mehr als 200 Menschen aus 51 Nationen. In Wien arbeiten rund 100 Leute aus 30 unterschiedlichen Ländern.

STANDARD: Apropos Nationen. Wie wirken sich die aktuelle weltpolitische Situation und die vielen Unsicherheiten auf das Geschäft aus?

Pittman: Es lässt sich nicht richtig quantifizieren, aber gewisse Dinge wirken sich natürlich aus. Wir haben den Shutdown in den USA gespürt, aber auch der Brexit macht sich bemerkbar. Im Gegenzug kommt Ägypten gerade wieder richtig in Schwung. Bei der Türkei bin ich überzeugt, dass sie auch wieder Heerscharen von Touristen anziehen wird. Es ist einfach: Reisen ist Luxus, und in Zeiten der Unsicherheit sparen Menschen zuerst bei jenen Dingen, die es nicht zwingend zum (Über-)Leben braucht.

STANDARD: Themenwechsel. Im vergangenen Jahr haben Sie ein Investment über 50 Millionen Dollar bekommen. Was ist seitdem passiert?

Pittman: So eine Zahl fühlt sich anfangs surreal an, aber eigentlich ist alles über einer Million schon sehr viel Geld. Mit der Zeit sieht man das Investment aber nur noch als Treibstoff, um den Motor am Laufen zu halten. Das Geld geht ja nicht in meine Tasche. Wir haben vor allem in Personal und in die Lokalisierung neuer Märkte investiert.

STANDARD: Haben Sie je daran gedacht, die Firma zu verkaufen?

Pittman: Am Anfang kam der Gedanke immer wieder, mittlerweile kaum mehr. Wenn genügend Mittel zur Verfügung stehen, um die eigenen Ziele zu erreichen, relativiert sich das. Irgendwann wird es wohl eine Liquidation geben, zum Beispiel in Form eines Börsengangs. Das ist Zukunftsmusik.

STANDARD: Haben klassische Reisebüros in Zukunft noch Überlebenschancen?

Pittman: Definitiv. Sie werden vermutlich weniger, weil sich viele Bereiche ins Internet verlagern, aber Bedarf an persönlicher Beratung wird es immer geben. Vor allem im Luxussegment. Wer viel Geld für eine Reise ausgibt, will auch, dass alles klappt. (Andreas Danzer, 24.2.2019)