Am vergangenen Sonntag fanden in der Republik Moldau reguläre Parlamentswahlen statt. Während die mediale Berichterstattung sich auf den Wahlsieg der pro-russischen Sozialistischen Partei konzentriert, verläuft die eigentliche Trennlinie zwischen Demokratie und Autokratie.

Die Wahl ist vorerst geschlagen, trotz vermeintlichen Wahlbetrugs, offensichtlicher Desinformation und angeblicher Vergiftungsversuche. Die stimmenstärkste Partei der Sozialisten (31 Prozent) hat nun die schwierige Aufgabe, eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden. Als wahrscheinlichster und wohl auch einzig möglicher Partner gilt die Demokratische Partei (23 Prozent).

Joachim Pranzl

Ergebnis der Parlamentswahlen vom 24.2.2019, 100% ausgezählt, inoffizielles Ergebnis. 49,21 Prozent Wahlbeteiligung. Quelle: Comisia Electorală Centrală.¹

Demokratische Opposition im Aufwind

Doch der mediale Fokus sollte nicht auf die Sozialisten oder Demokraten, sondern auf den Zustand der moldawischen Demokratie allgemein und demokratisch orientierte Parteien gelegt werden. Im Moment kommen dafür zwei Parteien in Frage: Zum einen die aus einer Protestplattform entstandene Partei "Würde und Wahrheit" (DA) unter der Führung des Anwalts Andrei Năstase. Zum anderen die Partei "Aktion und Solidarität" (PAS), geleitet von der ehemaligen Bildungsministerin Maia Sandu. Beide setzen sich für einen unabhängigen Rechtsstaat und Korruptionsbekämpfung ein. Dabei deklarieren sie sich als offen für eine Integration in die Europäische Union und haben als liberale Mitte-rechts Parteien Beobachterstatus bei der Europäischen Volkspartei.

Die beiden noch jungen Parteien stimmen sich dabei ab, mit dem gemeinsamen Ziel als demokratisches Bündnis stärkste Kraft im Land zu werden: Das war erstmals 2016 der Fall, als Năstase seine Kandidatur im Präsidentschaftswahlkampf zurückgezogen hat, um Sandu zu stärken. Beinahe hatte diese Strategie Erfolg: Sandu schaffte es in die Stichwahl, wo sie sich nur knapp dem Sozialistischen Kandidaten Igor Dodon geschlagen geben musste. Bei den teilweise stattfindenden Lokalwahlen 2018 gelang schließlich Năstase, mit der Unterstützung von Sandu, der Sieg bei den Wahlen in der Landeshauptstadt Chişinău. Nur ein politisch motiviertes Gerichtsurteil verhinderte den Antritt des Wahlsiegers als legitimierten Bürgermeister.

Bei der Wahl am Sonntag gab es eine Wahlbeteiligung von knapp 50 Prozent.
Foto:AP Photo/Vadim Ghirda

Umstrittene Wahlrechtsreform als Zeichen von "state capture"

Für die Parlamentswahlen hatten sich DA und PAS nun unter der Allianz ACUM (JETZT) zusammengeschlossen und sich für Korruptionsbekämpfung und "good governance" eingesetzt. Mit 26,8 Prozent erreichte man das beachtliche zweitstärkste Ergebnis.² Aufgrund der 2017 unter der Führung der Demokratischen Partei beschlossenen, äußerst umstrittenen und kritisierten, Wahlrechtsreform wird ACUM trotzdem nur die drittstärkste Kraft im Parlament. Eben jene Reform des Wahlsystems³ (Mischwahlsystem; 50 Sitze nach Verhältniswahl durch Parteilisten, 51 Sitze nach Mehrheitswahl in Wahlkreisen) hat bereits angedeutet, dass sich die sogenannten Sozialisten und sogenannten Demokraten innenpolitisch arrangieren können. Das Wahlergebnis nach Parlamentssitzen zeigt auch, dass sich diese Reform für die initiierenden Parteien ausgezahlt hat. Die anstehenden Koalitionsverhandlungen werden nun zeigen, ob sie sich trotz der außenpolitischen Unterschiede der Macht zu Liebe einigen können.

Denn eines eint sie: Ihr autoritärer Zugang zu einem formal demokratischen System. Dieses wird mit regelmäßig stattfindenden Wahlen bespielt, während man die wahlfreie Zeit für Selbstbereicherung nützt. Von vielen internationalen Beobachtern und Institutionen wird Moldawien als "captured state" bezeichnet⁴ – also die Kontrolle des politischen Systems durch wirtschaftliche Oligarchie und systematische Korruption. Dafür steht nicht nur der Staatspräsident Igor Dodon, sondern insbesondere der "stärkste" Mann im Land, Vladimir Plahotniuc, Vorsitzender der Demokratischen Partei. Dieser kontrolliert nicht nur die Massenmedien, sondern auch die Justiz und das Parlament.

Autoritäre Praktiken im Wahlkampf

Neben politisch motivierten Gerichtsurteilen zeigte aber insbesondere auch der Wahlkampf eine Reihe anderer autoritärer Praktiken. So sah sich sogar Facebook genötigt, der Verbreitung von Fake-News und Desinformation, unter anderem durch Regierungs(-nahe) Personen, Einhalt zu gebieten.⁵ Während sich alle Parteien Wahlbetrug vorwarfen und es auch Berichte über Stimmenkauf gab,⁶ urteilte die Wahlbeobachtungskommission der OSZE im Großen und Ganzen positiv ("faire und kompetitive Wahlen"). Im Detail sieht es jedoch anders aus und zeigt, wie heutzutage Autokraten Wahlen manipulieren können, ohne dafür am Wahltag Geld und Naturalien austeilen zu müssen: Ein Wahlsystem, in dem sich wohlhabende Menschen Einfluss erkaufen können, schlechtes Monitoring und Intransparenz von Parteien- und Wahlkampffinanzierung, unzureichende Bestrafungen, Zweckentfremdung von staatlichen Ressourcen, Druck auf staatliches Personal, um nur einige Faktoren zu nennen.⁷

Zuletzt gab es auch den Vorwurf einer möglichen Vergiftung der Oppositionellen Năstase und Sandu.⁸ Bei einem persönlichen Gespräch im November 2018 berichtete ein führender Oppositioneller auch über plötzlich auftretende Mängel bei Partei-Autos. Damals hatte er dies noch als "paranoid" abgetan. Ganz gleich, wie viel Glauben man diesen Geschichten schenken möchte, sie zeigen dennoch Tendenzen auf, die in einer funktionierenden Demokratie nicht auftreten sollten. Bezeichnend für den autoritären Charakter des moldawischen Systems ist ein letztes Beispiel: Eben jener Oppositionelle von ACUM erwiderte damals auf die Frage, ob man ihn 2019 als Parlamentarier wiedersehen wird: "…oder im Gefängnis". Die Grenzen zwischen demokratischem Rechtsstaat und politisch-motivierter Willkür, zwischen Demokratie und Autokratie, sind fließend.

Moldawiens Präsident Dodon bei der Stimmabgabe.
Foto: AP Photo/Vadim Ghirda

Die Konsequenzen des Wahlergebnisses?

Ohne Zweifel wird sich mit dem Sieg der offen pro-russischen Sozialistischen Partei die außenpolitische Linie ändern. Aber Dodon hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, dass er die Rolle Moldawiens eher als "neutralen" Staat zwischen Russland und der Europäische Union sieht.⁹ Denn auch er weiß, wie wichtig europäische Gelder und Absatzmärkte für die Stabilität des Landes sind. Sollten sich die Sozialisten und Demokraten auf eine Koalition einigen können, wird sich innenpolitisch wenig ändern: Ressourcen werden weiterhin politisch verteilt und der Staat als persönliches Unternehmen angesehen werden. Offen bleibt, ob, wie von Dodon angekündigt, tatsächlich Bewegung in den festgefahrenen Konflikt mit der abtrünnigen Region Transnistrien kommt. Durch den Wahlsieg wird Putins Vorschlag, die Republik Moldau in einen Föderalstaat umzubauen, definitiv an Einfluss gewinnen
¹⁰, wegen der fehlenden Mehrheit jedoch immer noch schwer umsetzbar sein.

Es bleibt die Frage nach der demokratiepolitischen Entwicklung. Die beiden neuen Parteien sowie zivilgesellschaftliches Engagement, vor allem in urbanen Zentren, geben Hoffnung. Doch ohne konkrete Wahlsiege könnten sich die autoritären Praktiken verfestigen, und eine Umkehr, die bereits heute schwer erscheint, sich noch deutlich schwieriger gestalten. Viele Bürgerinnen und Bürger Moldawiens haben ihrem Unmut ohnehin schon Ausdruck verliehen. Die Hälfte der Bevölkerung würde das Land verlassen, rund ein Viertel hat dies auf der Suche nach Arbeit und einem funktionieren Staat bereits getan.¹¹

Der mediale Fokus sollte daher auf die (anti-)demokratischen Entwicklungen im Land gelegt werden, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass die "prorussischen" und "proeuropäischen" Labels in erster Linie für eine außenpolitische Darstellung genutzt wurden und nicht die wesentlichen Konfliktlinien widerspiegeln. (Joachim Pranzl, 27.2.2019)

Joachim Pranzl ist PraeDoc am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und forscht zu politischer Partizipation und demokratischen Innovationen in Südosteuropa.

¹ Siehe die offizielle Website der Wahlkommission. Oder hier.

² In der Hauptstadt Chişinău konnte ACUM sogar stimmenstärkste Partei werden (37,7 Prozent), bei den Auslands-Moldawiern sogar eine klare Mehrheit erringen (73,1 Prozent).

³ Pieńkowski Jakub (2017): New Electoral Law in Moldova Criticised as a Tool to Keep Power. PISM Bulletin 70. Online: https://www.pism.pl/publications/bulletin/no-70-1010.

European Parliament resolution of 14 November 2018 on the implementation of the EU Association Agreement with Moldova (2017/2281(INI)). Siehe auch Tudoroiu, Theodor (2015): Democracy and state capture in Moldova. Democratization (22/4).

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