Sehr viele Menschen sind bereit, auch den größten und gefährlichsten Widersinn zu glauben, wenn es gerade ihrer Stimmungslage entspricht – und wenn jemand das geschickt genug instrumentalisiert.

Dass etwa ein jüdischer Milliardär und Philanthrop wie George Soros gemeinsam mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker einen teuflischen Plan hat, um Ungarn und ganz Europa mit muslimischen Einwandern zu überschwemmen, ist ganz offensichtlich eine verrückte und/oder bösartige Erfindung. Aber trotzdem propagiert das der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einer riesigen Plakatkampagne im ganzen Land, und ein Großteil der ungarischen Bevölkerung glaubt es.

Andere Meister dieser Methode sind Donald Trump, der seine Karriere mit der Behauptung begann, Barack Obama sei nicht in den USA geboren – 70 Prozent der Republikaner glaubten das. Oder Wladimir Putin, dessen Apparat weltmeisterliche Leistungen in Realitätsverzerrung vollbringt (Krieg in der Ostukraine? Wir doch nicht!).

Ein kleiner, aber begabter Mitspieler bei der großen Volksgehirnwäsche ist die FPÖ und da wieder ihr "Intellektueller" Herbert Kickl. Jetzt behauptet er, man müsse nur eine "Gesetzeslücke" schließen, um "gefährliche Asylwerber" noch vor einer Straftat unschädlich machen zu können.

Die "Gesetzeslücke" ist aber die Verfassung selbst, die den Schutz der persönlichen Freiheit garantiert; und die ganz sicher nicht eine vorbeugende Haft für einen "gefährlichen" Asylwerber erlaubt.

Realitätsperversionen

Es gibt einen politikwissenschaftlichen Fachbegriff aus den USA für diese Methode (Overton Window). Er besagt im Wesentlichen, dass es einer entschlossenen Gruppe oder Persönlichkeit auch aus der Minderheiten- und Außenseiterposition gelingen kann, durch unablässiges, unbeirrbares und um keinerlei Logik und Fakten bekümmertes Trommeln die verrückteste Verschwörungstheorie von heute zur Mainstream-Meinung von morgen zu machen.

Aber um die ganze Bedeutung dieser politischen Realitätsperversionen zu erkennen, sollte man in einem vor 70 Jahren erschienenen Buch nachlesen, das Geschichte geschrieben hat: "1984" von George Orwell, in dem das Bild eines totalitären Staates gezeichnet wird, der alle Begriffe umgewertet hat: "Gedankenverbrechen", für die man schon vor einer Tat verhaftet werden kann – und zwar durch die "Gedankenpolizei". Die Begriffe werden umgewertet: "Unwissenheit ist Stärke". So macht Kickl aus "Aufnahmezentren" einfach "Ausreisezentren". Gleichzeitig wird in "1984" die Vergangenheit gegen alle Evidenz dauernd umgeschrieben. Heute: Wenn der FPÖ-EU-Kandidat Vilimsky im ORF mit einer Aussage pro Öxit konfrontiert wird, sagt er einfach, er war das nicht.

Die höchste Stufe in "1984" ist erreicht, wenn die Menschen die absolute Absurdität, die dreisteste Lüge der Macht (der Partei) nicht nur hinnehmen, sondern wirklich glauben: "Zwei mal zwei ist fünf" ("double think"). Ob Kickl seinen Orwell gelesen hat (wahrscheinlich), ist unerheblich. Er lebt ihn. (Hans Rauscher, 26.2.2019)