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Brexit, Rechtsruck, Uneinigkeit bei großen Themen: Manchmal scheint es, als würde das vereinte Europa vor schier unüberwindlichen Problemen und knapp vor der Spaltung stehen. Dabei ist die EU viel besser als ihr Ruf. Es gibt in jedem Fall viel zu diskutieren: derstandard.at/europaspricht

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Europa ist eine Union der Vernunft; Europa ist etwas naiv; Europa ist das Anliegen jeder Generation; Europa ist Geschichte; Europa ist in der Krise; Europa ist am Scheideweg; Europa ist nicht Europa. Das ist nur ein kleiner Auszug aus den Zuschreibungen der jüngsten Vergangenheit – getätigt von Politikern, Kommentatoren, Künstlern und Intellektuellen, wenn es um "Europa" geht. Gemeint ist damit selten der Kontinent, meist die Europäische Union der 28 Staaten, die bald nur mehr 27 sein könnten – oder auch nicht ganz so bald.

Ob Flüchtlingsverteilung, Bekämpfung der Steuerflucht, das Verhältnis zu Russland und Amerika, der Budgetstreit mit Italien oder der Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat: keine große inhaltliche Frage ohne großen Streit in Brüssel – diesen Eindruck kann man (durchaus zu Recht) bekommen.

EU-Gegner in Regierungen

Dazu kommt der Rechtsruck in vielen Mitgliedsländern, der EU-Skeptiker und sogar erklärte Gegner der Union in die nationalen Regierungen gespült hat. Blickt man erst nach Ungarn und dann nach Brüssel, sieht man schiere Hilflosigkeit angesichts von "Partnern", die abseits aller EU-Grundsätze in Richtung Illiberalität steuern. Die Galionsfigur der Liberalen, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wird derweil von entgrenzten Gelbwesten arg gebeutelt.

Bei den Wahlen zum EU-Parlament vom 23. bis 26. Mai ist die spannendste Frage, wie stark das ultrarechte, EU-skeptische Lager am Ende sein wird – und ob die liberalen und integrativen Kräfte dagegenhalten konnten und ob das bürgerliche Lager empfindlich geschwächt wird, weil sich Ungarns Premier Viktor Orbán auf Europaebene endgültig rechts verortet.

Chaos in London, Chaos der EU

Einzig gegenüber den Briten zeigt die EU derzeit Einigkeit: In den Austrittsgesprächen legt EU-Chefverhandler Michel Barnier gegenüber Theresa May eine Klarheit und Konsequenz an den Tag, die man sich auch in anderen Fragen wünschte. Freilich führt das nicht insgesamt zu größerer Klarheit: Das Chaos in London ist auch ein Chaos der EU – auch im Hinblick auf die Wahlen. Theoretisch ist möglich, dass wenn der Austritt Großbritanniens bis dahin nicht fixiert ist, britische Staatsbürger britische Abgeordnete zum EU-Parlament wählen – und Anspruch auf einen britischen EU-Kommissar haben. Bis sie eben dann doch irgendwann austreten.

Gute Gründe zur Hoffnung

Lage und Stimmung sind also ernst – aber nicht hoffnungslos. Erst vor kurzem zeigte eine vom STANDARD beauftragte Umfrage, dass die grundsätzliche Zufriedenheit der Österreicherinnen und Österreicher mit der EU – bei aller Skepsis – deutlicher ist als noch vor fünf Jahren. Die Verankerung von Menschenrechten etwa und Klimaschutz werden der Mitgliedschaft in der Europäischen Union zugutegehalten. Und dass junge Leute über europäische Bildungsaustauschprogramme viele Seiten Europas kennenlernen und ihren Horizont weiten können, wird als eine der positivsten Seiten von Österreichs EU-Mitgliedschaft angesehen. Dies entspricht dem europäischen Trend. Laut Eurobarometer sehen die Europäer die EU derzeit weitgehend positiv. Eine Berechnung zeigte sogar eine klare Mehrheit für proeuropäische Parteienfamilien.

Europa spricht: Die größte Diskussion Europas. Machen Sie mit!
DER STANDARD

Diskutieren Sie mit

Es gibt also vieles, über das sich zu diskutieren lohnt – mit Freunden, Kollegen, Bekannten und anderen Europäern in anderen Staaten. Mit "Österreich spricht" startete DER STANDARD im Vorjahr ein vielbeachtetes Diskursprojekt. Knapp 10.000 Menschen mit möglichst unterschiedlichen Standpunkten debattierten miteinander über die Zukunftsfragen des Landes.

Zur Europawahl ist das Projekt gewachsen, wir sind sozusagen europäisch geworden. "Europa spricht" lädt am 11. Mai 2019 Europäerinnen und Europäer unterschiedlicher politischer Meinung zu persönlichen Gesprächen ein. Mitmachen lohnt in jedem Fall, es wird spannend. Wer weiß, vielleicht erweist sich ja der Wahlspruch der EU nicht als ganz verkehrt: "In Vielfalt geeint." (Petra Stuiber, 4.3.2019)