Urbane Fortbewegung sollte mittelfristig auf leichtere und langsamere Technologien umgestellt werden.

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Der tragische Tod eines Neunjährigen, der in Wien auf einem Zebrastreifen von einem Lkw erfasst worden war, löste in Österreich eine Debatte über die Verkehrssicherheit in Städten aus. Als Hauptgrund für diesen Unfall wurde der tote Winkel, jener Bereich seitlich des Lkws, der durch den Seitenspiegel nicht einsichtig ist, ausgemacht.

Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die diskutiert werden: vom elektronischen Abbiegeassistenten für Lkws bis zum Spiegel auf der Straße, vom Autoverbot vor Schulen bis zu Nulltoleranz bei Geschwindigkeitsbegrenzungen. Verkehrsminister Norbert Hofer verkündete nach dem Lkw-Sicherheitsgipfel, dass anstelle verpflichtender elektronischer Abbiegeassistenten für Lkws Kriterien für gefährliche Kreuzungen definiert und diese mit Spiegeln ausgestattet werden sollen. Zusätzlich, so Hofer, könnten auch Schutzwege versetzt werden. Für Helge Fahrnberger, den Initiator der Petition für verpflichtende Lkw-Abbiegeassistenten, eine skurrile Idee. Damit spricht er einen entscheidenden Punkt an.

Gefährliche Mobilität

Diese Spiegel übertragen die Verantwortung für die Sicherheit auf den öffentlichen Raum und die damit verbundenen Kosten auf den öffentlichen Sektor – also auf die steuerzahlenden Bürger und Bürgerinnen. Gleiches gilt für die Verlegung von Schutzwegen. Den Unternehmen und Privatpersonen, die Lkws im Stadtverkehr einsetzen, werden so Kosten abgenommen. Andere Vorschläge, wie der Abbiegeassistent, bringen eine Technologieerweiterung des Lkws, die die Zahl der Unfälle verringern soll. Eine willkommene Verbesserung – aber das grundlegende Problem verschwindet dadurch nicht. Zu selten wird seit jeher gefragt, wie sicher Automobile für ihr Verkehrsumfeld sind. Wir sprechen uns daher für einen Richtugswechsel in Verkehrspolitik und städtischer Mobilität aus.

Unsere Städte werden von Automobilen dominiert. Großzügige Straßenflächen wurden vorrangig für diese Fortbewegungsmittel erbaut. In den letzten hundert Jahren haben Automobile aber auch das Denken über Fortbewegung dominiert. Und sie sind stets für die Sicherheit und den Komfort des Fahrgastes, nicht für Sicherheit und den Komfort der Umgebung entwickelt worden.

Unsere Verkehrsregeln schränken, zugunsten des motorisierten Verkehrs, die Bewegungs- und Lebensbedingungen derjenigen ein, die kein Automobil benutzen. Im Zuge dieser Entwicklung ertragen wir damit verbundene Todesfälle und schwere Verletzungen. Das Kuratorium für Verkehrssicherheit zählte im Jahr 2017 fast 2800 verletzte Kinder bei Verkehrsunfällen, 289 mit schweren Verletzungen und acht Todesfälle. Auch wenn das Automobil eine Reihe von attraktiven Vorzügen vereint – die Gefahr für Menschen ist auch Teil dieser modernen Mobilität.

Die meisten vorgeschlagenen Lösungen versuchen die Technologie selbst zu "reparieren" oder streben danach, unsere gemeinsamen Räume zu verändern, um unsere Beziehungen zu Autos zu regeln und öffentliche Räume besser oder sicherer zu machen. Ein Paradigmenwechsel erfordert, die Kontrolle zurückzuerobern.

Öffentliche Räume sollten die Freizügigkeit aller fördern und nicht jene Gruppe privilegieren, die hinter einem Lenkrad sitzt. Urbane Fortbewegung sollte mittelfristig auf leichtere und langsamere Technologien umgestellt werden, die auch über Sharing-Modelle organisiert werden können. Eine zentrale Rolle sollten dabei effiziente öffentliche Nahverkehrsangebote spielen, für die beispielsweise Wien so bekannt ist. Die Verkehrspolitik sollte jene Mobilitätstechnologien priorisieren, die umweltfreundlich und auch für die Sicherheit des Umfelds ausgelegt sind.

Autofreie Städte

Anders als Automobile, setzen sich manche Mobilitätstechnologien erst durch, wenn sie absolut sicher sind. Aufzüge etwa wurden hunderte Jahre in Bergwerken eingesetzt. In Gebäuden aber erst, als Otis den Sicherheitsmechanismus erfand, der sicherstellte, dass kein Aufzug beim Bruch der Drähte herunterfallen würde. Die Folge waren immer höhere Häuser, die unsere städtischen Räume veränderten, aber die Sicherheit der Aufzüge ist seitdem kein Thema.

Wir erleben gerade den Übergang zur autonomen Mobilität. Künstliche Intelligenz anstelle von fahrenden Menschen wird aber nicht alle Sicherheitsprobleme lösen. Voraussichtlich werden einige, vielleicht sogar viele, Probleme gelöst, es werden aber auch neue dazukommen.

Automobile sind für unsere Städte schädlich. Einige Städte haben das bereits erkannt und ihren Zutritt beschränkt oder verboten. Ein Beispiel ist Pontevedra in Spanien. Dort starben zwischen 1996 und 2006 30 Menschen bei Verkehrsunfällen, keine seit 2009, als die Stadt autofrei wurde. Die CO2-Emissionen sind um 70 Prozent gesunken, fast drei Viertel der ehemaligen Autorouten werden heute zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt. 12.000 neue Bewohner und Bewohnerinnen sind seither in das Zentrum Pontevedras gezogen. Auch kleine Unternehmen konnten sich hier vergleichsweise gut halten. Neben dem Zuzug wird die verlangsamte Mobilität als ein möglicher Erklärungsgrund gesehen.

Mehr Lebensqualität

Städte sollten sichere und nachhaltige Fortbewegung priorisieren. Die Stadt Wien, die in Ranglisten zu Lebensqualität Spitzenplätze belegt, kann hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Der Trend zu immer schnelleren, größeren und schwereren Pkws und Lkws sollte zugunsten der Sicherheit und Umwelt umgekehrt werden. Für Handel und Industrie gibt es bereits Modelle, die Waren in Städten durch kleinere Fahrzeuge zu verteilen – die Vorzüge rechtfertigen diesen logistischen Aufwand allemal. Geteilte und öffentliche Verkehrsmittelangebote sollten ebenso ausgebaut werden, ohne jene zu übergehen, die individuelle Transportlösungen, zum Beispiel aufgrund von Bewegungseinschränkungen, benötigen. Dieser Paradigmenwechsel würde die Gefahren und Umwelteinflüsse des Straßenverkehrs nachhaltig minimieren und die autonome und sichere Fortbewegung für Kinder und Erwachsene fördern. Es ist an der Zeit, urbane Fortbewegung neu zu denken!
(Robert Braun, Johannes Starkbaum, 3.3.2019)