HIV kann mit antiretroviralen Medikamenten gut in Schach gehalten werden. Eine Stammzellen-Therapie ist nur in seltenen Ausnahmefällen eine Option, betonen Experten.

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Paris/London – Zum zweiten Mal weltweit ist ein HIV-Patient nach einer Stammzellen-Transplantation virenfrei. Das berichten Wissenschafter in der Fachzeitschrift Nature. Bereits im Jahr 2003 wurde beim dem Patienten aus London HIV diagnostiziert, im Dezember 2012 erkrankte er an Lymphdrüsenkrebs, einem Hodgkin-Lymphom. Dem an Blutkrebs erkrankten Mann waren schließlich Stammzellen eines Knochenmark-Spenders mit einer seltenen genetischen Veränderung transplantiert worden. Es handelt sich dabei um eine zweifache Mutation des Rezeptorproteins CCR5. Das HI-Virus benötigt CCR5, um in die T-Helfer-Zellen einzudringen und diese infizieren zu können. Ein Ziel im Kampf gegen AIDS ist es daher, Arzneistoffe zu entwickeln, die die Bindung von HIV an CCR5 verhindern.

Etwa ein Prozent der Europäer weisen diese zweifachen Mutation auf – sie sind gegen AIDS immun, da das HI-Virus nicht genügend Zellen infizieren kann. Neben HIV sind diese Menschen auch gegen Pockenviren immun. 16 Monate nach der Transplantation setzte der "Londoner Patient" die Medikamente ab, die eine Vermehrung des HI-Virus unterdrücken. Wiederum eineinhalb Jahre später war der Erreger noch immer nicht bei ihm nachweisbar. Mittlerweile gebe es seit 34 Monaten kein Anzeichen des HI-Virus. Sollte der Aidserreger auch in den kommenden Jahren nicht zurückkehren, wäre es erst der zweite Patient weltweit, der als von HIV geheilt gilt.

Die Ärzte wollen derzeit noch nicht von einer dauerhaften Heilung sprechen. Zudem wurden die Stammzellen-Transplantationen deshalb durchgeführt, um zusätzliche Krebserkrankungen bei dem Patienten zu bekämpfen. Die Studie mit dem Titel "Sustained HIV-1 Remission Following Homozygous CCR5 Delta32 Allogenic HSCT" wird am 5. März in Seattle präsentiert.

"Heilmittel gegen HIV ist kein Traum"

Deutsche Wissenschafter betonten, der neue Fallbericht habe zwar eine große Bedeutung, mahnten aber zur Vorsicht. "Wiederholbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium wissenschaftlicher Evidenz", sagte der Direktor der Abteilung Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg, Hans-Georg Kräusslich.

"Ein Heilmittel gegen HIV ist kein Traum, sondern erreichbar", meinte hingegen Annemarie Wensing, Virologin am Universitätsklinikum Utrecht in den Niederlanden. Die Expertin hat allerdings auch Interesse daran, die Stammzelltherapie gegen HIV zu bewerben, schließlich ist sie Co-Leiterin von IciStem, einem Konsortium europäischer Wissenschafter, das Stammzellen-Transplantationen zur Behandlung von HIV erforscht.

Massiver Eingriff

Die Einschätzung von Hans-Georg Kräusslich fällt deutlich verhaltener aus: Zukünftig werde die Transplantation mit Stammzellen keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen, wenn die Transplantation nicht durch andere Grunderkrankungen erforderlich sei. Da es sich um einen massiven Eingriff handelt, der "angesichts einer in der Regel gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie nicht vertretbar wäre", außer er sei aus anderen medizinischen Gründen indiziert.

Für Georg Behrens, Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, sind die Ergebnisse dennoch sehr vielversprechend: "Diese Behandlung ist zwar sehr experimentell, bringt uns aber dennoch voran, da sie für eine begrenzte Zahl von Patienten neue Optionen erschließt."

Der "Berlin-Patient"

Die bisher einzige dokumentierte "Heilung" eines HIV-Patienten ist der Fall des US-Bürgers Timothy Brown vor knapp zwölf Jahren, der als "Berlin-Patient" in die wissenschaftliche Literatur einging. 1995 war bei ihm eine HIV-Infektion diagnostiziert worden. Mehr als ein Jahrzehnt konnte die Krankheit mit Medikamenten in Schach gehalten werden. 2006 erkrankte der US-Amerikaner allerdings auch noch an Leukämie.

Sein Arzt, Gero Hütter vom damaligen Universitätsklinikum Benjamin Franklin, heute Teil der Berliner Charite, schlug daraufhin eine Stammzelltransplantation vor. Eine derartige Transplantation kommt dann infrage, wenn eine Chemotherapie keine Option mehr ist. Allerdings ist sie riskant. Das Immunsystem des Patienten muss zunächst komplett ausgeschaltet werden.

Mediziner Hütter hatte eine revolutionäre Idee: Er suchte einen Knochenmarkspender für Brown mit einer seltenen genetischen Mutation, durch die das HI-Virus nicht in Körperzellen eindringen kann. Normalerweise braucht das Virus den sogenannten CCR5-Rezeptor, um an Zellen anzudocken. Doch es fand sich ein passender Spender und das Experiment gelang: Brown gilt nach der Stammzellspende als HIV-frei – und das bis heute. (red, APA, AFP, 5.3.2019)