Im Ethikunterricht gelernt: Hexenkostüm als Warnung zum Umdenken (im Hintergrund die Regierungsspitze).

Foto: Matthias Cremer

Wien – Am Faschingsdienstag genießt man bekanntlich eine gewisse Narrenfreiheit. Auch die junge Frau, die sich wie viele andere Schüler des BG/BRG Pichelmayergasse, einem Gymnasium in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Wiens zehnten Bezirk, zum Faschingsausklang kostümiert hat. Ein grünes Hexenkostüm trägt sie – und eine plakative Aufschrift: "Need New Ethics – System Change, Not Climate Change!"

Das wäre nichts Besonderes, wenn nicht gerade an diesem Tag der Bundeskanzler, der Vizekanzler und der Bildungsminister in die Schule gekommen wären. Um nämlich genau über den Ethikunterricht zu diskutieren – und vor laufenden Kameras das Modell zu präsentieren, nach dem ab 2020 vorerst alle Schülerinnen und Schüler der AHS-Oberstufe als verpflichtende Alternative zum Religionsunterricht in Ethik unterwiesen werden sollen.

An der Schule in der Pichlmayergasse wird das seit fünf Jahren praktiziert, wie Direktorin Margit Wochesländer berichtet: Zuvor hatten sich nämlich immer mehr Oberstufenschüler vom Religionsunterricht abgemeldet – um eine freie Stunde zu genießen.

Attraktive Religionsstunde

Als der Ethikunterricht eingeführt wurde und die Alternative zum Religionsunterricht nicht mehr Freistunde, sondern Ethikstunde lautete, gewann der Religionsunterricht plötzlich wieder an Attraktivität: Heute wählen sieben von zehn Lernenden Religion – manche davon auch bewusst mit dem Ziel, die Matura in Religion abzulegen.

"Wir spüren deutlich, dass das Interesse an Religion gestiegen ist", sagt Wochesländer auf Nachfrage des STANDARD. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) nickt zustimmend – auch wenn es bei seiner Präsentation eben um die anderen 30 Prozent geht. Und er lehnt ebenso wie die Direktorin die Interpretation des Verfassungsrechtsprofessors Heinz Mayer ab, nach der es sich bei der nun ins Regelschulsystem übernommenen Variante des Ethikunterrichts quasi um eine "Strafethik" handle – weil junge Leute, die keinen Religionsunterricht bekommen, quasi mit einem anderen Lerninhalt "bestraft" würden statt freizubekommen.

Mögliche Diskriminierung

Mayer hält es mit der Plattform "Ethik für alle", die es als diskriminierend empfindet, wenn nicht alle Schüler Ethikunterricht bekommen.

Faßmann sieht im Ethikunterricht quasi "Bewegung und Sport für den Geist". Auch wenn die konkreten Lehrpläne erst entwickelt werden müssen, schlägt der Minister drei Pflöcke ein:

  • Zunächst gehe es im Ethikunterricht um "Ich und Du" – also um den respektvollen Umgang miteinander und mit der Meinung des jeweiligen Gegenübers.
  • "Wir und die Welt" soll den zweiten inhaltlichen Block darstellen – und den jungen Menschen die Fragen der Nachhaltigkeit und das Verständnis von Technik näherbringen.
  • "Weltreligionen und ihre Menschenbilder" stellen den dritten Schwerpunkt dar. Damit wird unmittelbar an das angeknüpft, was auch der Religionsunterricht leisten sollte.

Nur kann er das eben nicht mehr so wie früher, weil "die normgebende Kraft der Kirche" (wie es der Minister formuliert) weitgehend verlorengegangen ist.

Strache lobt Moral und Sittenlehre

Aber es sei immer Ansatz der türkis-blauen Regierung gewesen, den Religionsunterricht mit seinem derzeitigen Angebot zu erhalten, versichert Vizekanzler Heinz-Christian Strache – aber es sei eben auch sinnvoll, die Sichtweise aller möglichen Wertegemeinschaften zu vermitteln, wenn es um Moral und Sittenlehre geht.

Geld dafür wäre vorhanden, versichern die drei Regierungsvertreter bei ihrem Schulbesuch. Vor allem in der Anlaufphase müssen rund 1300 zusätzliche Lehrkräfte in Hochschullehrgängen für Ethik nachqualifiziert werden – mittelfristig soll es ein eigenes Lehramtsstudium Ethik geben. Und langfristig soll es Ethikunterricht nicht nur für Oberstufenschülerinnen und -schüler geben, sondern für Lernende aller Schulstufen und aller Schultypen, wünscht sich Faßmann.

Zumindest für die Unterstufenschüler ihrer eigenen Schule wünscht sich das auch die Direktorin Wochesländer.

Kritik der Industrie

Am Dienstag haben sich auch etliche Kritiker der von der Regierungsspitze vorgestellten Lösung zu Wort gemeldet – besonders deutlich der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, der bekennende Katholik Christoph Neumayer: "Die jetzt vorgeschlagene Reform mit einem Ethikunterricht als Ersatzgegenstand für den konfessionellen Religionsunterricht ist nicht ausreichend. Ein moderner Ethikunterricht sollte eigentlich kein 'Entweder-oder' sein, sondern allen Schülerinnen und Schülern zugutekommen", sagte Neumayer. Ganz ähnlich äußerte sich der Grüne David Ellensohn. (Conrad Seidl, 6.3.2019)