Orbáns Pläne machen Frauen mundtot, signalisieren diese Kundgebungsteilnehmerinnen in Budapest.

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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will sich mit der niedrigen Geburtenrate seines Landes nicht abfinden, auch wenn diese durchaus im mitteleuropäischen Schnitt liegt. Die Zuwanderung als Ressource für die mangelnden eigenen Arbeitskräfte lehnt der Rechtspopulist strikt ab. "Wer sich für Migranten entscheidet, mit welcher Absicht auch immer, erzeugt in Wirklichkeit ein Land mit einer Mischbevölkerung", lautet sein markiges Credo.

Deshalb sollen jetzt Ungarns Frauen mehr Kinder kriegen. In seiner jährlichen "Rede zur Lage der Nation" kündigte Orbán am 10. Februar einen "Aktionsplan zum Schutz der Familie" an, der dies mit beträchtlichen finanziellen Anreizen bewerkstelligen soll. Er besteht aus sieben Punkten:

  • Jede gebärwillige Frau unter 40, die zum ersten Mal heiratet, kommt in den Genuss eines zinsfreien Kredits in Höhe von zehn Millionen Forint (31.778 Euro) zur freien Verwendung. Nach dem ersten Kind wird die Rückzahlung auf drei Jahre ausgesetzt; nach dem zweiten Kind wird ein Drittel, nach dem dritten der gesamte Kredit erlassen. Bekommt die Frau aber innerhalb von fünf Jahren kein Kind, dann wird das Darlehen zu Marktbedingungen verzinst.
  • Das bereits existierende Programm von begünstigten Krediten zum Erwerb von Wohnraum (CSOK) wird ausgeweitet.
  • Schon nach dem zweiten Kind übernimmt der Staat gewisse Anteile von Hypothekenschulden, die beim Erwerb von Wohnraum entstanden sind. Bisher tat er das erst ab dem dritten Kind.
  • Frauen, die mindestens vier Kinder geboren und aufgezogen haben, brauchen für den Rest ihres Lebens keine Einkommensteuer mehr zu bezahlen.
  • Familien mit mindestens drei Kindern, die einen Pkw mit mindestens sieben Sitzen anschaffen, bekommen vom Staat einen Zuschuss von 2,5 Millionen Forint.
  • Die Zahl der Kinderkrippenplätze wird bis 2022 um 21.000 erhöht – so will man eine vollständige Versorgung sichern.
  • Das Erziehungsgeld (GYED), das zu Hause bleibende Elternteile zwei Jahre lang beziehen können, kann künftig auch von einem Großelternteil bezogen werden.

Die Ankündigung verfehlte ihre Wirkung nicht: Wochenlang wurde in Ungarn über fast nichts anderes geredet. Bei den Immobilienmaklern liefen die Telefone heiß. Vor allem der freihändig zu vergebende Zehn-Millionen-Forint-Kredit – im Volksmund Ehefrauenkredit (" asszonyhitel") genannt – erregt die Fantasien der Ungarn intensiv. Bei Durchschnittsverdiensten von 300 bis 400 Euro im Monat bedeutet das in Aussicht gestellte Darlehen in Ungarn eine Menge Geld.

Am Donnerstag gab Orbáns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás vor der Presse in Budapest weitere Einzelheiten zum Sieben-Punkte-Plan bekannt. Den "Ehefrauenkredit" kann nun auch der Ehemann in Anspruch nehmen; und auch Geschiedene können ihn bekommen, wenn beide noch kein Kind haben. Die Kredite und Zuschüsse beinhaltenden Punkte des Aktionsplans treten am 1. Juli in Kraft, sagte Gulyás.

Immer deutlicher wird jedoch: Die versprochenen Segnungen werden nicht für alle ungarischen Familien erreichbar sein. In Hinblick auf den Zehn-Millionen-Forint-Kredit werden nur Ehepartner anspruchsberechtigt sein, die ein mindestens drei Jahre währendes Beschäftigungsverhältnis nachweisen können. Die Banken könnten zusätzliche Bonitätskriterien einfordern.

Auch die sonstigen CSOK- und Hypotheken-Konstruktionen kommen nur jenen zugute, die in relativ gesicherten Verhältnissen leben. Die Armen, die sozial Schwachen, die Abgehängten und Arbeitslosen werden ausgeschlossen. Ihnen bleibt das Kindergeld, das seit fast zehn Jahren unverändert 90 Euro im Monat ausmacht.

Nur Reiche profitieren

Experten rechnen deshalb nicht wirklich mit einer sprunghaften Zunahme der Kinderzahl. Orbán gab als Ziel vor, dass die derzeitige Zahl von statistisch knapp 1,5 Kindern pro Paar bis 2030 auf über zwei zu steigern sei. "Von diesen Versprechungen werden Elitefamilien, wird die obere Mittelklasse in gewissem Maße profitieren", meint der Soziologe Csaba Dupcsik von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. "Doch mit einem sprunghaften Anstieg der demografischen Kennziffern ist nicht zu rechnen." Im Langzeitvergleich, so Dupcsik, habe sich erwiesen, dass derartige materielle Anreize seitens des Staates nur kurzzeitig zu einer etwas höheren Kinderzahl führen.

Jene, die ohnehin eine Familie gründen wollen, würden dies zeitlich vorziehen, um rascher in den Genuss der Begünstigungen zu kommen. Dupcsik: "Es werden Kinder geboren, die ohnehin auf die Welt gekommen wären – langfristig haben also solche Programme keine substanzielle Wirkung." (Gregor Mayer aus Budapest, 7.3.2019)