Noémi Kiss: Viktor Orbáns familienpolitische Maßnahmen berücksichtigen nicht die Rahmenbedingungen für Frauen. So bleibt die gute Absicht reine staatliche Propaganda.

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Ungarns Ministerpräsident Antwort auf den Geburtenrückgang: Finanzielle Anreize sollen Frauen dazu bewegen, mehr Kinder zu gebären.

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Die erste Muttersituation ist der verdichtete Augenblick der Geburt: Du bist klatschnass, alles tut dir weh, aber deine Babys haben ein unglaublich niedliches Gesicht. Wer mag schon keine Kinder, wenn sie auf dem "Serviertisch" durch die Entbindungsstation geschoben werden? Wer schaut ihnen nicht gern zu, wie sie so süß bei einer Arbeitsbesprechung am Daumen lutschen? Es gibt keinen vielversprechenderen Anblick als eine stillende Mutter im Café um die Ecke. Oder als ein Baby im Parlament brabbelnd an der Brust seiner Mutter.

Heute gehen meine Kinder schon fröhlich zur Schule, aber der Grad des Schmerzes und der Erschöpfung, den die ersten Jahre der Mutterschaft für mich brachten und den ich nie zuvor gekannt hatte, haftet an ihnen. Aber auch das Gefühl des Glücks. Verrückte Augenblicke. Eine Mischung aus Wut und Ausdauer. Aus Abscheu gegenüber den Erwartungen und grenzenloser Begeisterung. Ich erinnere mich, Anfang März lagen sie regelmäßig mit Grippe in ihren Bettchen, mit 39 Grad Fieber. Als mein Mann mir zum Frauentag Blumen brachte, legte er sie auf den Teppich neben mich. Dort lag ich todmüde, in Embryonalstellung zusammengekauert. Mein Gesicht in die Hände vergraben. Nichts wollte ich lieber, als die Flügel auszubreiten und aus meinem eigenen Leben zu fliegen.

Reproduktionszwang

Sich die Mutterschaft von oben anzuschauen ist unmöglich. Keine Regierung, keine Politik und kein Staat kann statt der Embryonen in die Gebärmütter der Frauen schlüpfen. Dennoch räumen jene Länder der Mutterschaft die Hindernisse erfolgreicher aus dem Weg, in denen man den Rollen der modernen Frau Beachtung schenkt. Wo man sie nicht zu Figuren längst vergangener Zeiten automatisieren will, zu utopistischen Gebärmaschinen.

Es ist ein verqueres Gefühl, wenn von "Geburtenpolitik", "Bevölkerungszuwachs" oder "erwarteter Kinderzahl" gesprochen wird. Denn die Intimität von Geburt und Mutterschaft ist nicht dasselbe wie der Reproduktionszwang auf Systemebene. Wer will einer Mutter nicht sofort helfen, die mit vier Kindern in die U-Bahn steigt? Wer will nicht, dass jeder Kinderwunsch in Erfüllung geht? Nur ist ein Kind nie eine staatliche Frage. Es ist eine emotionale, innere Entscheidung, die mit dem eigenen Körper der Frau eng verbunden ist, eine freie Wahl, die sich mit tausend Fäden an die zwiespältigen Gefühle knüpft.

Mutterfreundliche Politik?

Es ist eine interessante Entwicklung der letzten zehn Jahre, dass ein bedeutender Teil der Familien das erste Kind gar nicht in Ungarn bekommt. Die Zahl derjenigen, die im Ausland arbeiten, wird auf 700.000 Personen geschätzt, zum Großteil sind es junge Familien oder Familienernährer. Wo ist es gut, eine Familie zu gründen? Überall, letztendlich ist es egal. Wo ist es gut, ein Kind zu bekommen und sich mit Babys zu umgeben? Dort, wo die Versorgung bei der Entbindung gut ist, wo es genügend kompetente Kinderärzte gibt, wo auch der kleinste Raum kinderfreundlich, mutterfreundlich und so weiter ist – zählen die Frauen ihre Vorlieben auf. Oder: wo die unsichtbare Arbeit der Pflege anerkannt wird. Wo die Babys nicht gemäß den Marktinteressen und den Bedürfnissen der – in Osteuropa vor allem deutschen – Industrie geboren werden. Wo die Frauenpolitik also kein Defizit ist.

Heute ist die Interessenvertretung der Frauen bedauerlicherweise recht wirkungslos, wofür eindeutig sowohl die linken als auch die rechten Parteien die Verantwortung tragen. Zwar gibt es einen Pseudofeminismus, Aktionen der Elite im Zentrum von Budapest, doch die Wirkung ist gleich null. In Ungarn hat keine der Parteien, die im Parlament vertreten sind, ein mutterfreundliches Programm.

Höheres Lebensniveau?

Seit Jahren ist bekannt, dass die Kinder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Ausland häufig bei den Großeltern aufwachsen. Nicht nur in Moldawien und in der siebenbürgischen Walachei, sondern sehr wohl auch in Ungarn, im Komitat Borsod oder der Region Hajdúság. Die Mutter, die sich nicht um ihre eigenen Kinder und Eltern kümmert, pflegt im Westen alte Menschen. Großeltern und Tanten erziehen die Kleinen, während Vater und Mutter in Italien Tomaten pflücken.

"Gebären ist für eine Ehefrau Pflicht, für ein Mädchen Ruhm." Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat Anfang Februar die Punkte bekanntgegeben, die zum Bevölkerungszuwachs anspornen sollen. Das ist kein Programm zur Förderung der Gesellschaft oder des Lebensniveaus, sondern eine unmittelbare Zuwendung zur Steigerung der Geburtenzahlen. Sie steht jenen Frauen zu, die bereit sind, viele Kinder zu bekommen. Insbesondere die jungen Frauen unter 40 werden unterstützt, die bereit sind, vier Kinder zu gebären.

Alternde Gesellschaft

Die ungarische Regierung geht ihre Demografiepolitik auf dieselbe Weise und mit den gleichen Fehlern an wie die Kádár-Ära oder die Rákosi-Ära in den Fünfzigerjahren. Sie berücksichtigt nicht die Familienstrukturen und den radikalen Wandel der Rolle der Frau.

Die ungarische Gesellschaft altert ebenso wie die der anderen einstigen sowjetisierten Länder. Das Alter ist jedoch kein "schönes Alter", wie man im Ungarischen sagt, sondern häufig armselig und mittellos; kurz, kränklich. Die Kampagnen mögen verbal einen positiven Beitrag leisten, doch das Volk macht sich schon jetzt lustig, spottet darüber. Das Synonym dafür, Kinder zu bekommen oder Mutter zu sein, ist: "totaler materieller Bankrott".

Kein Dialog

Diejenigen, die im Gesundheitswesen, in der Bildung, im sozialen Bereich tätig sind – vor allem Frauen -, verdienen 550 Euro netto. Zu den Rahmenbedingungen, unter denen sich der "Bevölkerungszuwachs" realisieren könnte, die Emigration zu stoppen wäre und die Arbeit der Frauen (Lohn- und Hausarbeit) anerkannt würde, steht die durch und durch patriarchale parlamentarische Demokratie in diametralem Gegensatz.

Es gibt keine Frauenvertretung und keine Frauenpolitik. Kommt es zu einer Entscheidung, wird diese in der Regel von Männern aus protektionistischen Positionen heraus besprochen. So bleibt die gute Absicht der Familienpolitik reine staatliche Propaganda. Zwischen der Gesellschaft und den Organen der Entscheidungsfindung gibt es keinen Dialog, und der Konsum, die liberalisierten Marktprinzipien, die die Kinder umgeben, liefern die Mütter schließlich vollkommen aus und entfremden sie häufig. Wollte heute jemand wirklich einen gesonderten Pakt mit den Frauen schließen, dann müsste er erst einmal mit ihnen reden. (Noémi Kiss, Übersetzung: Éva Zador, 7.3.2019)