Working-Class-Heroine Star (Sasha Lane).

Foto: Screenshot YouTuber/Trailer

Muskogee, Oklahoma: Auf einem einsamen Parkplatz wühlt Star sich durch den Müllcontainer eines Supermarkts, aus allerlei Verrottetem fischt die 18-Jährige Lebensmittel für sich und ihre jüngeren Halbgeschwister. Zu Hause wartet nicht nur ein leerer Kühlschrank, sondern auch ein übergriffiger Stiefvater.

So überlegt Star (Newcomerin Sasha Lane) im 2016 erschienenen Roadmovie "American Honey" nicht lange, als sie auf eine Gruppe Jugendlicher trifft und der charismatische Jake (Shia LaBeouf) ihr einen Job anbietet: In einem Kleinbus zieht die Crew umher und verkauft Zeitschriften-Abos an der Haustür. Geschlafen wird in heruntergekommenen Motels, abends kassiert die geschäftstüchtige und stets grell geschminkte Krystal die Einnahmen. Wer herzzerreißende Geschichten von angeblichen Bildungsprojekten oder persönlicher Läuterung erzählt, verkauft besonders viele Waffen- oder Motorbootmagazine, die eigentlich niemand lesen will.

Emanzipatorischer Roadtrip

Für Star ist der Verkaufstrip durch den Mittleren Westen der USA trotz alledem ein Befreiungsschlag: Die vorbeiziehende, mitunter trostlose Landschaft mit den ewig gleichen Einkaufszentren verwandelt sich durch ihren Blick in einen Raum voller Möglichkeiten, die Kamera bleibt immer nah an der Protagonistin, kreiert intime, aber niemals voyeuristische Momente.

KinoCheck

Erst wenige Wochen vor Drehbeginn entdeckte Regisseurin Arnold die 21-jährige Studentin Sasha Lane, deren Anziehungskraft man sich kaum entziehen kann. Dabei verwehrt sich "American Honey" jeglicher klassischen Dramaturgie: Scheinbar endlose Autofahrten reihen sich im fast dreistündigen Film aneinander, die jugendlichen Laien-SchauspielerInnen vertreiben sich die Zeit mit dröhnender Musik und Drogenkonsum.

Protagonistin Star entwickelt bald Gefühle für Jake, der als Krystals rechte Hand immer wieder junge Frauen für die Crew anwirbt. Auch wenn die hitzige Affäre für Star kein gutes Ende nimmt – Regisseurin Arnold zeigt sie selbst in brenzligen Situationen als radikal selbstbestimmt. So stechen auch die Sexszenen mit lustvoller wie ungeschönter Körperlichkeit hervor, etwa wenn Star vor dem Sex mit Jake ihren Tampon aus der Vagina zieht und in die Wiese wirft.

Erfolgsrezept

Andrea Arnold, die selbst in einer ArbeiterInnen-Familie aufgewachsen ist, erzählt in ihren Filmen wiederholt Geschichten junger Working-Class-Frauen, für ihren Kurzfilm "Wasp" (2003) wurde sie mit einem Academy Award ausgezeichnet, "Fish Tank" erhielt 2009 den Preis der Jury in Cannes. Wie auch in "American Honey" zeigt Arnold die Protagonistinnen aus dem Plattenbau stets als komplexe Charaktere und nicht bloß als Gefangene ihrer prekären Verhältnisse – dabei verzichtet sie komplett auf süßliche Aufstiegsmythen Marke Hollywood. So sehr sich Star im vorliegenden Film oder die 15-jährige Mia in "Fish Tank", die von einer Karriere als Tänzerin träumt, auch anstrengen: Das gute Leben wartet nie zwei Straßen weiter. (Brigitte Theißl, 12.3.2019)