Angesichts den unklaren Brexit-Kurses macht sich unter Demonstranten in London Verzweiflung breit.

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Theresa May verlor die Abstimmung am Montag deutlich. Ihr Deal wurde mit 391 zu 242 Stimmen abgelehnt.

London – Nächste Runde im Brexit-Abstimmungsmarathon: Am Mittwoch stimmen die Abgeordneten des britischen Unterhauses darüber ab, ob das Vereinigte Königreich mit oder ohne Deal aus der EU austreten soll. Es wird erwartet, dass sich eine Mehrheit gegen den ungeregelten Brexit ausspricht. In diesem Fall würde die Regierung das als offizielle Position übernehmen, wie Premierministerin Theresa May ankündigte. Der Chaos-Brexit würde damit aber nicht für immer, sondern nur für den Moment ausgeschlossen werden.

Die Debatte im Unterhaus sollte um etwa 16.30 Uhr von May eröffnet werden; weil sie heiser ist, wird sie von Umweltminister Michael Gove vertreten. Zuvor wird Speaker John Bercow allerdings noch entscheiden, welche Abänderungsanträge dem Unterhaus zur Abstimmung vorgelegt werden. Der Gesetzestext ist kurz, er besteht im Original aus vier Zeilen.

"Dieses Haus weigert sich, dem Austritt aus der Europäischen Union am 29. März ohne Austrittsvereinbarung und einen Rahmen für die künftigen Beziehungen zuzustimmen. Das Haus nimmt auch zur Kenntnis, dass ohne einen Deal der Normalfall unter EU- und britischem Recht der Austritt ohne Deal bleibt, sollten nicht Parlament und EU einer Vereinbarung zustimmen."

Kurz gesagt: Es geht bei dem Gesetzestext, so, wie die Regierung ihn zur Abstimmung vorlegt, darum, ob das Unterhaus sich für einen Austritt ohne Deal ausspricht. Spricht es sich dagegen aus, bleibt alles beim Status quo, also einer Willensbekundung zum Austritt ohne Deal – während gleichzeitig die Uhr bis zu einem No-Deal-Brexit am 29. März weitertickt. Weil das nicht alle Abgeordneten so beschließen wollen, gibt es mehrere Abänderungsanträge, die – sofern Speaker John Bercow über sie abstimmen lässt – den Inhalt des Gesetzes deutlich verändern könnten.

Sechs "Amendments" wurden bereits vor einiger Zeit eingereicht, zwei weitere kamen kurzfristig hinzu und wurden handschriftlich eingebracht. Ausgewählt wurden zwei, nämlich F und A:

  • "Malthouse compromise"-Amendment (Amendment F)

Dieser Abänderungsantrag wurde von Abgeordneten der DUP und mehreren Konservativen eingereicht, darunter die Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg und Steve Baker von der "European Research Group". Er sieht eine Verschiebung des Austritts vom 29. März auf den 22. Mai vor sowie eine Verlängerung der Übergangsperiode vom Dezember 2020 auf den Dezember 2021. Für diesen Zeitraum sieht der Antrag keine Backstop-Regelung vor.

  • Kein-No-Deal-Brexit-Amendment (Amendment A)

Der vor allem von EU-Befürwortern eingereichte Abänderungsantrag sieht vor, den Brexit ohne Deal ein für alle Mal auszuschließen. Dem Amendment werden gute Erfolgschancen eingeräumt, es erhielt bei der Abstimmung Ende Jänner bereits eine Mehrheit von 318 zu 310 Stimmen.

Alle anderen sechs Amendments wurden von Speaker John Bercow abgelehnt: Die Amendments B, C, D und E wurden ebenfalls von Gegnern des harten Brexits oder Anhängern des EU-Verbleibs formuliert. Amendment B hätte die Regierung verpflichtet, den Austrittsantrag nach Artikel 50 zurückzuziehen. Amendment C hätte die Übergangsphase verlängern und die Regierung auffordern sollen, ein neues Referendum anzusetzen. Amendment D ist de facto eine umfangreichere Variante des Amendments A, die zusätzlich zum Ausschluss eines No-Deal-Brexits die Regierung aufgefordert hätte, den Austrittsantrag zurückzuziehen und ein neues Referendum anzusetzen. Amendment E hätte den zweiten Teil des Gesetzestextes gestrichen, sodass nur noch "Dieses Haus weigert sich, dem Austritt aus der Europäischen Union am 29. März ohne Austrittsvereinbarung und einen Rahmen für die künftigen Beziehungen zuzustimmen" übrig geblieben wäre – womit es mehr oder weniger wortgleich mit Amendment A gewesen wäre.

Das kurzfristig eingereichte Amendment G stammte von EU-Gegnern, es verkehrte den Antrag in sein Gegenteil: Das Parlament hätte dann darüber abgestimmt, ob man "die Regierung auffordern" wolle, "No Deal" in den Verhandlungen auf dem Tisch zu belassen. Amendment H, es stammte von EU-Befürwortern, hätte das Datum 29. März aus dem Text entfernt und die Regierung aufgefordert, einen No-Deal-Brexit "unter allen Umständen" zu vermeiden. Der Antrag stellte zudem fest, dass das Parlament das Recht hat, die EU-Austrittserklärung zurückzuziehen.

Verschiebung des Austrittsdatums

Nach der Abstimmung über die Amendments wird über den No-Deal-Brexit abgestimmt, das Prozedere beginnt um 20 Uhr. Für den Fall einer Ablehnung steht schon am Donnerstag das nächste Votum auf dem Programm: Dann werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier darüber entscheiden, ob der Austrittstermin verschoben werden soll. Dem müssten allerdings alle 27 EU-Mitgliedsstaaten zustimmen.

In verlängerten Verhandlungen würde wohl erneut der umstrittene Backstop im Vordergrund stehen – die Auffanglösung, die eine harte Grenze zwischen Irland und der britischen Region Nordirland verhindern soll. Der Plan sieht vor, dass das Vereinigte Königreich Mitglied der Zollunion bleibt, wenn sich beide Seiten bis zum Ende der Übergangsperiode (bisher: Dezember 2020) nicht auf die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit geeinigt haben.

Brexit-Hardliner fordern schon lange eine zeitliche Befristung des Backstops oder das einseitige Recht, ihn zu einem beliebigen Zeitpunkt zu beenden. Brüssel lehnt das ab. Ein Kompromiss könnte sein, London Mitspracherechte in der Handelspolitik einzuräumen, solange es Mitglied der Zollunion ist.

Niederlage im Parlament

Am Dienstag war May erneut mit ihrem Austrittspaket im Unterhaus gescheitert. Trotz neuer, knapp vor der Abstimmung mit Brüssel ausverhandelter Dokumente lehnten 391 Abgeordnete den Deal ab, nur 242 stimmten dafür. Die EU reagierte enttäuscht auf das Ergebnis und erklärte, der Ball liege in London, um eine Lösung zu finden. Die No-Deal-Vorbereitungen der EU sind laut EU-Chefverhandler Michel Barnier nun aber wichtiger als jemals zuvor.

Für den Fall eines Chaos-Brexits hat die Regierung am Dienstag Notfallpläne vorgelegt. Demnach sollen weiterhin 82 Prozent aller Importe aus der EU ohne Zölle nach Großbritannien eingeführt werden können. Zugleich sollen mehr Waren, die aus anderen Teilen der Welt auf die Insel geliefert werden, von Zöllen befreit werden. Der Anteil der zollbefreiten Importe würde damit von derzeit 80 auf 87 Prozent steigen. Damit sollen die Auswirkungen befürchteter Preissteigerungen nach einem No-Deal-Brexit für die britischen Konsumenten abgefangen werden.

Außerdem soll auf Zollkontrollen an der Grenze zu Irland verzichtet werden. Diese Maßnahmen sollen allerdings nur gelten, bis sich Großbritannien mit der EU-Kommission und der irischen Regierung auf eine dauerhafte Regelung zur Vermeidung einer "harten Grenze" verständigt hat. (maa, mesc, 13.3.2019)