Die Abgeordnete Julia Reda ist eine bekannte Kritikerin der geplanten Urheberrechtsreform.

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Kaum eine EU-Reform hat noch vor ihrer Verabschiedung für eine so aufgeladene Debatte gesorgt wie jene des Urheberrechts. Eine der zentralen Persönlichkeiten in Brüssel ist die Piraten-Abgeordnete Julia Reda. Für sie wird die Abstimmung Ende des Monats eine der letzten sein – denn sie wird nicht wieder kandidieren. Der STANDARD hat diesbezüglich mit ihr gesprochen.

Die EU-Urheberrechtsreform steht kurz vor ihrer letzten Abstimmung im EU-Parlament. Der finale Text wird von Kritikern, auch von Ihnen, als einer der "schlimmsten" bezeichnet. Ist es überraschend, dass sich letztlich diese Version durchgesetzt hat?

Was man sehen kann, ist, dass die Befürworter es versäumt haben, einen breiten Kompromiss zu finden. Vergangenen Juli wurde die Reform aufgrund von Protesten per E-Mail und Telefon abgelehnt. Die Position landete zurück im Ausschuss. Das wäre eigentlich die Chance für die Konservativen gewesen, einen breiteren Konsens zu suchen. Das ist nicht passiert: Das einzige Zugeständnis waren Ausnahmen für kleine Unternehmen bei Uploadfiltern.

Wie konnte es dazu kommen?

Die Befürworter waren nicht bereit, auf Kritik einzugehen. Außerdem war massives Lobbying im Spiel – etwa von der AFP. Die versuchte weiszumachen, dass es sich um "Eine Frage nach Leben und Tod" handle. Mit dieser extremen Übertreibung hat sie den Abgeordneten Angst gemacht. Und: Noch hat das EU-Parlament ja nicht abgestimmt. Geeinigt haben sich genau dieselben Leute, die schon vorher dafür waren. Selbst die Ausnahmen bei Uploadfiltern sind so verwässert worden, dass nicht einmal die kleinsten Plattformen ausgeräumt werden. Ich finde das gewissermaßen frech. Da sieht man, wie kompromisslos die Befürworter geblieben sind, obwohl es durchaus berechtigte Sorgen gibt, dass kleine Plattformen am stärksten darunter leiden werden, während größere Konzerne keine Probleme mit den neuen Regeln haben werden.

Wie, denken Sie, wird die finale Abstimmung ausgehen?

Es wird sehr knapp. Das war bei der Abstimmung im September, als das Parlament für den Entwurf gestimmt hat, so, bei der Absage zuvor im Mai auch. Ich glaube aber, das, was sich geändert hat, ist, dass die Leute auf die Straße gehen. Das ist ein wichtiges Zeichen und zeigt den Abgeordneten, dass es echte Wähler – und keine Bots – sind. Viele Parlamentarier, die zuvor zugestimmt haben, haben bereits ihre Meinung geändert.

Bei einem Blick auf die aktuelle Debatte fällt auf, dass die Urheberrechtsreform ein riesiges Thema in Deutschland ist, in Österreich aber ein vergleichsweise kleines. Warum?

Ich glaube, in Deutschland ist das nicht zuletzt so, weil die Bundesregierung sich völlig erratisch verhalten hat. Im Koalitionsvertrag sprach man sich noch gegen Uploadfilter, im Rat stimmte man aber dafür ab. Die zuständige Justizministerin spricht sich hingegen klar "dagegen" aus. Es ist eine Position, die überhaupt nicht verständlich ist. Da haben sich viele zu Recht geärgert. Ich hoffe, dass Österreich da nachziehen wird. Überhaupt, die ÖVP-Abgeordneten haben zum Beispiel zunächst vor dem Juli angekündigt, eher dagegen zu stimmen. Dann gab es Gespräche mit Berichterstatter Axel Voss (CDU), woraufhin sie wiederum dafür war. Eigentlich wurde versprochen, dass auf Bedenken bei den Verhandlungen eingegangen werde, passiert ist das aber nicht.

Im Mai finden die Europawahlen statt. Sie wollen diesmal nicht kandidieren. Wieso?

Ich will nicht Berufspolitikerin werden, sodass ich nichts anderes mehr machen kann. Man begibt sich in die Abhängigkeit von Interessengruppen. Ich weiß zum Beispiel von Kollegen, dass ihnen teilweise Zeitungen und Verlage mit schlechter Berichterstattung drohen, wenn sie keine bestimmte Position einnehmen. Solche Abhängigkeiten entstehen, wenn Abgeordnete das Gefühl haben, nicht zu wissen, was sie sonst tun würden. Ich bin ja direkt nach der Universität in das Parlament gegangen und halte es für wichtig, dass ich frühzeitig etwas anderes mache. Ich habe ja später die Option, zurückzugehen, bin aber nicht angewiesen.

Außerdem ist es wichtig, dass man nicht über Jahrzehnte hinweg in der Politik bleibt. Ansonsten kann man nicht einschätzen, wie normale Menschen leben. Ich merke es ja bei der Copyright-Reform – die meisten Abgeordneten sind 50 plus und verwenden das Internet wenn überhaupt widerwillig für ihre Arbeit. Sie verstehen es nicht ganz – für sie ist Youtube etwa eine Art Fernsehkanal, sie verstehen nicht, dass dort viel Kreativität entsteht.

Gibt es schon Pläne, was Sie stattdessen tun werden?

Ich werde mich weiter mit der Urheberrechtsreform beschäftigen – sowohl aktivistisch als auch wissenschaftlich. Ich denke, dass Uploadfilter zunehmend nicht nur in Europa, sondern weltweit zum Thema werden. Es besteht die Gefahr, dass sich der Charakter des Internets ändern wird – immer mehr wie das Fernsehen, wo eine kleine Zahl von Unternehmen entscheidet, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Das Internet ist eine wichtige Errungenschaft, die man wertschätzen und bewahren muss.

Denken Sie, dass das im Europaparlament nicht möglich ist?

Im Parlament ist das Problem, dass die Vorschläge von der Kommission kommen. Ohne Initiativrecht ist das Parlament nur in der Lage, das zu bearbeiten, was vorgelegt wird. Ich habe schon 2015 viele Vorschläge zur Urheberrechtsreform gemacht, die von den anderen Parlamentariern durchaus positiv aufgenommen wurden, die Kommission hat sie aber ignoriert. In diesem Fall gehen sie in die falsche Richtung. Trotzdem kann man nur verhindern, dass es schlimmer wird. Zum Positiven kann man nichts ändern. Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft, damit das Urheberrecht zum Positiven reformiert wird.

Sie gelten im deutschsprachigen Raum als Netzpolitik-Koryphäe im EU-Parlament. Machen Sie sich Sorgen, dass diese Rolle nicht nachbesetzt wird?

Ich denke, dass es im europäischen Kontext keine Rolle spielt, aus welchem Land die Abgeordneten kommen. Es gibt zum Beispiel die Piraten in Tschechien, die sich tiefgehend mit dem Thema befassen. Oder den SPD-Abgeordneten Timo Wölken, der sich auch gegen seine Parteiposition stellt und soziale Medien effektiv nutzt, um über das Thema Urheberrecht aufzuklären. Ähnliche Beispiele gibt es in vielen anderen Ländern, ich glaube also nicht, dass das ohne mich nicht mehr besetzt sein wird. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass es eine Erneuerung gibt und auch jüngere Leute ins Parlament gewählt werden. Ich sehe mich selbst nicht als so jung an, bin aber trotzdem eine der jüngsten Abgeordneten. Die Generation 18 bis 30 – so viele Wahlberechtigte – ist überhaupt nicht vertreten.

Wenn Sie Resümee über Ihre Zeit im EU-Parlament ziehen – zu welchem Fazit kommen Sie?

Was, denke ich, vielen Menschen nicht aufgefallen ist: Wie viele Gesetze über unser Leben in Brüssel entschieden werden. Ich bin daher froh, dass die Urheberrechtsreform zum richtigen Zeitpunkt – nämlich vor der Entscheidung auf EU-Ebene – debattiert wird. Was wir zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung gesehen haben, ist, dass Proteste oft erst stattfinden, nachdem Richtlinien verabschiedet wurden. Dann schieben die Bundesregierungen die Schuld auf Brüssel, obwohl sie sich selbst auf EU-Ebene dafür eingesetzt haben, dass es so kommt.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass viele Abgeordnete mit Herzblut dabei, aber oft von der Position von Lobbyisten abhängig sind. Etwa wenn Verwertungsgesellschaften ständig sagen, im Entwurf stünde nichts von Uploadfiltern – obwohl die gesamte Wissenschaft sagt, dass es der einzige Weg ist, den Gesetzestext umzusetzen. Es fehlt an Interesse, an europäischer Öffentlichkeit.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Europas?

Ich wünsche mir, dass die Wahlen weniger zu der Frage "für vs. gegen EU" werden. In einer globalisierten Welt ist es nicht möglich, alles auf nationaler Ebene zu beschließen. Wir brauchen die EU, und sie ist eine riesige Errungenschaft. Wichtig ist, dass wir nicht zwischen Pro-EU bzw. Anti-EU unterscheiden, sondern zwischen den verschiedenen Positionen der proeuropäischen Parteien. Man sieht ja am Brexit ganz klar, dass die antieuropäischen Kräfte gar nicht wissen, was man stattdessen tun soll. (muz, 24.3.2019)