London – EU-Ratspräsident Donald Tusk macht sich für eine deutliche Verlängerung der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens stark. Er werde bei den anstehenden Gesprächen vor dem EU-Gipfel an die restlichen 27 Länder appellieren, offen für eine lange Verzögerung zu seien, schrieb Tusk am Donnerstag auf Twitter.

Das gelte für den Fall, dass Großbritannien seine Brexit-Strategie überdenken wolle und einen Konsens finde müsse. Tusk verstehe unter deutlicher Verlängerung mindestens ein Jahr, erklärte ein EU-Vertreter laut der Nachrichtenagentur Reuters. Die EU-Spitzen treffen sich nächste Woche Donnerstag und Freitag zu einem Gipfel in Brüssel.

Das britische Parlament wird am Donnerstagabend über eine Verzögerung des Ausstiegs abstimmen. Eigentlich soll das Land am 29. März die EU verlassen.

Theresa Mays Brexit-Deal, verhandelt in monatelanger Kleinarbeit und abgesegnet von allen 27 EU-Partnern, "ist die beste und einzig mögliche Lösung", richtete Vizekommissionspräsident Frans Timmermans am Mittwochabend den Parlamentariern auf der anderen Seite des Ärmelkanals per Twitter aus.

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch berichtet aus London über die jüngste Brexit-Abstimmung.
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Jenen Abgeordneten also, die zuerst Mays Deal zum zweiten Mal abgelehnt hatten, um dann zu beschließen, keinesfalls ohne Deal aus der EU ausscheiden zu wollen. Heute um 18 Uhr MEZ schreiten dieselben Abgeordneten zum dritten Mal in dieser Woche zu einer Abstimmung, nämlich über die Frage, ob die Regierung die EU um Aufschub bitten soll.

Dass diese einzig verbliebene Option, einen Chaos-Brexit noch zu verhindern, nun angenommen wird, gilt als wahrscheinlich. Die Regierung der von den jüngsten Abstimmungsniederlagen angeschlagenen May nennt als möglichen neuen Stichtag den 30. Juni.

Der Finanzchef der oppositionellen Labour-Partei, John McDonnell, sagte der BBC am Donnerstag, seine Partei werde eine begrenzte Verschiebung des Brexits unterstützen.

Doch sind es diesmal nicht die Briten allein, die darüber entscheiden können. Neben Timmermans hat am Mittwoch auch noch der Sprecher von Ratspräsident Tusk die Erwartungen gedämpft, als er sagte, "die EU-27 werden eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer erwarten".

Die EU sei zwar "nicht abgeneigt", das Austrittsdatum nach Artikel 50 des EU-Vertrags zu verschieben, sagte auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Allerdings müsse es dann auch einen konkreten Plan geben, es müsse etwas "Greifbares dahinterstehen". Denn bisher, so weiß man in Brüssel, haben die britischen Abgeordneten zwar deutlich gemacht, was sie nicht wollen: weder Mays Brexit-Deal noch einen Brexit ohne Deal nämlich.

Was die Londoner Abgeordneten wirklich wollen, steht 15 Tage vor dem geplanten Brexit hingegen weitgehend in den Sternen.

Lange Nächte an der Themse: Premierministerin Theresa May (Mi.) ohne Fortüne.
Foto: JESSICA TAYLOR / UK PARLIAMENT / AFP

"No Deal" dauerhaft abgelehnt

Zwar hat sich am Mittwochabend nun doch eine knappe Mehrheit im Parlament an der Themse gefunden, die einen ungeordneten Ausstieg ohne Vertrag ablehnt – nämlich nicht nur wie von May geplant bis zum Stichtag 29. März, sondern aufgrund vieler Enthaltungen aus den Reihen der Konservativen auch darüber hinaus.

May, der von Abgeordneten ihrer eigenen Partei einmal mehr kein Vertrauen geschenkt wurde, will ihren Deal mit der EU nun in der kommenden Woche ein drittes Mal im Unterhaus zur Abstimmung vorlegen. Entweder stimme man ihm nun zu, so das Kalkül, oder man riskiere, den Brexit womöglich sogar auf unbestimmte Zeit aufzuschieben.

Am Dienstagabend war May erneut mit ihrem Austrittspaket im Unterhaus gescheitert. Trotz neuer, knapp vor der Abstimmung mit Brüssel ausverhandelter Dokumente lehnten 391 Abgeordnete den Deal ab, nur 242 stimmten dafür.

Knackpunkt Backstop

Sollte es zu verlängerten Verhandlungen kommen, würde wohl erneut der umstrittene Backstop im Vordergrund stehen – die Auffanglösung, die eine harte Grenze zwischen Irland und der britischen Region Nordirland verhindern soll. Der Plan sieht vor, dass das Vereinigte Königreich Mitglied der Zollunion bleibt, wenn sich beide Seiten bis zum Ende der Übergangsperiode (bisher: Dezember 2020) nicht auf die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit geeinigt haben.

Ein Tory-Abgeordneter hält es für möglich, dass das Unterhaus im dritten Anlauf den Brexit-Vertrag doch noch annimmt. Nötig sei dafür von Brüssel "nur ein bisschen Bewegung beim Backstop", sagte Greg Hands am Donnerstag dem Deutschlandfunk. "Wenn Brüssel noch ein bisschen abgeben könnte bei dem ganzen Ding, dann könnte das britische Unterhaus dafür stimmen." Bisher sei das Abkommen "viel zu vorteilhaft für Brüssel".

Brexit-Hardliner fordern schon lange eine zeitliche Befristung des Backstops oder das einseitige Recht, ihn zu einem beliebigen Zeitpunkt zu beenden. Brüssel lehnt das ab. Ein Kompromiss könnte sein, London Mitspracherechte in der Handelspolitik einzuräumen, solange es Mitglied der Zollunion ist. (Florian Niederndorfer, Noura Maan, 14.3.2019)