Jelinek-Puppe, gebaut und inszeniert von Nikolaus Habjan.

Foto: Alexi Pelekanos

Jelinek-Stücke müssen bei niemandem Panik auslösen, ausgenommen bei den Regisseuren und Regisseurinnen. Was es da immer zu ordnen und entziffern gilt! Nicolas Stemann ließ sich sogar zur Aussage hinreißen: "Sie nerven, die Texte! Sie sind anstrengend und penetrant." Der Mann muss es wissen, gilt er doch mit bis dato acht Inszenierungen als Leibregisseur der Autorin.

Der Kreis der Regisseure ist groß, an Jelinek kommt man nicht vorbei. Sogar Frank Castorf hat einmal zugeschlagen! Nun versucht sich erstmals der Puppenspieler Nikolaus Habjan. Er inszeniert die österreichische Erstaufführung von Jelineks jüngstem Stück Am Königsweg am Landestheater in St. Pölten. Das Haus war der ausdrückliche Wunsch der Autorin.

Mehrfach ausgezeichnet

Das Drama um den im Text nie namentlich genannten US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump (und vielmehr die Bedingungen, wie es zu seinem Erfolg kommen konnte) wurde vom Fachblatt Theater heute 2018 zum Stück des Jahres gewählt, die Uraufführungsinszenierung von Falk Richter am Schauspielhaus Hamburg zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Wie also die Dramenriesen auf die Bühne schaffen? Fest steht, dass Jelineks offene Textform nach einem starken Regiewillen verlangt. Ohne das "Regietheater" (in Wahrheit ein tautologischer Begriff) wäre hier kein Terrain zu gewinnen. "Machen Sie, was Sie wollen", schrieb Jelinek schon 1998 in Ein Sportstück. Auch der Rowohlt-Verlag gab sich gelassen: "Gehen Sie mit der Axt rein!" Einar Schleef ließ sich nicht zweimal bitten und schuf am Burgtheater mit einem Massenchor von 142 Darstellern und Darstellerinnen eine der prägendsten Inszenierung der Rezeptionsgeschichte. Der Chor als stimmgewaltiges Tier bäumt sich sowohl bedrohlich wie als kritische Masse auf.

Mörderarbeit für die Regie

Die chorische Form ist eine zentrale Abbildungsweise für das unpersönliche, postprotagonistische Sprechen, wie es Jelinek einsetzt. Figuren im klassischen Sinn sind bei ihr Redepositionen gewichen, und selbst diese enthalten noch aufgespaltene Perspektiven. Sollte einmal eine herkömmliche Figur das Wort ergreifen, dann tut sie das gut und gerne zwölf Seiten lang, und eine andere antwortet darauf dann auf 36 Seiten. Mörderarbeit für die Regie!

Grundsätzlich legen Jelineks sprachmusikalische Stücke – oft als Partituren beschrieben – abstrakte Inszenierungskonzepte nahe. Ruedi Häusermann etwa hat die Texte als pure Sprachmusik betrachtet und wie literarische Konzerte inszeniert (Rosamunde, Über Tiere). Das entspricht Jelineks eigener Theaterverweigerung. Wenn man sich aber den herrlichen Illustrationswahnsinn eines Falk Richter oder eines Christoph Schlingensief vor Augen führt, wirken die musikalischen Zuschnitte harmlos (z. B. Kein Licht bei der Ruhrtriennale).

Kampf mit dem Text

Welche Inszenierungsrichtungen gibt es noch? Jossi Wieler (bisher fünf Inszenierungen) gehört zu den wenigen, die sich auf eine psychologische Lesart eingelassen haben. Der Kontrast zwischen antimimetischem Grundcharakter der Texte und Figurenrede zeitigt aber durchaus Effekte. Für Rechnitz (Der Würgeengel) erhielt Wieler 2009 den Nestroypreis.

Während Castorf seines Zeichens die gesunde Respektlosigkeit walten ließ (Raststätte oder sie machens alle, 1995), stellt Stemann den Kampf mit dem Text in seinen Inszenierungen gezielt aus. Bei der Wirtschaftskomödie Die Kontrakte des Kaufmanns lief beispielsweise eine Countdownanzeige der abgespielten Textseiten mit, begleitet von Kommentaren, die die eigene Überforderung eingestehen.

Man muss nicht alles verstehen

Aber keine Sorge, es muss nicht alles bis ins Letzte verstanden werden. Das räumt auch Jelineks wichtigste Dramaturgin Rita Thiele ein. Bei so einer Akkumulationsmaschine darf man Abstriche machen. Schließlich tigert Jelinek wie keine vergleichbare Dramatikerinstanz rastlos den Katastrophen der Gegenwart hinterher.

"Die Schauspieler SIND das Sprechen, sie sprechen nicht", schrieb Jelinek schon in ihrem Theateraufsatz Sinn egal. Körper zwecklos anno 1990. Insofern sind virtuose Sprachhandhabung und vehemente Körperlichkeit gute Voraussetzungen für eine Inszenierung. Claudia Bosse hat dieses sprechmaschinenhafte Spiel perfektioniert. Johan Simons übersetzte es an den Münchner Kammerspielen (Winterreise) in eine Choreografie mit Sprache.

Fliegende Zöpfe

Die bisher radikalste Lösung für die Steilvorlage Jelinek wagte wohl Christoph Schlingensief mit seiner Bambiland-Uraufführung am Burgtheater 2004, die nicht einmal geschätzte zehn Prozent des Textes wiedergab, sondern sich davon losgelöst einen eigenen hypermedialen Raum schuf. Ein umstrittenes Verfahren, das die verschriftlichten Bilder der Autorin in wiederum eigene Bilder überführt. Fortan nannte Jelinek ihren Regisseur "Assistent des Verschwindens".

Was bei kaum einer Jelinek-Inszenierung fehlt, ist das in den Texten stets miteingeschriebene Autorinnen-Ich. Jelinek reflektiert ihre eigene Stimme, die aussichtslos im Namen der Opfer spricht, stets mit. Sie gehört den Toten von Fukushima oder Kaprun, den Opfern des Naziterrors oder den Mittelmeertoten.

Wieder war es Nicolas Stemann, der die berühmte Zopfperücke erstmals auf der Bühne einführte. Über den größten Vorrat an Jelinek-Puppen verfügt aber Nikolaus Habjan, der seine erste im Auftrag des Burgtheaters baute. Mit seiner Puppeninszenierung am Samstag (darunter Trump und Miss Piggy) wird er viele Jelinek-Anforderungen einlösen können. Und die Zöpfe fliegen lassen. (Margarete Affenzeller, 15.3.2019)