Es fehlt in den Gefängnissen an Betreuern – mit gravierenden Folgen: Insassen muss oft das Notwendigste verwehrt werden.

Foto: Elmar Gubisch

Abendessen gibt es um 15 Uhr. Appetit hat zwar niemand, aber im Gefängnis bestimmt nicht der Gusto, sondern die Personalplanung. Mitten am Nachmittag ist die Kernzeit der Justizwache vorbei, ab dann herrscht Sparbetrieb. Also werden alle Türen verschlossen, die Insassen werden sich und ihren Speisen überlassen, geöffnet wird erst tags darauf um sieben.

Seit Jahren gibt es in Österreichs Gefängnissen dasselbe Problem: zu wenig Personal für zu viel Arbeit. Die Insassen werden mehr und sind immer schwieriger zu betreuen. Man versteht einander nicht, weil es viele Häftlinge gibt, die nicht Deutsch sprechen, und wenige Justizwachebeamte, die Serbisch oder Rumänisch beherrschen.

Überlastung und Stress

Die Überlastung führt zu Stress bei den Beamten und den Insassen, die Stimmung heizt sich auf, die Aggressivität unter den Insassen steigt. Die Justizwache klagt darüber seit Jahren. Eine Stimme bleibt im Lamento über die Personalnot im Strafvollzug meistens ungehört: die der Gefangenen.

Doch leiden sie am allermeisten, weil weniger Personal für sie auch weniger Freiheit und weniger Beschäftigung bedeutet: Man nimmt ihnen also genau das, was das Leben hinter Gittern noch halbwegs erträglich macht. Einige Beispiele: Wenn man theoretisch im gefängniseigenen Betrieb arbeiten oder lernen könnte, es aber keine Beamten gibt, die einen dorthin begleiten, dann bleibt man unbeschäftigt.

Wenn es zu wenige Beamte für die Aufsicht im Gefängnishof gibt, wird der Hofgang gestrichen. Wenn jemand eine fachärztliche Untersuchung braucht, aber kein Beamter da ist, der mitfahren kann, muss der Test eben warten.

Langes Warten auf den Kurzbesuch

Der Personalmangel wirke sich auch auf die geistliche Betreuung aus, berichtet Matthias Geist, evangelischer Superintendent für Wien, der 17 Jahre lang als Gefängnisseelsorger tätig war. "Im vergangenen Sommer waren teilweise Gottesdienste und Abteilungsdienste nicht mehr möglich." Es gab zu wenige Justizwachebeamten, um die Häftlinge aus den unterschiedlichen Abteilungen zu bringen.

Auch für Familie und Freunde von Insassen sei es schwieriger geworden. "Die Besucher müssen länger warten, das dauert mittlerweile eine Stunde oder sogar länger." Gerade die Kontakte mit der Außenwelt seien jedoch wichtig für Resozialisierung. Mit dem Problem der Vorführungen aus den Zellen kämpfen auch die Strafverteidiger.

"Die Situation hat sich deutlich verschlechtert", erzählen beispielsweise Norman Hofstätter und Heike Sporn. Um mit seinen inhaftierten Mandanten sprechen zu können, müsse man mehr Zeit einplanen, die ihm für andere Tätigkeiten fehlen würde. Am schlimmsten ist es in der Untersuchungshaft, erzählen Anwälte.

Obwohl hier auch viele Unschuldige festgehalten werden, sind die Zustände hier meist schlimmer als in der echten Strafhaft. Man müsse die Insassen stärker von Komplizen abschirmen, argumentiert die Justizwache. Anders erklären es Bewährungshelfer: Weil die Insassen oft sehr bald wieder draußen sind, investiert man nicht viel Zeit in sie.

Pensionierungswelle

In der Theorie sollten Straftäter im Freiheitsentzug nicht nur eine Sanktion für die begangene Tat erfahren, sondern resozialisiert werden – also den Weg zurück in ein geordnetes Leben finden. In der Praxis bleibt es meist bei der Strafe.

Im Justizministerium hat man das Problem des Personalmangels erkannt. Im Stellenplan wurden die vorgesehenen Posten aufgestockt. Derzeit sind viele dieser Stellen unbesetzt, das dafür nötige Personal steckt gerade erst in der Ausbildung. Im nächsten Jahr könne man dann aber mit den frischen Absolventen alle offenen Planstellen besetzen, sagt Justizwache-Gewerkschafter Albin Simma.

Gleichzeitig wächst die nächste Personalnot bereits heran: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen nach und nach in Pension. Und sollte Vizekanzler Heinz-Christian Strache sein Versprechen gegenüber der Justizwache erfüllen und die Beamten in die Schwerarbeiterregelung übernehmen, dann hätten das in den kommenden Jahren Pensionierungswellen zur Folge – und ein neues Loch im Stellenplan.

Es hapert aber nicht nur an Justizwachebeamten, sondern auch an medizinischer Versorgung, erzählt Volksanwältin Gertrude Brinek dem STANDARD. Einige Justizanstalten "suchen händeringend gesundheitliches Personal. Aber offenbar findet sich niemand, der in die Gefängnisse gehen möchte."

Die Folge: Insassen müssen zu externen Ärzten gebracht werden – und die dafür nötige Begleitung durch Wachebeamte bindet wieder Personalressourcen, die dann drinnen fehlen. Brinek spricht sich deshalb für vertragliche Verbesserungen für Ärzte im Gefängnis aus, um mehr Personal für diese Tätigkeit zu gewinnen.

Die Volksanwaltschaft, die den Gefängnissen Überraschungsbesuche abstattet, um dort ein ungeschöntes Bild der Zustände zu erhalten, kritisiert immer wieder die lückenhafte Betreuung und Mängel in der gesundheitlichen Versorgung. Das heißt aber nicht unbedingt, dass im Strafvollzug alles schlechter geworden ist: Dass es mehr Kritik gibt, so Brinek, liege auch daran, dass die Menschenrechtsstandards für den Strafvollzug heute höher sind als früher. (Michael Möseneder, Maria Sterkl, 16.3.2019)