Cannabis wird immer stärker – in den vergangenen zehn Jahren hat sich der THC-Gehalt verdreifacht.

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London – Eine europäische Beobachtungsstudie an elf Zentren legt den Schluss nahe, dass der häufige Konsum von hochpotentem Cannabis Psychosen begünstigt. Das Erkrankungsrisiko kann fast bis auf das Fünffache von Cannabis-Nichtnutzern steigen, schreiben Marta Di Forti vom King's College London und ihre Co-Autoren im Fachmagazin "Lancet Psychiatry".

Für die Studie wurde Patienten im Alter zwischen 18 und 64 Jahren ausgewählt, die mit einer ersten Psychose-Episode in eines von elf Zentren in Europa und Brasilien aufgenommen wurden. Zwischen 1. Mai 2010 und 1. April 2015 wurde die Daten von 901 Psychosepatienten gesammelt. Als Kontrollgruppe dienten 1.237 Menschen ohne Psychose, die repräsentativ nach der jeweils lokalen Bevölkerung ausgewählt wurden.

Die teilnehmenden Zentren befanden sich unter anderem in London, Cambridge, Amsterdam, Paris, Madrid, Barcelona, Bologna, Palermo sowie in Ribeirão Preto in Brasilien. Bei den Patienten wurde erhoben, wie oft und welches Cannabis sie konsumiert hatten. Auf Basis der Eigenangaben wurden die Probanden in zwei Gruppen nach dem konsumierten THC-Gehalt (kleiner oder mehr als zehn Prozent) eingeteilt.

Das Ergebnis der Studie: "Täglicher Cannabiskonsum war mit einem um das 3,2-Fache höheren Risiko für Psychosen verbunden als bei Nichtkonsumenten. Probanden, die täglichen hochpotentes Cannabis (THC-Konzentration mehr als zehn Prozent) rauchten, hatten ein um das 4,8-Fache größeres Risiko im Vergleich zu Nichtkonsumenten", schreiben die Studienautoren. Würde der Verkauf von hochpotentem Cannabis unterbunden werden, würde die Psychoserate rein statistisch um 12,2 Prozent sinken. So könnte die Neuerkrankungsrate in Amsterdam von 37,9 auf 18,8 Fälle pro 100.000 Personen jährlich zurückgehen, in London von 45,7 auf 31,9 pro 100.000 Menschen und Jahr.

Weitere Risikofaktoren berücksichtigen

Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, kann allerdings kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und dem Auftreten einer Psychose hergestellt werden. Demnach könnten auch andere Faktoren für die Ergebnisse der Studie verantwortlich sein.

"Was die Autoren nicht berücksichtigt haben, sind Erbgut und belastende Lebensereignisse der Studienteilnehmer, die auch zu größeren Psychoserisiken beitragen können. Ebenso wurde nicht erhoben, ob die Probanden angefangen hatten, Cannabis zu konsumieren, bevor sie Psychosen entwickelten", gibt etwa Dieter Meyerhoff von der University of California in San Francisco zu bedenken. So bestehe immer noch die Möglichkeit der alternativen Erklärung, dass Menschen mit erstmaligen Psychosen mehr Cannabis konsumieren – anstatt andersherum. So zeigte etwa die sogenannte Capris-Studie ("Cannabis: Potenzial und Risiken), dass jeder dritte psychotische Patient kifft, in der Allgemeinbevölkerung sind es nur sechs Prozent.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Angaben darüber fehlen, ob die Probanden an weiteren psychologische Krankheitsbildern wie etwa Persönlichkeits- oder Angststörungen leiden. Dadurch könnte das Psychoserisiko, unabhängig vom Cannabisgebrauch, steigen. "Es ist wichtig, in der weiteren Forschung auch diese Faktoren zu berücksichtigen, um die Personen eindeutig zu identifizieren, die durch täglichen Konsum von hochpotentem Cannabis am meisten gefährdet sind, Psychosen zu entwickeln", ergänzt Meyerhoff.

THC-Gehalt um das Dreifache gestiegen

Nicht von der Hand zu weisen sei allerdings, "dass sich in Städten mit hohem Anteil an täglichen Cannabiskonsumenten und großer Verfügbarkeit von hochpotentem Cannabis, wie London und Amsterdam, der größte Zusammenhang mit der Zahl der neu aufgetretenen Psychosefälle zeigte", ergänzt Suchtexperte Rainer Thomasius vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg.

Laut den Daten des Deutschen Bundeskriminalamts hat sich im vergangenen Jahrzehnt der THC-Gehalt von Cannabisprodukten in etwa verdreifacht. "Cannabidiol (CBD) ist der zweite Hauptwirkstoff in Cannabis. Ihm werden protektive Eigenschaften zugeschrieben, zum Beispiel antipsychotische Effekte. Parallel zum Anstieg des THC-Gehaltes ist der Anteil von CBD international deutlich gesunken. Viele hochgezüchtete Cannabissorten enthalten heute nur noch sehr wenig CBD. Die Wirkung von THC kann dadurch nicht abgemildert werden, die gesundheitlichen Risiken steigen", gibt Eva Hoch, Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide vom Uniklinikum München, zu bedenken. (red, 21.3.2019)