Selbstermächtigung mit Handwaffe: Lupita Nyong‘o als Adelaide in "Wir".

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Unerwünschter Besuch im Ferienheim: In Jordan Peeles "Wir" wird eine afroamerikanische Familie von ihren fiesen Doppelgängern bedroht.

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Vergnügungsparks sind Orte für Attraktionen, die in kontrollierten Bahnen ablaufen. Im Prolog von Wir (Us), dem neuen Horrorfilm von Jordan Peele, verhält es sich damit etwas anders. Da wird er zum Schauplatz unheilvoller Zeichen und grauenerweckender Begegnungen. Es ist das Jahr 1986, eine afroamerikanische Familie macht Urlaub im Badeort Santa Cruz. In einem Moment, in dem die Eltern unachtsam sind, entfernt sich das kleine Mädchen Adelaide, die später als Erwachsene von Lupita Nyong’o verkörperte Heldin des Films, und verirrt sich in einem märchenhaften Geisterhaus. Dort begegnet sie dem exakten Ebenbild von sich selbst.

Universal Pictures

Das Doppelgängermotiv ist nicht erst seit der deutschen Romantik eng mit dem Unheimlichen und der Angst vor dem Verlust der Handlungsfähigkeit verknüpft. Jordan Peele dreht im Nachfolgefilm seines aufsehenerregenden, Oscar-gekrönten Get Out die Schrauben ein paar Windungen weiter: Wieder behandelt er schwarze Identitätskonzepte, wieder hallt das Echo der Geschichte der Sklaverei ins Horrorgenre hinein. Schon der Originaltitel Us ist mehrdeutig, schließlich sind das auch die Initialen der Vereinigten Staaten.

Die ganz in rot gekleidete Doppelgängerfamilie, die sich dann später gewaltvoll Eintritt ins Ferienhaus der Familie Wilson verschafft, antwortet auf angstgesteuerte Fragen, wer sie denn seien und was sie wollen: "Wir sind Amerikaner." Mit dieser Feststellung ist seit jeher auch Besitzanspruch verbunden. Nur dass es dieses Mal niemand von außen, eher jemand von unten ist, der etwas einfordert. Jemand, der einem schrecklich ähnlich ist. Nyong‘os Gegenüber krächzt und fletscht die Zähne. Trifft die gut in der Mittelklasse angekommene, vierköpfige Familie, auf ihr anderes Ich – und damit auf all jene, die bei der sozialen Mobilität nicht mithalten konnten? Peele tut gut daran, solche Fragen nicht gänzlich aufzulösen. "Wir sind selbst unsere größten Feinde", sagt er bei Auftritten gerne und wahrt damit schlauerweise das Geheimnis um die verdoppelten Identitäten.

Von Jackson bis Romero

Für die Darstellung von Schwarzen im US-Kino, speziell im Horrorfach, ist Peeles Kino etwas, was Amerikaner einen "game changer" nennen, eine bahnbrechende Entwicklung. Er spielt endlich mit allen Ingredienzien, die das Genre zu bieten hat. In Us gibt es schon im Prolog eine Referenz auf "Black horror", wenn ein T-Shirt den Aufdruck von Michael Jacksons berühmten Thriller-Video trägt. Das 14-minütige Musikvideo von 1983 imaginierte den schwarzen Musiker als Werwolf und Zombie. Jackson unterstrich darin nicht nur die sinnliche Verführungskraft seiner Musik, die selbst Untoten die Glieder wieder zucken lässt. Er verleibte sich auch lustvoll jene Stereotype ein, die Schwarze als das bedrohliche Andere fantasierten.

Um die Wurzel dieser dämonischen Bilder zu finden, muss man lange zurückgehen: Der berüchtigste "Horrorfilm", der Schwarze als vergewaltigende Bestien zeigt, war gar kein Horrorfilm, sondern D. W. Griffiths Epos The Birth of a Nation. James Baldwin bezeichnete ihn einmal als "einen der großen Klassiker des US-Kinos", der zugleich "eine Rechtfertigung für Massenmord" sei. Der "brutal buck" (dt: "der brutale Bock"), eine besonders niederträchtige Version des schwarzen Mannes, der mit Vernunft nicht zu zähmen und dessen Lust auf "weißes Fleisch" nie gestillt ist, ging daraus hervor. Neben Voodoo-Magikern und Affenwesen wurde er eine der bestimmenden schwarzen Figuren des Genres.

"Black horror" versus "Horror mit Schwarzen"

"Black horror", der schwarze Horrorfilm, blieb in Hollywood lange aus. Dafür gab es "Blacks in horror", Schwarze in entsprechend dämonisierten Rollen, über Jahrzehnte. Spencer Williams’ selbst finanzierter The Blood of Jesus (1941) war eine der wenigen Eigenversuche. Erst 1968 kam parallel zur Bürgerrechtsbewegung mit George A. Romeros epochalem Night of the Living Dead ein Zombiefilm, der den Kurs von Afroamerikanern im US-Horrorkino veränderte. Er brachte endlich eine schwarze Figur ein, die beherzter als der Rest um das Wohl der Gemeinschaft kämpfte. Ein erstes Vorbild, das in vielen weiteren Filmen variiert wurde.

Der nächste Schritt in die Selbstermächtigung war die "Umfärbung" von Horror-Klassikern (Blacula, Blackenstein etc.). Die Blaxploitation-Welle der 1970er-Jahre ebnete auch den Weg für unabhängige Horrorfilme wie Bill Gunns Ganja & Hess, der den Vampirismus bereits als Kommentar über die Assimilierung verstand.

Peeles Kinos ist im Mainstream angekommen und vermag nun aus privilegierter Position den dämonischen Bilderfundus wieder anzuzapfen. Die Bedrohung steigt in Wir wortwörtlich aus dem "Untergrund" des Genres hoch. Mittlerweile spiegeln sich auch die rezenten sozialen Unterschiede in den USA darin wider. Anders als in Get Out ist das Grauen kein Privileg afroamerikanischer Figuren: Dennoch zielt Wir vor allem darauf ab, deren noch zartes bürgerliches Selbstbewusstsein zu erschüttern. Michael Hanekes Funny Games ist einer der Filme, an die man unweigerlich denken muss. Der Vergleich macht jedoch auch die Differenz deutlich: Gegenmaßnahmen sind gefragt, und die starke Rolle weist Peele mit Nyong‘o dabei der weiblichen Hauptfigur zu, die nicht nur ihre Angst, sondern sich selbst besiegen muss. (Dominik Kamalzadeh, 20. 3. 2019)