Wiener Sozialeinrichtung befürchten Zunahme von Obdachlosigkeit durch Sozialhilfegesetz.

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Sandra Frauenberger, Geschäftsführerin des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen, versammelte Vertreter von Sozialhilfeeinrichtungen, um Kritik am Sozialhilfegesetz zu äußern.

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Wien – Sozialsicherungsleistungen sollen Armut bekämpfen und Betroffenen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Mit dem aktuellen Gesetzesentwurf zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz würde das Gegenteil bewirkt, sind sich die Mitgliedsorganisationen des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen sicher. Es ist die erste Pressekonferenz des Verbands überhaupt. In den vergangenen Wochen haben die Mitgliedsorganisationen ihre Kritik an dem Gesetzesentwurf zusammengetragen, um sie nun der Öffentlichkeit zu präsentieren.

"Wir sind heute hier, um unsere Kritik am geplanten Sozialhilfegesetz zu äußern und an die Abgeordneten des Nationalrats zu appellieren, diesem Gesetz nicht zuzustimmen", fasst Sandra Frauenberger, Geschäftsführerin des Dachverbands Wiener Sozialeinrichtungen, das Anliegen der 80 repräsentierten Mitgliedseinrichtungen zusammen.

Anstieg von Wohnungslosigkeit

Die Sozialeinrichtungen befürchten unter anderem einen Anstieg der Wohnungslosigkeit. Der Anspruch auf Leistungen soll zukünftig nämlich an einen gemeldeten Hauptwohnsitz gebunden sein. Der ist freilich schwierig nachzuweisen für Obdachlose. Für die etwa 5.500 Wohnungslosen, die vergangenes Jahr vom Neunerhaus – einer Versorgungsorganisation für Wohnungslose – betreut wurden, könnte die Novelle folglich gravierende Auswirkungen haben. Bei steigenden Mietpreisen seien Wohngemeinschaften oft ein Weg aus der Wohnungslosigkeit, sagt Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin des Neunerhauses. Wer in Wohngemeinschaften lebt, soll allerdings mit der Sozialhilferegelung weniger Geld bekommen. Die ausgezahlten Leistungen sollen zudem im Gesamten gekürzt werden.

"Das geplante Sozialhilfesystem wird traumatische Auswirkungen auf unsere Klientinnen und Klienten haben, so viel ist klar", ist sich der Caritas-Geschäftsführer Alexander Bodmann sicher. Besonders Familien und Kinder würden die Kürzungen treffen. Jeder dritte Leistungsempfänger der Mindestsicherung in Wien ist ein Kind. Haushalte sollen – wenn es nach der Neuregelung geht – für das dritte und jedes weitere Kind maximal fünf Prozent des Ausgangswerts zusätzlich erhalten dürfen. 2019 wären das 44 Euro im Monat ab dem dritten Kind. Das reiche für ein menschenwürdiges Leben bei weitem nicht aus, so Bodmann.

Besondere Einschränkungen für Familien mit Migrationshintergrund

Eingespart werden soll explizit bei Familien mit Migrationshintergrund, da dort häufiger Mehrkinderfamilien vermutet werden. "Bei besonders vulnerablen Kindern aus sozial schwachen Familien sparen zu wollen ist nicht nur zynisch und rassistisch, sondern letztlich auch sehr teuer für den Zusammenhalt der Gesellschaft", sagt Andrea Eraslan-Weninger, Geschäftsführerin des Integrationshauses, eine der Wiener Flüchtlingshilfeeinrichtungen.

Neu eingeführt soll auch ein Arbeitsqualifizierungsbonus werden. 35 Prozent der Leistungen würden damit an die Arbeitsvermittlung gebunden werden. Betroffene müssen, um den Bonus zu erhalten, Vermittelbarkeit nachweisen. Für ein Paar mit drei Kindern ohne diesen Bonus hieße das mehr als 500 Euro weniger im Monat als mit der Mindestsicherungsregelung, sagt Bodmann. Gerade Mindestsicherungsempfängerinnen und -empfänger seien jedoch oft nicht vollumfänglich erwerbsfähig.

Subsidiär Schutzberechtigte könnte es dabei besonders hart treffen. Für jene, die privat wohnen und aktuell Mindestsicherung beziehen, blieben nach der Reform nur 365 Euro im Monat zum Leben. "Dann kann man sich entscheiden, ob man etwas zu essen hat oder ein Dach über dem Kopf", kritisiert Eraslan-Weninger. Um den Arbeitsqualifizierungsbonus zu erhalten, müssten subsidiär Schutzberechtigte entweder Sprachkenntnisse in Deutsch auf B1-Niveau oder Englisch auf C1 nachweisen sowie integrationsrechtliche Verpflichtungen einhalten. Eine Alternative dazu ist der Nachweis eines Pflichtschulabschlusses. Im Integrationshaus dauert das Lernen von Deutsch für das geforderte Niveau etwa ein Jahr – wenn die Person bereits alphabetisiert in ihrer Muttersprache ist, sagt Eraslan-Weninger. Oft seien zudem schwierige Lernbedingungen sowie Kürzungen bei den Integrationsangeboten hinderlich im Lernprozess.

Kürzungen bei Senioren

Der Wiener Samariterbund-Geschäftsführer Oliver Löhlein geißelt den Reformentwurf in Bezug auf Seniorinnen und Senioren. Denn Personen, die das Regelpensionsalter erreichen, aber keinen Pensionsanspruch haben, und dauerhaft Arbeitsunfähigen, die nicht als Personen mit Behinderung gelten, wird die bisher in Wien ausbezahlte 13. und 14. Sonderzahlung gestrichen. Das bedeute ein Minus von 1.770 Euro pro Jahr und betreffe allein in der Bundeshauptstadt rund 11.200 Menschen. Das treffe nach wie vor vor allem Frauen, die aufgrund der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen unterbrochene Erwerbskarrieren aufweisen, so Löhlein. Der Samariterbund-Chef hinterfragt, ob "Sozialhilfe" überhaupt der richtige Begriff für die Neuregelung sei: "Es geht um Sanktionen."

Robert Mittermair vom Verein LOK (Leben ohne Krankenhaus) bemängelt wiederum die Zuschussbestimmung für Behinderte. Denn durch die im Gesetz vorgesehene Definition, wer als behindert gilt, bestehe die Gefahr, dass sie nicht alle Betroffenen umfasse. Kritisch sieht der LOK-Geschäftsführer auch den Umstand, dass erwachsene Menschen mit Behinderung von Sozialhilfeträgern verpflichtet werden können, ihre Eltern auf Unterhalt zu klagen, bevor sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen können. Dies sei "unzumutbar". (jugi, 22.3.2019)